# taz.de -- Beratungsstelle für Berufskrankheiten: Wenn die Arbeit krank macht | |
> Die Beratungsstelle für Berufskrankheiten in Bremen bleibt erhalten. Ging | |
> es zunächst vor allem um Asbest, rücken nun andere Belastungen in den | |
> Vordergrund. | |
Bild: Die Bremer Vulkan-Werft ist lange Geschichte. Ihre Folgeschäden sind es … | |
BREMEN taz | Die Bremer Beratungsstelle für Berufskrankheiten soll | |
dauerhaft etabliert werden. Das soll die Gesundheitsdeputation heute | |
beschließen. | |
Aufgrund der „regen Nachfrage“, ihrer „erfolgreichen Arbeit“ und der | |
„großen und positiven“ Resonanz aus der Fachöffentlichkeit solle der | |
entsprechende Vertrag mit der Arbeitnehmerkammer „auf unbestimmte Zeit“ | |
verlängert werden, heißt es in der Beschlussvorlage. | |
Die Beratungsstelle, die zum 1. Juli vergangenen Jahres ihre Arbeit | |
aufgenommen hat, ist aus einem jahrelang ehrenamtlich betriebenen Büro des | |
ehemaligen Vulkan-Betriebsrates Rolf Spalek hervorgegangen. Der ist durch | |
seine Arbeit auf der Werft selbst an Asbestose erkrankt, einer oft | |
tödlichen Staublungenerkrankung – und wollte andere Betroffene in ihrem oft | |
jahrelangen Kampf gegen die Berufsgenossenschaften unterstützen. | |
Fast 200 Beratungen zählte der Gesundheitswissenschaftler Niklas Wellmann | |
allein bis Anfang März dieses Jahres, dabei hat er als einziger Berater nur | |
eine Teilzeitstelle. In der Mehrzahl der Fälle geht es dabei um | |
asbestbedingte Erkrankungen. | |
Kein Wunder: Das einst als „Wunderfaser“ gefeierte Asbest, das | |
krebserregend, aber auch sehr feuerfest, hitze- und säurebeständig ist und | |
außerdem gut wärmedämmend ist, wurde nicht nur in Häusern und auf Dächern, | |
sondern auch auf Schiffen gerne verbaut. Bremen hat deshalb im | |
Bundesvergleich besonders viele Asbest-Geschädigte – schließlich | |
beschäftigte allein die Vulkan-Werft bis zu 10.000 Menschen. Schon 2011 | |
zählte man in Bremen etwa 5.000 einschlägig Erkrankte. Und die Tendenz ist | |
bis 2017 weiter steigend, sagen Experten – weil es oft Jahrzehnte dauert, | |
bis jene, die einst dem Asbest ausgesetzt waren, daran erkranken. | |
Herstellung und Verwendung von Asbest sind erst seit 1993 verboten – obwohl | |
es beim Gewerbeaufsichtsamt schon 1968 Hinweise über die Gefahr gab, die | |
von Asbest ausgeht. Zehn Jahre später, als die Vulkanesen die „Kungsholm“ | |
umbauten, konnten die Grenzwerte dennoch um das 40-fache überschritten | |
werden. | |
Doch für Betroffene ist der Nachweis, dass Asbest am Arbeitsplatz | |
letztendlich schuld am Lungenkrebs ist, oft schwer zu führen. Weil es | |
früher eben auch im eigenen Kleingarten oder auf Dächern verbaut wurde. | |
Weil viele Belastungen am Arbeitsplatz früher einfach gar nicht | |
dokumentiert wurden. Oder weil Unterlagen darüber, etwa im Zuge von | |
Konkursen, verloren gingen. Und selbst wenn einer dann als berufskrank | |
anerkannt ist, heißt das noch nicht, dass er auch eine Entschädigung oder | |
Rente bekommt. Das Interesse der Berufsgenossenschaft ist es, nicht zahlen | |
zu müssen. | |
Die Grünen fordern deshalb seit Längerem eine Umkehr der Beweislast. Dann | |
wäre es an der Berufsgenossenschaft, nachzuweisen, dass es nicht der Job | |
war, der schuld an der Asbestose oder am Krebs war. Er selbst habe sich zu | |
dieser Frage aber „noch kein umfassendes Bild“ machen können, so Wellmann. | |
Doch nicht immer geht es in seiner Beratungsstelle nur um Asbest. Ganz im | |
Gegenteil: „Immer häufiger“, so Wellmann, kämen Menschen wegen | |
Hautkrankheiten, Rückenbeschwerden oder Lärmschwerhörigkeit zu ihm. 45 | |
Beratungen von Asbestopfern in etwa acht Monaten stehen dabei je zehn | |
Fällen von Haut- beziehungsweise Muskel- und Skeletterkrankungen gegenüber. | |
Belastungen im Job seien dabei oft nur schwer von jenen im Privatleben | |
abzugrenzen, sagt Wellmann, die formellen Hürden für die Anerkennung einer | |
Berufskrankheit entsprechend hoch und kompliziert. Lärm sei dabei auf dem | |
Bau oder in metallverarbeitenden Berufen ebenso ein Problem wie bei | |
ErzieherInnen, Rückenprobleme treten bei Handwerkern genauso auf wie bei | |
Pflegekräften. | |
Oder bei Lageristen: In seinem Bericht für die Deputation schildert | |
Wellmann den Fall eines Mannes, der fast 20 Jahre lang Fliesen | |
kommissionierte, verpackte und lagerte, mit dem Gabelstapler oder mit der | |
Hand. Diesen Job musste er aufgeben – zu groß waren seine Nacken-und | |
Rückenschmerzen. Die Pakete, die er zu schleppen hatte, mussten „in | |
Zwangshaltung“ in die Regale sortiert werden und wogen bis zu 40 Kilo. Sie | |
waren also zu leicht, sagt die Berufsgenossenschaft. Eine Berufskrankheit, | |
so beschied sie ihm, bekomme nur anerkannt, wer über 50 Kilogramm auf der | |
Schulter zu schleppen habe – also etwa Schweinehälften. | |
Sechs Monate dauert es, mindestens, ehe so ein Fall entschieden ist, sagt | |
Wellmann. Es können aber auch Jahre vergehen. „In dieser Zeit fühlen sich | |
viele Betroffene meist hilflos“, sagt Wellmann. Erschwerend kommt hinzu, | |
dass allerlei Institutionen am Verfahren beteiligt sind – Versicherungen, | |
die Arbeitsagentur, das Integrations- oder das Versorgungsamt. Schon die | |
jeweiligen Zuständigkeiten, so Wellmann, seien da „nicht immer eindeutig | |
zuzuweisen“. | |
22 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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Bremerhaven | |
Arbeitnehmer | |
Asbest | |
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