Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- HSV vor dem Bundesliga-Abstieg: Ha, Ha, Ha, Ha eS Vau
> Wenn der Hamburger SV absteigt, verliert die 1. Bundesliga ihr ältestes
> Mitglied. Aber was verliert eigentlich die Stadt? Alles. Und nichts.
Bild: Als der HSV zuletzt Spitze war, waren Frisuren noch Frisuren und das Benz…
HAMBURG taz | Fußballzitate sind oft von ergreifender Schlichtheit. Der
Ball ist rund, heißt es, das Spiel dauert 90 Minuten, und die Wahrheit, sie
liegt auf dem Platz. Ein anderes Bonmot des wichtigsten, aber profansten
Teamsports überhaupt, von Liverpools Trainerlegende Bill Shankly widerlegt,
das gängige Vorurteil, Fußball sei gar keine Frage von Leben und Tod.
Zitat: „Ich kann ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.“
Es ist ein wirklich machtvoller Satz der Freizeithistorie, voller
Selbstüberschätzung und Realitätssinn, befeuert von großer Hingabe, Gespür
für Dramatik und einer gehörigem Portion Weitblick. Stammt er doch aus
einer Zeit, da Fußball allen Ernstes Fußball war, kein Milliardengeschäft.
Als es weder Trikotwerbung gab noch Ablöseirrsinn – geschweige denn die
Champions League. Einer Zeit also, in der Fußball folglich die Seele
berührte und betraf, und nicht Wirtschaftsräume. Als es einzig ums Spiel
ging.
Womit wir beim HSV wären.
Denn um das Spiel geht es dem Hamburger Sport-Verein schon lang nicht mehr.
Beim Gründungsmitglied der Bundesliga dreht sich alles einzig und allein
ums nackte Dasein. Seit zwei Jahrzehnten schlingert der selbsternannte Dino
des deutschen Fußballs dem Aussterben entgegen und macht seinem Maskottchen
– einem blauen Dinosaurier namens Hermann – damit alle Ehre. Die
Dinosaurier nämlich verschwanden in Erdmaßstäben gerechnet bald nach ihrem
Aufritt vom Planeten.
## Spielerische Bankrotterklärungen
In diesem Jahr scheint sich die Frage nach Leben oder Tod endgültig zu
beantworten. Doch wer stirbt da eigentlich genau, wenn der HSV spielerische
Bankrotterklärungen weiter mit organisatorischem Chaos zusammenbringt und
absteigt: Ist es ein Klub? Eine Erinnerung? Oder ganz Hamburg? Die Stadt,
die doch auch sonst alles hat – und nichts.
Denn so anachronistisch der Kampf Mann gegen Mann (und manchmal Frau gegen
Frau) sein mag und so unverständlich Außenstehenden das
Alles-oder-nichts-Gehabe eingefleischter Fußballfans erscheint – Fußball
ist auch in Hamburg weit mehr als ein simpler Sport. Und das hat Gründe,
vermutlich Tausende.
Ein paar davon sind neidgelb oder lokalpatriotischrot, andere
druckerschwärzedunkel oder geldscheinbunt, nicht unerheblich viele
braun-weiß wie der FC St. Pauli. Und all die Farben zeigen, dass Fußball
selbst in einer Stadt mit unermesslicher Beschäftigungsvielfalt mehr Leute
verbindet als jeder Ehrenbürger, jedes Volksfest, jede Architektur.
Da wäre zunächst ein Rivale, der seinen Vorsprung auf allen Ebenen schon im
Namen trägt: Als Bundesland hängt Bayern den Stadtstaat bei praktisch allen
Parametern von Bildung über Tourismus bis Wirtschaft, ja selbst Kultur
zügig ab. Als Metropole reicht Hamburg München höchstens in puncto
Selbstüberschätzung als vermeintlich schönster Ort im Kosmos das Wasser.
Und als Bayern München hält der Supermeister jeden Fußballrekord von Belang
– bis auf den einen der Ligazugehörigkeit. Noch. Andernfalls blieben
Hamburg gerade mal die Beatles. Dazu ein Hafen, den der Klimawandel
demnächst flutet. Und St. Pauli.
## Szeneviertelgroße Kotztüte
Nur: Ohne FC davor sieht der gemeine HSV-Fan dieses bewohnte Quartier
bestenfalls als szeneviertelgroße Kotztüte, die das schwarzweißblaue
Partyvolk freitags sauber flutet und sonntags versifft zurücklässt. Mit FC
davor jedoch empfindet es der sechsfache Meister auch nach [1][26 Jahren
ohne echten Titel] schon als Affront, mit dem Kiezklub nur die Stadtgrenze
zu teilen.
In Liga 2 aufeinanderzutreffen grenzte da an Majestätsbeleidigung – was
direkt zur nächsten Farbkombination führt: Denn der HSV ist ja nicht bloß
ein Verein in Hamburg, er ist der Hamburger Verein schlechthin. Das Gros
seiner Anhänger wohnt statistisch gesehen zwar im Umland; was die
Anhängerschaft betrifft, ist St. Pauli Hamburgs Stadtklub. Trotzdem sieht
sich der HSV seit jeher als Chefsache.
Mit ihm fiebern die Bürgermeister und die Industriellen, die Handelskammer
und Sportredakteure, uns Uwe – und wenn Heidi Kabel noch lebte, sie würde
dem Verein wohl von Litfaßsäulen aus eine Handbreit Wasser unterm Kiel
wünschen. Im investorenwildwuchernden Betonensemble zwischen Alster und
Elbe bemüht man eben bei jeder Gelegenheit maritime Vergleiche. Also bitte:
Ginge die Hochseeyacht HSV im Seegefecht mit Provinznestern wie
Braunschweig und Nürnberg unter, sänke das Flaggschiff einer Stadt, die bis
heute in Nostalgie schwelgt.
Ach, die Hanse … Sie war es, die Hamburg Reichtum und Stolz gegeben hat,
was bis heute auch auf dessen Vorzeigeverein abstrahlt. Es war
Kaufmannsspieltrieb, der ihn anno 1887 aus zwei Leichtathletikvereinen
gebar. Es war Kaufmannsverstand, der ihn 1983 kurz an Europas Spitze
hievte. Es sind Kaufmannsmillionen, die ihm nun aus der Portokasse eines
öligen Logistikmilliardärs notdürftig über Wasser halten. Wenn die
versiegen, droht der Stadt mit dem Abstieg auch ökonomischer Schaden.
Schließlich ist Fußball auch für Pfeffersäcke zunächst mal Business. 116
Millionen Euro hat der HSV in der vorigen Saison umgesetzt. Ein
Schuldenstand in ähnlicher Höhe bringt den Banken Zinsen ein. Als
Arbeitgeber, Steuerzahler, Verbraucher und Merchandiser trägt der e. V.
geldwert zur Wirtschaftskraft seines Standorts bei, als PR- und Spaßfaktor
auch immateriell. Selbst die schlingernde Tagespresse der einstigen
Medienhauptstadt wird weiter an Auflage verlieren, wenn als Gegner
Heidenheim statt Bayern droht.
## Teilnahmslosigkeit und Zynismus
Ein Abstieg wäre daher auch in den Kassen spürbar. Bei Mike Ahlert etwa,
dessen Lokal „Picknick“ am Stadion an Spieltagen „nur halb so viele Gäst…
besuchen würden, wie die Bild-Zeitung auf der Suche nach den „Folgen des
Abstiegs“ dem Gastronomen entlockte. Das klingt nun eher sachlich als
ergriffen und zeigt gut die Stimmung am Ort des Untergangs.
Die nämlich liegt angesichts eines Kurses, der seit dem DFB-Pokal 1987 mit
Unterbrechungen abwärts führt, irgendwo zwischen Teilnahmslosigkeit,
Zynismus und offenem Hass. Selbst Dauerkartenbesitzer machen sich eher über
gestanzte Durchhalteparolen ständig wechselnder Trainer lustig, als eine
Atmosphäre unbedingten Miteinanders herbeizufiebern.
Das sichtbarste Zeichen der Empathie waren noch Plakate zur Rückrunde, die
irgendwas mit „Gras fressen“ insinuierten und doch bloß großformatiges
Papier waren. Selbst der Bürgermeister rang sich in der örtlichen
Morgenpost bloß ein schales „Die Situation beim HSV treibt mich um“ ab.
Wer wissen will, wie echter Existenzkampf aussieht, der muss in die Lausitz
schauen. Dort nämlich verabschiedet sich der ostdeutsche Traditionsverein
Energie Cottbus nach 17 Jahren in die 3. Liga. Und das betrifft wirklich
eine ganze Region, die außer Braunkohle, Braunkohleabraum und
Braunkohlearbeitslosen vor allem eins zu bieten hatte, was noch für
Gemeinsinn sorgte: Ihren FC mit dem kraftvollen Namen.
In Hamburg aber ist kein Feuer im Support – nicht auf der Straße, nicht auf
den Rängen. Und falls doch, brennt es irgendwie durch: Wer die
wutverzerrten Gesichter mitgereister Fans nach der Niederlage in Augsburg
vom Sonntag erlebt hat, wünscht ihnen einen Crashkurs in Sachen
Spielermotivation bei den Anhängern des benachbarten FC St. Pauli, wo man
scheinbar besser weiß, dass sich wahre Zuneigung erst im Schlechten zeigt.
Im Sozialismus, verglich Bill Shankly seine Sicht von Fußball mal mit
Politik, „arbeitet jeder für den anderen und alle bekommen einen Teil des
Gewinns.“ Aber Hamburg ist ja bekanntlich ziemlich kapitalistisch.
2 May 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=IwuQIdS-hVE
## AUTOREN
Jan Freitag
## TAGS
Fußball
St. Pauli
Hamburger SV
2. Bundesliga
Abstieg
Dinosaurier
Fußball-Bundesliga
FC Bayern München
Fußball-Bundesliga
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
HSV im Abstiegskampf: Der Abgesang muss warten
Der HSV stemmt sich gegen den drohenden Abstieg und geht trotz
1:4-Niederlage gegen den FC Bayern München mit einem psychologischen
Vorteil ins Saisonfinale.
32. Spieltag Fußball-Bundesliga: Warmgespielt fürs Duell mit Real
Die Bayern spielen 5:2 gegen Bremen. Wolfsburg bleibt vorerst „nur“ im
Europapokal-Wettbewerb. Und Nürnberg folgt wohl Braunschweig in den Keller.
Abstiegskampf in der Bundesliga: Depression beim HSV
Nachdem der Hamburger SV gegen den VfL Wolfsburg mit 1:3 verloren hat,
scheint der rettende 15. Platz in der Fußball-Bundesliga kaum mehr
erreichbar.
HSV verliert gegen Wolfsburg: Eher Bochum als Bayern
Die Bundesligauhr in Hamburg droht stehenzubleiben. Der HSV zeigt gegen
Wolfsburg Auflösungserscheinungen und taumelt Richtung 2. Bundesliga.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.