| # taz.de -- Legendäres Stones-Konzert in Berlin: Beat und Schläge | |
| > Die Randale nach dem Konzert 1965 in der Waldbühne hatte auch Folgen für | |
| > DDR-Beatbands. Das Regime ging danach hart gegen sie vor. | |
| Bild: Die Stones in der Berliner Waldbühne - allerdings nicht 1965, sondern 19… | |
| „Die traurigen Reste der Westberliner Waldbühne nach dem Auftreten der | |
| Rolling Stones sollten Warnsteine für alle Verantwortlichen sein, die an | |
| der Erziehung unserer Jugend beteiligt sind. Das sind die Lehrer, | |
| FDJ-Sekretäre, Meister, Brigadiere, Gastwirte, Jugendklubleiter, die | |
| Angehörigen der Volkspolizei und nicht zuletzt die Familienangehörigen.“ | |
| Diese mahnenden Worte schrieb nicht ein DDR-Politkommissar nach dem aus dem | |
| Ruder gelaufenen Stones-Gig am 15. September 1965, sondern die Ostberliner | |
| Beatgruppe Sputniks für das SED-Zentralorgan Neues Deutschland. Man kann | |
| davon ausgehen: auf ausdrückliche Bestellung. | |
| Das Konzert der Rolling Stones in der Waldbühne, das nur 25 Minuten dauerte | |
| und in zünftiger Randale endete, hatte auch in Ostberlin schwer Eindruck | |
| hinterlassen. Negativen und positiven, je nachdem. Geschockt waren vor | |
| allem die Erziehungsberechtigten aus Partei, Staat und Familien. Die | |
| Jugendlichen zeigten sich durchaus fasziniert von dem, was da im | |
| unerreichbaren Westen abging. | |
| ## „Yeah, Yeah, Yeah“ | |
| Doch dass die Genossen ihre Bemühungen bei der Schaffung „allseits | |
| entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ konterkariert sahen, verhieß | |
| nichts Gutes. Papa Ulbricht gab die staatliche Richtung vor, dass ja nun | |
| mal gut sei mit dem „Yeah, Yeah, Yeah“. Das galt auch für den jungen Achim | |
| Mentzel aus Prenzlauer Berg, heute ein stadtfestbekannter Schunkelbarde, | |
| Mitte der Sechziger ein schon legendärer Repräsentant des rockigen Sturm | |
| und Drang. Mit seiner Band Diana Show Quartett hätten sie „ordentlich auf | |
| Beatles und Stones“ gemacht, berichtet Mentzel heute. „Richtig wild, | |
| deswegen hießen wir ja Diana, nach der Göttin der Jagd. Wenn ich unsere | |
| selbst gebastelten Boxen mit den Zähnen hielt, haben die Leute getobt.“ | |
| Der Stammklub der Band war der Saalbau Friedrichshain. Bis zum Herbst 1965, | |
| als die SED nach dem Stones-Auftritt in Westberlin die Leine für die | |
| DDR-Beatgruppen wieder anzog. „Wir hatten das erst gar nicht mitbekommen, | |
| sondern uns noch gefreut, dass unsere Band auf der Titelseite des | |
| Satiremagazins Eulenspiegel war.“ Sie hätten sich wie die Helden gefühlt, | |
| dabei war das eine Story über die Langhaarigen, die immer rumlungerten und | |
| die Musik der Band hörten. „Kurze Zeit später wurden die wilden Bands mit | |
| Auftrittsverbot belegt“, so Mentzel. Das habe die Butlers in Leipzig | |
| getroffen, die Klosterbrüder in Magdeburg und eben das Diana Show Quartett | |
| in Berlin. „Wir sind sehr plötzlich zur Armee eingezogen worden.“ | |
| Damit endete eine kurze Phase erstaunlicher Freizügigkeit in der | |
| DDR-Jugendkultur. Die Beatlemania war auch über die Mauer geschwappt. | |
| Allein in Ostberlin schrammelten rund 300 Gitarrencombos mehr oder weniger | |
| stilsicher auf den Bühnen der Klubs und Kulturhäuser – oft mit dem Segen | |
| des staatlichen Jugendverbandes. | |
| Denn nach dem Mauerbau hatte bei der FDJ und auch unter Künstlern eine | |
| gewisse Euphorie geherrscht, den Aufbau des Sozialismus als ungestüme | |
| Angelegenheit zu betrachten, bei der man ruhig mal Spaß haben dürfe. Oder | |
| im damaligen Funktionärsdeutsch gesagt, alles, „was schöne und saubere | |
| Gefühle entwickelt und zu gutem Geschmack erzieht“, war förderungswürdig, | |
| einschließlich der heiteren Muse. Im Februar 1965 erschien die erste | |
| Beat-LP der DDR, und die FDJ rief sogar einen | |
| Die-DDR-sucht-die-Super-Beatband-Wettbewerb ins Leben, der den | |
| unrock’n’rolligen Titel trug: „Zentraler Leistungsvergleich der | |
| Gitarrengruppen“. Die Konzerte selbst hatten schon mehr Pep, wie ein | |
| Berliner FDJ-Spitzenfunktionär bei einem Ausscheid in Karl-Marx-Stadt | |
| erlebte, wo begeisterte Fans auf den Bänken tobten und vereinzelt leere | |
| Bierflaschen auf Bands und Zuschauer flogen. | |
| Die Berliner Krösusse der „heißen Musik“ waren Kapellen wie The Lunics, | |
| Sputniks und das Diana Show Quartett, das als Ersatz-Stones zur | |
| Lieblingsband der Ostberliner „Gammler“ wurde. Die waren den DDR-Oberen und | |
| vielen anderen Erwachsenen, die sich eine gepflegte Tanzmusik und | |
| wohlerzogene Jugend wünschten, mit der größte Dorn im Auge. Alles | |
| unbelehrbare Gesellen, arbeitsscheues Pack – hier gab es die deutsche | |
| Einheit des gesundes Volksempfindens. | |
| Im Herbst 1965 hatte sich dann bei den ideologiegestählten Erziehern | |
| einiges an Unzufriedenheit über den Zustand der Jugend aufgestaut. Die | |
| Rolling Stones gaben mit ihrem Auftritt in Westberlin den Anlass, dass der | |
| renitente Nachwuchs im Osten wieder an die Kandare genommen wurde. | |
| Nach dem Waldbühnen-Konzert berichteten die DDR-Medien – oft in ähnlich | |
| abschätzigem Duktus wie die Westmedien – über die Stones und ihre Fans. Mit | |
| einem großen Unterschied: Die Waldbühnenschlacht wurde als vermeintliche | |
| Vorbereitung der Jugend auf andere lebensgefährliche Schlachten, sprich: | |
| Kriegsvorbereitung, entlarvt. „Es geht um das gekonnte Marschieren, ,bis | |
| alles in Scherben fällt‘. Vernebelte Köpfe und nackte Gewalt waren schon | |
| immer die besten Bundesgenossen derer, die Deutschlands Jugend in zwei | |
| Weltkriege trieben“, so das Neue Deutschland. Hammerdialektik. | |
| ## Absurde Auftrittsverbote | |
| Der Betonweg führte direkt zu einem SED-Plenum über „Probleme der | |
| Jugendarbeit“, bei dem sich Jugendverbandschef Erich Honecker an die Spitze | |
| des Kampfes gegen das DDR-Rowdytum setzte. Zwecks besserer Kontrolle der | |
| Tanzmusiker wurde im Oktober 1965 ein Berufsausweis – die legendäre „Pappe… | |
| – eingeführt und die FDJ zur Zurücknahme ihrer Förderung von Gitarrenbands | |
| gezwungen. Und es hagelte willkürliche Auftrittsverbote. „Wir bekamen nur | |
| einen Brief vom Magistrat, ohne Begründung“, erzählt Achim Mentzel. „Wir | |
| sind auch nicht wegen unserer Musik verboten worden, sondern wegen | |
| Steuerhinterziehung. Wir hatten ja gut verdient.“ | |
| Die Repressionen gegenüber den Bands waren nur ein Vorspiel für | |
| weitreichende Repressionen gegen alle Künstler. Auf dem berüchtigten 11. | |
| SED-Plenum im Dezember 1965, dem sogenannten Kahlschlagplenum, wurden auch | |
| die liberalen Ansätze in Film, Fernsehen, Theater und Literatur | |
| niedergemäht. | |
| Die Beatmusikszene versuchte man derweil umzupolen, weg von | |
| angloamerikanischen Vorbildern à la Stones hin zu einer gepflegten und | |
| pflegeleichten Singebewegung unter dem Banner der FDJ. Ein Gräuel für | |
| Mentzel. „Richtigen Bock hatte ich nicht mehr, weil man immer die Liedtexte | |
| vorlegen sollte. Dies ginge nicht und das nicht.“ Nach der Armeezeit ist er | |
| deshalb zunächst ausgestiegen und „ein ordentlicher Werktätiger“ geworden | |
| als gelernter Polsterer. | |
| Das ging ein Vierteljahr gut. Dann wurde er vom Chef des Lindenberg | |
| Sextetts als Sänger angeworben. „Damit mein Spielverbot aufgehoben wurde, | |
| übernahm er eine Bürgschaft, dass ich keine wilde Bühnenshow mehr machen | |
| würde.“ Sie seien dann oft im Saalbau Friedrichshain vor | |
| Tanzkapellenpublikum aufgetreten mit Liedern etwa von Peter Maffay. „Und | |
| wir spielten oft bei Betriebsfesten, wo ich merkte, dass ich da mit | |
| Stimmungsliedern besser rüberkomme als mit Rockmusik. Außerdem hatte ich | |
| wirklich die Schnauze voll, wie sich das mit der Beatmusik in der DDR | |
| entwickelte.“ Als Stimmungskanone hingegen konnte er wenigstens seine | |
| Narrenfreiheit genießen. | |
| Das tat Mentzel in den frühen Siebzigern unter anderem in Fritzens | |
| Dampferband, in der er sich mit Nina Hagen theatralisch austobte. „Die | |
| hatte genauso eine Macke wie ich. Wir wollten auf keinen Fall harte | |
| Rockmusik machen, sondern deutsche Songs mit eigenen Texten.“ Nina Hagen | |
| ging 1976 in den Westen und wurde ein Punkstar, Achim Mentzels | |
| Karrierewende führte ihn aufs Gebiet der Schunkel- und Mitklatschmusik. | |
| ## „Die Stones – Wahnsinn“ | |
| Mick Jagger, den er vor einem halben Jahrhundert als Frontmann des Diana | |
| Show Quartetts so wild kopierte, dass er Fans und Funktionäre in Rage | |
| trieb, hat Mentzel erstmals 2006 live gesehen. „Mein Sohn hatte mir zum 60. | |
| Geburtstag Karten fürs Stones-Konzert im Olympiastadion geschenkt. Es war | |
| der blanke Wahnsinn.“ | |
| 10 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Leue | |
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