# taz.de -- Vor dem Volksentscheid in Berlin: Warum das Feld gut ist, wie es ist | |
> Der als Provisorium entstandene Freiraum wird angenommen. Warum ist das | |
> so? Ein Essay. | |
Am Anfang war der Zaun. Der schirmte einst, als noch keine Skater, sondern | |
Flugzeuge über die Rollbahnen in Tempelhof rollten, den Flughafen ab. | |
Gitter, zwei Meter hoch, gekrönt von Stacheldraht. Dann waren die Flugzeuge | |
weg, und der Zaun trennte all die Städter von der verheißungsvollen Weite, | |
die nun brachlag und auf neue Nutzer wartete. Die ersten Demonstranten | |
schnitten Löcher in den Zaun, banden schwarz-rote Flaggen daran, versuchten | |
darüber zu klettern – aber der Zaun blieb. Er blieb auch dann, als im Mai | |
2010 das Flugfeld für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Allerdings nur | |
tagsüber. In der Dämmerung fahren die Parkwächter die Eingänge ab und | |
schließen den Park zu. | |
Was als Kompromiss begann, kann heute als ein durchaus erfolgreiches | |
Experiment betrachtet werden. Ein Experiment, das bei Weitem nicht perfekt | |
ist, aber das doch zeigt, dass zwischen den beiden Extremen – der | |
ungeregelten Freiheit eines Parks wie dem Görli, bei dem im Sommer wenig | |
grünes Gras und für manche wenig Erholung bleibt, und den nicht nutzbaren | |
Museumslandschaften mit Eintritt, wie sie manche Stiftung plant – viel | |
Spielraum fürs Ausprobieren, fürs Raumsuchen ist. | |
Bei der Eröffnungsfeier skandierten Demonstranten noch „Weg den Zaun!“, es | |
gab Sitzblockaden, Verhaftungen und die Forderung, den Park rund um die Uhr | |
zu öffnen. Heute, vier Jahre später, sind solche Forderungen nicht mehr zu | |
hören. „Das Beibehalten des ehemaligen Flughafenzauns hat sich sehr gut | |
bewährt“, sagt Michael Krebs von Grün Berlin, das als landeseigenes | |
Unternehmen für Tempelhof zuständig ist. | |
Selbst einer der Garten-Aktivisten, die an der Ostseite des Feldes ihre | |
Stadtgärten angelegt haben, sagt, er sei heute, obwohl „eigentlich | |
Anarchist“ und zu Beginn ein vehementer Gegner der Abschottung, froh über | |
den Zaun. „Wenn in den Gärten randaliert oder geklaut wurde, war das immer | |
nachts.“ | |
Eintritt kostet das Feld nicht, es gibt keine Einlasskontrollen, die | |
Besucher sind genauso gemischt wie in anderen innerstädtischen Parks. Aber | |
im Görlitzer Park und der Hasenheide gibt es Diskussionen über die | |
Sicherheit, über den Umgang mit Dealern, mit Gewalt. Es gibt Beschwerden | |
von Anwohnern und Eltern, die argumentieren, sie könnten mit ihren Kindern | |
die Parks nicht mehr nutzen oder nur noch ausgewiesene Teile davon. Und | |
andere, die gegen vermehrte Kontrollen protestieren, weil sie die Parks als | |
letzte Freiräume betrachten, weil sie sich dort nicht auch noch unter | |
Beobachtung fühlen wollen. | |
Nichts dergleichen in Tempelhof. Es gebe praktisch keine Kriminalität auf | |
dem Feld, sagt Michael Krebs von Grün Berlin. Kaum Verstöße gegen die | |
Nutzungsordnung, außer ab und zu ein Hund, der nicht angeleint ist. Ob | |
tatsächlich weniger Müll anfalle als in anderen Parks, lasse sich nicht | |
sagen. Aber das Feld mache immer einen recht sauberen Eindruck. | |
Warum funktioniert in Tempelhof relativ reibungslos, was in anderen Parks | |
zu Problemen führt: dass unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen | |
Bedürfnissen eine große Freifläche gemeinsam nutzen, ohne dass es zu | |
größeren Problemen kommt? Was ist so anders in diesem provisorischen, | |
spontan entstandenen Freiraum, der eigentlich nie als Park gedacht war, und | |
in mancher Hinsicht durchaus als Modell dienen kann dafür, wie mit den | |
Herausforderungen städtischer Freiflächen umgegangen werden kann, um | |
möglichst vielen Nutzern Raum zu bieten? | |
Natürlich, ein Faktor ist die Struktur des Feldes: Eine, die sich stark vom | |
klassischen Konzept Park unterscheidet, mit lauschigen Plätzchen, | |
Sichtachsen, vielen gestalteten Details. Drogenhandel, heißt es auch auf | |
einem Blog, würde in Tempelhof kaum funktionieren. Es gibt keine Bäume, um | |
sich zu verstecken, das Feld ist zu weitläufig, als dass die Kunden schnell | |
zu den Dealern gelangen könnten. | |
Da sind aber auch Kontrolleure, die meist recht unauffällig patrouillieren | |
und Besucher auf Verstöße gegen die Nutzungsordnung hinweisen. Und da ist | |
eine Form von „Halbregulierung“, die sich offenbar bewährt hat – viellei… | |
gerade deshalb, weil sie nicht von vornherein festgeschrieben war, weil sie | |
auf die Bedürfnisse der Parknutzer reagiert hat. Weil Spielraum da war, | |
flexibel zu reagieren. Eine Form der Regelung, die weniger festschreibt, | |
was erlaubt und was verboten ist, als vielmehr Orte zuweist, Areale | |
eingrenzt, das Feld strukturiert. Es gibt für alles Raum, aber eben einen | |
festgelegten. Es gibt umzäunte Areale, wo Hunde frei rennen dürfen, es gibt | |
Wiesen, wo gegrillt werden darf, und andere, die den brütenden Lerchen | |
vorbehalten sind. Es gibt Gärten und Kunstinstallationen, Betonflächen zum | |
Skaten, gemähtes und ungemähtes Gras. | |
Es gibt aber auch eine Infrastruktur, die unauffällig viele Konflikte | |
verhindert und in ihrer Pragmatik durchaus vorbildhaft für andere Anlagen | |
sein kann. Überall auf die Fläche verteilt stehen in regelmäßigen und nicht | |
zu großen Abständen Müllcontainer, bei denen, wie Grün Berlin betont, | |
darauf geachtet werde, dass sie nie zu voll sind. „Mülltourismus“, den es | |
häufig in anderen Parks gebe, werde darüber hinaus durch das nächtliche | |
Abschließen verhindert. Rund um die Grillanlagen gibt es extra Container | |
für heiße Kohlen. Sanitäranlagen verhindern, dass man sich in die nicht | |
vorhandenen Büsche schlagen muss. Sie werden – was in fast allen anderen | |
Parks nicht üblich zu sein scheint – täglich gereinigt. Wenn viel los ist | |
auf dem Feld, ist dafür sogar den ganzen Tag jemand vor Ort. | |
Tempelhof, das ist klar, ist kein Park zum Anschauen. Es ist ein Park, bei | |
dem die Form nicht die Funktion vorgibt, sondern der so offen war, dass die | |
sich spontan entwickelnde Nutzung ihn formen konnte – was sich dabei | |
ergeben hat, kann Vorbild sein für bestehende und künftige Freiflächen. Es | |
kann in vieler Hinsicht Anregungen geben für die Frage, wie sich Menschen | |
die Freiflächen in einer Stadt nutzbar machen und wie sich diese Nutzung | |
entwickeln kann. | |
In vieler Hinsicht – doch gewiss nicht in aller. Denn eines, was Tempelhof | |
bietet und was sicher viele potenzielle Konflikte vermeidet, haben nur | |
wenige andere Parks und Flächen in Berlin zu bieten: Raum. Und davon | |
richtig viel. Wen die Grillschwaden stören, der geht zur nächsten Wiese | |
hinüber, wer seinen Hund rennen lassen möchte, kann dies tun, ohne dass er | |
Schimpftiraden besorgter Eltern fürchten muss. Man kann sich aus dem Weg | |
gehen, man kann sich seine Nische suchen, man muss sich nicht streiten, | |
nicht arrangieren, sich nicht entscheiden, wem der Platz gehört. Er muss | |
niemanden gehören, weil es, trotz der Masse an Besuchern, genug davon gibt. | |
In einer Großstadt wie Berlin, wo so viele Menschen, Vorlieben, | |
Verhaltensweisen aufeinanderprallen, ein Luxus, der selten zu finden ist. | |
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8 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
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