# taz.de -- Hundeflüsterin über Menschen und Tiere: „Hunde sehen in uns Aut… | |
> In der DDR sang sie, in der BRD suchte sie nur – und floh nach Russland. | |
> Heute ist Maja Nowak „Hundeflüsterin“. Ein Gespräch über Treue, Frieden | |
> und Sand. | |
Bild: Maja Nowak mit einer Dorfbewohnerin Mitte der 1990er Jahren im russischen… | |
taz: Frau Nowak, Sie sagen, Sie kommunizieren mit Hunden. Kann man das | |
lernen? | |
Maike Maja Nowak: Jeder, der den Mut hat, Kontrolle aufzugeben und | |
instinktiv zu handeln. Wir sind ja Instinktwesen, sonst würden wir nicht | |
schadlos durch ein Einkaufszentrum kommen. Dort wissen wir innerhalb einer | |
Hundertstelsekunde, ob der andere ausweicht oder nicht. | |
Manchmal wippen wir parallel zum Gegenüber hin und her … | |
… wissen aber meistens, wer nachgibt. Das entscheidet nicht unser Kopf, | |
sondern unser Instinkt. Der funktioniert prächtig. Nur erleben wir im | |
Alltag keine Überlebenssituationen mehr. | |
Doch, beim Autofahren. | |
Stimmt, da ist unser Überlebensprogramm aktiviert. Da sind wir sehr | |
schnell, weil wir in Gefahrensituationen instinktiv handeln. | |
Ihre Seminare sind anderthalb Jahre im Voraus ausgebucht, Ihre Sendung im | |
ZDF hat ein bis zwei Millionen Zuschauer. Ist das Verhältnis zwischen | |
Mensch und Hund gestört? | |
Ja. Die Idee, Hunde zu dressieren, wie Software bespielen zu wollen, damit | |
sie keine Probleme machen, funktioniert nicht. Wir wollen es uns immer | |
einfach machen und machen es uns damit schwerer. Wir halten Hunde und | |
wissen nichts von ihrer Welt. Wir wissen häufig nur, was uns an ihnen | |
gefällt. Ähnlich, wie wenn wir uns verlieben. Wir projizieren etwas in | |
unser Gegenüber, und was nicht passt, wird ausgeblendet. | |
Sie setzen Hunde und Menschen gleich. | |
Selbstverständlich. Hunde sind hochkomplexe, fühlende, soziale Wesen. Und | |
wir verwenden sie häufig als Retter für unsere emotionale Versorgung, weil | |
wir das bei eigenen Artgenossen nicht mehr finden. Viele lagern auch ihre | |
Probleme auf den Hund aus. Andere sehen den Hund als Accessoire. Sie wollen | |
etwas Besonders sein, durch ihren Hund gesehen werden. | |
Klingt nach einer Welt voller Narzissten. | |
Nein, einer Welt voller Individualisten. Kaum jemanden interessiert, warum | |
es ein Problem überhaupt gibt und dass wir selbst das Problem sein könnten. | |
Es gibt so viele Singles, so viele kinderlose Paare, die sich einen Hund | |
anschaffen. Die Verbindung unter Menschen wird in der Vereinzelung immer | |
nebensächlicher. | |
Sie sagen, manche Hunde werden als Leithunde geboren, andere als | |
Teamplayer. Ist das bei Menschen auch so? | |
Es gibt überall Entscheidungsträger und Ausführende. Anders könnten wir | |
nicht überleben. Natürlich kann ein Ausführender versuchen, eine | |
Führungsrolle zu übernehmen. Das versuchen Teamplayer-Hunde auch, wenn kein | |
Leitwesen vorhanden ist. Sie werden jedoch, wie Menschen, krank, wenn sie | |
etwas tun, wofür sie keine natürliche Kompetenz besitzen. Menschen bekommen | |
etwa Burn-out oder Depressionen, Hunde zeigen Stress- und | |
Aggressionssymptome. | |
Sie sind keine Hundetrainerin, man nennt Sie „Hundeflüsterin“. Wie | |
unterhalten Sie sich mit den Tieren? | |
Hundetrainer trainieren Hunde, ich lehre Mensch-Hund-Kommunikation. Es geht | |
darum, keine Dressurmethoden mehr über die hündische Natur zu stülpen. Ich | |
lehre klare Führung für Teamplayerhunde und Kooperation mit Leithunden. | |
Das heißt? | |
Wichtig ist zum Beispiel die Körpersprache. Wenn ein Teamplayerhund ohne | |
Freigabe nach vorne stürmt, muss er diszipliniert werden. Durch ein kurzes | |
Geräusch wie „Ssssch“ kann man ihm zu verstehen geben, dass das nicht in | |
Ordnung ist. Wenn er sich nicht selbst korrigiert, kann man sich ihm in den | |
Weg stellen oder die Rückkehr einfordern durch Hinlaufen und einen | |
Fingerstüber, der einem kurzen Abschnappen eines Hundes ähnelt. Es geht bei | |
Teamplayerhunden darum, ihnen keine Entscheidungen zu überlassen und ihnen | |
zu vermitteln, ob sie handeln sollen oder nicht, so wie es Leithunde tun. | |
Die meisten Hunde erkennen ihre Menschen deshalb nicht an, weil es bei | |
ihnen diese in einem Rudel wichtigen Grundsätze nicht gibt. Viele Hunde | |
sehen in Menschen einfach wunderbare und funktionsfähige Automaten. | |
Automaten? | |
Wir sind für Hunde unglaublich leicht zu lesen und zu begreifen. Was mich | |
so erstaunt, ist, wie schwer wir für uns selbst zu begreifen sind. | |
Was lesen Hunde denn in uns? | |
Wer du bist. Ob du zu den Automaten gehörst oder eine Beziehung eingehst. | |
Gegen einen treuen Blick und Pfotenauflegen sind die meisten Menschen | |
machtlos, weil sie das als Liebe ansehen. Der Hund bedient jedoch oft nur | |
einen Knopf am Automaten. Diese Wahrheit ist unbequem und wirft uns auf das | |
zurück, was wir eigentlich von Hunden brauchen. | |
Vielen Hundehaltern fällt es schwer, Tabus zu setzen … | |
… dabei täten sie den Hunden damit einen Gefallen. Bei menschlichen | |
Beziehungen ist das ähnlich. Wir trauen uns nicht, nein zu sagen. Man | |
könnte uns ja nicht mehr lieb haben. Den Hunden ist das egal, die wollen | |
uns – und sich untereinander – nicht lieb haben. Es geht darum, sich | |
aufeinander verlassen zu können im Alltag und bei Gefahr. Hunde brauchen | |
Menschen, die sie führen. Wir lassen unsere Kinder ja auch nicht das | |
Onlinebanking übernehmen. Kinder brauchen, wie die meisten Hunde, | |
Entscheidungsträger, sonst sind sie überfordert und reagieren entsprechend. | |
Was können wir von Hunden lernen? | |
Ihr soziales Wesen. Hunde bewerten niemanden. Denen ist egal, ob jemand | |
dick oder dünn ist. Wir können Geduld lernen. Wenn wir eine Entscheidung | |
durchsetzen wollen, versuchen wir es mit Druck. Leithunde beharren mit | |
Präsenz, bis die Entscheidung umgesetzt wird. Hunde sind außerdem nicht | |
nachtragend. Sie handeln sofort. Wir stauen oft Wut auf, weil wir Angst | |
haben, nicht gemocht zu werden, wenn wir sie äußern. | |
Sie leiten heute das „Dog-Institut“ in Berlin, haben drei Bücher | |
geschrieben, Sie treten in Talkshows auf. In den Neunzigern haben Sie in | |
einem kleinen Dorf in Russland gelebt. Wie gingen die Menschen dort mit | |
ihren Hunden um? | |
Es gab in Lipowka 90 Hunde und 86 alte Menschen, die sich selbst versorgt | |
haben. Die Hunde mussten sich auch selbst versorgen, gingen jagen, liefen | |
frei herum. Die Menschen haben sie nicht sonderlich beachtet. Sie brauchten | |
sie nicht als emotionale Stütze. Die Hunde lebten deshalb in großer | |
Freiheit, teilweise in Rudeln. Obwohl sie nicht gefüttert wurden, waren sie | |
den Bewohnern eng verbunden, sie folgten ihnen. | |
Warum sind sie bei den Menschen geblieben? | |
Das ist das große Geheimnis. Warum schließen sich Hunde Menschen an? | |
In Deutschland betreiben wir Hundehaltung nach der Reißbrettmethode: | |
dreimal täglich Fressen, zweimal Spazieren, einmal wöchentlich Hundesport. | |
Auffällig ist, dass die Hunde in Lipowka mit den Menschen mitgelaufen sind, | |
freiwillig. Und was üben wir mit unseren Hunden? Dass der Hund zu uns | |
kommt. Warum? Weil er im Park sofort weg ist, ohne Leine. In einem Rudel | |
gibt es eine natürliche Schranke, Arbeitshunde würden sich nie vom Leithund | |
entfernen, ohne dass der sie freigegeben hat. Und wir, wir werfen Bälle von | |
uns weg und bringen bereits einem Welpen bei, dass er sich von uns | |
entfernt. Wir machen diese natürliche Schranke kaputt. Der Hund ist dann | |
auf den Ball fixiert und hat zum Menschen gar keinen Bezug. | |
Wenn Sie an Lipowka denken, woran denken Sie zuerst? | |
Frieden. Und Sand. | |
Sie wurden in der DDR geboren, waren damals bekannte Liedermacherin. Wieso | |
konnten Sie Ihre Karriere nach der Wende nicht fortsetzen? | |
Weil es niemanden wirklich interessierte, was DDR-Liedermacher zu sagen und | |
singen hatten. | |
Sie galten als Rebellin. | |
Ich habe einfach meine Meinung gesagt. Ich habe auch keine politischen | |
Lieder im Sinne von Tagespolitik geschrieben. Mich haben Menschen | |
interessiert, die ja das Material sind, aus dem Politik gemacht wird. | |
Natürlich habe ich Ärger bekommen. Aber das ist nichts Besonderes für den | |
Osten gewesen. | |
Sie haben eine der ersten Frauenbands der DDR gegründet und dort zum ersten | |
Mal über lesbische Liebe gesungen. | |
Wir haben unser erstes Programm gemacht, mit dem Untertitel „Normen in der | |
Gesellschaft“. Da war ein Lied dabei über Homosexualität. Damals war es | |
wohl unglaublich, dass sich das jemand traut, deshalb war es so dominant in | |
der Wahrnehmung. | |
Darum erhielten Sie Auftrittsverbot? | |
Weil es nicht erlaubt war. Für den Staat stellten Abweichung von der Norm | |
ein Verbrechen dar, für mich sind sie Ausdruck von Lebendigkeit. | |
Warum flohen Sie später aus dem neuen Deutschland? | |
Nach dem Mauerfall habe ich in der BRD nach etwas gesucht, das mich reicher | |
macht. Und nichts gefunden. | |
Zog es Sie deshalb Richtung Osten? | |
Ich habe sehr früh angefangen, Gorki und so was zu lesen. Russische | |
Märchen. Ich spürte, dass in der DDR nur schwarz-weiß gelehrt wurde. Es gab | |
kein Grau oder Bunt. Und in diesen russischen Erzählungen und Romanen war | |
die Welt ganz anders. Es gab Zwischentöne, Geheimnisse, Mystisches. Als die | |
Wende kam, entdeckte ich zufällig die Dichterin Marina Zwetajewa in der | |
deutschen Nachdichtung, da kam diese Sehnsucht wieder auf. Ich bin dann | |
nach Moskau, mit einer großen Neugier, dass ich jetzt diese Geheimnisse, | |
die ich als Kind gespürt habe, kennen lernen konnte. | |
Was brachte Sie dann, mit Anfang dreißig, in jenes russische Dorf, 800 | |
Kilometer von Moskau? | |
Eine Kollegin wollte mich mitnehmen, weil sie dort ein Häuschen hatte, ich | |
wollte anfangs gar nicht hin. Erst waren wir im Zug, dann im Auto, dann | |
ging es 18 Kilometer zu Fuß weiter, über zwei Flüsse. Von Herausforderung | |
zu Herausforderung fiel mehr Kontrollzwang von mir ab. Und nach zwei | |
Stunden in diesem Dorf hatte ich das Gefühl, dass ich dort sein will, dass | |
ich dort leben will. Und ich blieb. Fast sieben Jahre lang. | |
Und irgendwann kam Wanja. | |
Das war auch Liebe auf den ersten Blick. Dieser Hund hat mich ausgesucht. | |
Es wurden letztlich zehn wilde Hunde, mit denen Sie dort lebten. Was haben | |
die Tiere Ihnen beigebracht? | |
Ich habe sie beobachtet, ihr natürliches Verhalten im Rudel. Wanja als | |
Leithund. Damals wusste ich es nicht, aber letztlich waren diese Jahre der | |
Auslöser für das, was ich heute lebe und arbeite. | |
Damals dachten Sie noch nicht an Mensch-Hund-Kommunikation. Sie hatten 17 | |
Jahre als Liedermacherin gearbeitet und Musikpreise gewonnen. 1997 kehrten | |
Sie als Adriana Lubowa nach Deutschland zurück, auf Einladung eines | |
Veranstalters traten Sie hier wieder auf. Sie sprachen mit russischem | |
Akzent. Wofür brauchten Sie auf der Bühne eine solche Identität? | |
Es ging um einen befristeten Aufenthalt von ein paar Konzertwochen. Ich | |
wusste nicht, wie ich all das Fremde, was mich hier umgab, anders abfangen | |
soll. | |
Selbst vor Freunden sollen Sie Ihre Rolle nicht abgegeben haben. | |
Wozu, eine Kunstfigur ist für die Kunst und nicht für Freunde. Sie war eine | |
Möglichkeit, in der Öffentlichkeit da zu sein und zugleich nicht da zu | |
sein. | |
Wieso sind Sie dann doch in Deutschland geblieben und nie wieder nach | |
Lipowka? | |
Weil in dieser Zeit alle mir wichtigen Wesen in Lipowka gestorben sind. Die | |
Babuschkas, die Hunde und zum Schluss: Wanja. Für so viele Abschiede hatte | |
ich damals kein Repertoire, außer mich in die Arbeit zu stürzen. Ich hatte | |
weiter Erfolg als Sängerin, aber nach zwei Jahren bin ich morgens | |
aufgewacht und konnte mich nicht mehr bewegen, nicht mehr auftreten. Ich | |
war Stichwortgeber für Emotionen gewesen. Die Gefühle, die sich beim | |
Publikum entwickeln, haben nichts mit mir zu tun. Man kommt da ja nicht | |
vor, man ist einfach Projektionsfläche und sendet. | |
Also haben Sie sich wieder an die Hunde erinnert? | |
An einem Morgen, im Jahr 2002 war das, war die Sehnsucht so groß, dass ich | |
aus einem Tierheim einen Hund holte. Er war über zehn Jahre auf einem | |
Balkon ausgesperrt. Ich wollte Viktor helfen. | |
Wollen Sie das, was Sie heute tun, immer tun? | |
Wenn man sich entwickelt, kann man morgen nie tun, was man heute tut. | |
Themen, die mich in Zukunft interessieren, sind Rückübertragungen der | |
Ursachen gestörter Hunde auf die Menschenwelt. Etwa Seminare für | |
Führungskräfte oder die Beschäftigung mit Burn-out und ADHS. | |
Sie meinen, genauso wenig wie Hunde täglich Hundesport brauchen, brauchen | |
Kinder Ritalin? | |
Beide bräuchten die Möglichkeit, Dinge nachvollziehen zu können, in ihrem | |
Tempo. Kurse, Schule, Musik, Sport: Und dann haben Kinder plötzlich ADHS. | |
Bei einem Hundewelpen sieht man das gleiche Verhalten, wenn Außenreize zu | |
schnell auf ihn einströmen und er Entscheidungen treffen soll. | |
Wieder etwas, das wir von Hunden lernen können? | |
Ja. Welpen verlassen anfangs gar nicht ihre Höhle, erst im Laufe der Zeit, | |
je nach Entwicklungsstatus, gehen sie Meter für Meter hinaus. Die Mutter | |
hat ein Gespür dafür, welcher Welpe welche Kompetenz hat, dafür, was er | |
kann. Wir aber schaffen uns Welpen an und stellen sie in die übervolle | |
Welt. Genauso machen wir es oft mit Kindern: Es laufen immer zehn Filme auf | |
einmal. Anhalten kann aber jeder. | |
Und – halten Sie an? | |
Ich lebe wieder in einem kleinen Haus am Wald, fast wie damals. Im Wald bin | |
ich dreimal am Tag, in der Stadt zweimal im Jahr. Für deutsche Verhältnisse | |
lebe ich wohl wie in Lipowka. | |
27 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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