# taz.de -- Kulturpolitik in Belgrad: Die Moderne im Tresor | |
> Seit Jahren ist das Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad | |
> geschlossen. Es müsste saniert werden, doch das Geld fehlt. | |
Bild: Das Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad, in dem seit sieben Jah… | |
BELGRAD taz | Schaut man von der Belgrader Festungsanlage auf den | |
Zusammenfluss von Donau und Save hinab, fallen einem die spitz zulaufenden | |
Dächer eines futuristischen Baus aus den 60er Jahren ins Auge, eine Fassade | |
aus gegeneinander verschobenen Glasflächen und weißem Marmor. Hinter diesem | |
aus der Zeit gefallenen Raumschiff erhebt sich die Skyline der neuen | |
Belgrader Wohnblocks. Es ist das Museum für zeitgenössische Kunst (Muzej | |
Savremene Umetnosti – MSU), in dem einst die größte Sammlung moderner Kunst | |
aus dem jugoslawischen Raum ab 1900 untergebracht war. | |
Doch seit 2007 steht das Gebäude leer. Wegen Verzögerungen bei | |
Restaurierungsarbeiten. „Seit sieben Jahren gibt es in der serbischen | |
Hauptstadt keine repräsentative Ausstellung moderner Kunst“, sagt Vladislav | |
Scepanovic. Der Kunstprofessor ist seit einem Jahr Direktor des MSU, eines | |
Museums ohne Ausstellungsfläche. | |
Mit seinen KollegInnen wartet Scepanovic darauf, die Arbeit wieder | |
aufzunehmen. Die 8.034 Kunstwerke lagern indessen unter Tage, im Tresor der | |
Nationalbank. „Eine ganze Generation hatte keine Chance, diese Kunst zu | |
sehen“, sagt der Kurator Dejan Sretenovic. Den Verlust, der dadurch der | |
serbischen Gesellschaft entstandenen ist, kann er nicht in Worte fassen. | |
„Das Museum ist ja keine geschlossene Fabrik. Was wir verlieren, ist | |
immateriell.“ | |
2006 unterzeichnete die serbische Regierung einen nationalen | |
Investitionsplan für die Hauptstadt, in dem neben der Restaurierung des MSU | |
auch die der Nationalbibliothek und des Nationalmuseums vorgesehen waren. | |
Nach einem Jahr hätte das MSU wiedereröffnen sollen. Aber es gab keinen | |
durchdachten Stufenplan zur Instandsetzung, das Serbische Nationalmuseum | |
etwa wurde jahrelang saniert. | |
## Keine politische Unterstützung | |
Ausgereicht hat das nicht. Seit zehn Jahren ist auch dieser monumentale Bau | |
am Platz der Republik geschlossen, die 400.000 Kunstobjekten, Gemälde von | |
Picasso bis Gauguin, sind nicht zugänglich. Der Grund für die Verzögerungen | |
ist unklar, ganz offensichtlich fehlt der politische Wille. | |
Auch bei der neuen Regierung des ehemaligen Rechtsextremisten Aleksandar | |
Vucic. Vladislav Scepanovic befindet sich deshalb im Clinch mit dem | |
zuständigen Kulturministerium. „Wir haben kein gutes Verhältnis“, sagt der | |
Museumsdirektor. „Sie verhindern die Restaurierung.“ | |
An diesem Eindruck ändert auch eine eher ungewöhnliche Personalie nichts: | |
Ivan Tasovac, ehemaliger Leiter des Philharmonischen Orchesters Belgrad, | |
ist seit September serbischer Kulturminister. Viele hatten gehofft, dass | |
sich mit ihm auch die Kulturpolitik ändern würde. Aber in den | |
Positionspapieren der Regierung wurde das MSU nicht einmal erwähnt. Ein | |
Affront – und keine gute Zukunftsprognose. | |
## Begehrtes Bauland? | |
So wundert es auch nicht, dass das Kulturministerium von den für die | |
Fertigstellung des MSU in den nächsten drei Jahren veranschlagten 7 | |
Millionen Euro nur die Hälfte zahlen will – die übrigen 3,5 Millionen Euro | |
sollen an andere Häuser gehen. „All diese Leute sind seit 20 Jahren in der | |
Politik. Wenn sie es gewollt hätten, wäre der Bau vor fünf Jahren | |
fertiggestellt gewesen“, sagt Scepanovic. Er fürchtet, dass das Gebäude | |
heute vor allem für Investoren interessant sein könnte. Schließlich gehört | |
das Uferland zu den begehrtesten Bauflächen. Das MSU sucht deshalb nach | |
anderen Finanzierungswegen, nach ausländischen Geldern, privaten Spendern. | |
Was aber macht zwischenzeitlich das Museum ohne Haus? Es geht auf | |
Wanderschaft, nutzt fremde Ausstellungsflächen. Aber einfach ist das nicht, | |
denn mit 5.000 Quadratmetern hatte das MSU nach dem Nationalmuseum die | |
größte Ausstellungsfläche der Stadt. Der einzige Raum, den das Museum | |
selbst zur Verfügung hat, ist ein Salon in der Pariser Straße und die | |
Galerie „Petar Dobrovic“. | |
## Ironie der Geschichte | |
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es die zeitgenössische Kunst jüngst | |
ausgerechnet in die Räume des Museums der Geschichte Jugoslawiens | |
verschlug, zu dem auch die Grabstätte des Staatsgründer Josip Broz „Tito“ | |
gehört. Als das MSU dort Ende März eine Ausstellung mit 100 Arbeiten aus | |
der Sammlung jugoslawischer Kunst von 1900 bis 1945 eröffnete, fuhren ganze | |
Busladungen von Kunstinteressierten aus der gesamten Region vor. Rund | |
10.000 BesucherInnen kamen bis zum 18. Mai. „Wir haben den Hunger der Leute | |
nach moderner Kunst gesehen“, sagt Sretenovic, der die Ausstellung mit | |
seiner Kollegin Misela Blanusa kuratiert hat. | |
In chronologischer Ordnung präsentierten die KuratorInnen die Achsen des | |
regionalen Modernismus – Impressionismus, Pleinairismus, Expressionismus, | |
Postkubismus bis zu Segmenten der Avantgarde, konstruktivistischen und | |
surrealistischen Gemälden. „Pijana ladja – Betrunkenes Boot“ (1927) von | |
Sava Sumanovic ist das bekannteste Gemälde, ein unvollendeter Akt, der eine | |
neue Phase in der surrealistischen Kunst in der Region einleitete. „Wir | |
hatten nicht vor, die Kunstgeschichte neu zu schreiben“, betont Misela | |
Blanusa. „Ziel war es, die Sammlung zurück in die Öffentlichkeit zu | |
bringen.“ | |
Ironisch ist diese Rückkehr in die Öffentlichkeit an jenem Ort, an dem das | |
alte Jugoslawien begraben liegt, deshalb, weil die moderne Kunst ihre | |
Hochzeit genau zu dessen Zeit hatte. Hier liegen die Wurzeln des MSU: 1958 | |
wurde eine Galerie für die zeitgenössische Kunst aus der Region gegründet. | |
Jahrelang war der erste Museumsdirektor Miodrag B. Protic im Auftrag des | |
Staates durch die Welt gereist, um sich von den modernen Kunsthallen | |
inspirieren zu lassen. 1965 war das Haus fertig, seit 1987 gilt es als | |
Kulturdenkmal. | |
## Titos Budget | |
Der Status des blockfreien Landes, der Versuch einer Alternative zum | |
Staatssozialismus stellte sich als außerordentlich fruchtbar für die | |
Kulturproduktion heraus. In den 60ern entstand eine große Kunstszene: | |
avantgardistisches Theater, die Schwarze Welle im Film, alternativer Rock | |
und eben moderne Kunst. Die politische Elite stand der Avantgarde nahe, die | |
jugoslawische Kunst sollte auch die Idee einer jugoslawischen Nation | |
tragen. „Das war die wichtigste Zeit für die Entwicklung der Kunst in | |
Jugoslawien und Belgrad“, sagt Sretenovic. „Die Kulturpolitik unter Tito | |
zeichnete sich durch eine Umarmung der Gegenwartskunst aus. Das Budget war | |
entsprechend groß.“ | |
Doch inzwischen ist viel passiert: die Bürgerkriege, das Embargo und die | |
Nato-Bombardierung. Das politische und kulturelle Feld wurde komplett | |
umgepflügt. | |
## Antiintellektuelle Stimmung | |
Heute herrscht in Serbien eine eher antiintellektuelle Stimmung. Die neue | |
nationale Elite, Politiker, die nach 2000 an die Macht kamen, lehnen in | |
ihrer blinden Abgrenzung von Jugoslawien auch dessen Errungenschaften ab, | |
suchen nach neuen nationalen Erzählungen. Es sind Kinder der Bürgerkriegs, | |
Populisten, die zigmal die Partei wechseln – wie Ministerpräsident Vucic. | |
Die moderne Kunst hat es da nicht leicht: Die Rechten lehnen sie ab, weil | |
es jugoslawische Kunst ist, die Konservativen, weil sie modern ist. | |
„Die neuen politischen Eliten haben kein Bedürfnis nach Kultur“, sagt der | |
Kurator Dejan Sretenovic. Und die wenigen Linken und Liberalen? Die haben | |
ganz andere Kämpfe zu kämpfen. | |
Für die nächsten Monate stehen im öffentlichen Sektor buchstäbliche | |
Kürzungsexzesse an, eine Katastrophe für ein Land, dessen Durchschnittslohn | |
unter 400 Euro liegt, von den Folgen der Flutkatastrophe ganz abgesehen. | |
Entsprechend schwer hat es auch der künstlerische Nachwuchs. Die meisten | |
verlassen das Land. Denn anders als im alten Jugoslawien, gibt es in | |
Serbien keinerlei finanzielle Unterstützung für Kulturschaffende. Auch | |
existiert kein Kunstmarkt. | |
„Es gibt so viele Künstler, die in Belgrad einfach noch nie zu sehen | |
waren“, sagt Sretenovic. Als Chefkurator hatte er nach 2000 geholfen, das | |
Haus aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, baute die ständige Ausstellung | |
mit auf und machte das MSU, in dem es damals nicht einmal Computer gab, | |
wieder zu einer modernen Kunsthalle. Umso mehr schmerzt ihn der jetzige | |
Stillstand. Denn die Liste der verpassten Chancen ist endlos lang. | |
## Die verpassten Chancen | |
Die Idee einer ersten Ausstellung zur jugoslawischen Avantgarde musste er | |
wieder aufgeben: Zunächst sprang Slowenien nach drastischen | |
Haushaltskürzungen ab. Und in Belgrad fehlte noch immer der Raum. Dann | |
träumte Sretenovic’ Team davon, die Performance-Künstlerin Marina Abramovic | |
in ihre Geburtsstadt Belgrad zu bringen. Ihre Retrospektive war in New York | |
zu sehen, sie kam nach Moskau – und nicht nach Belgrad. „Wo hätten wir sie | |
hier ausstellen sollen?“, fragt Sretenovic. | |
Dennoch arbeitet sein Team weiter. Für den Herbst sind eine Retrospektive | |
von Sigmar Polke und eine von Gottfried Helnwein geplant – in Gasträumen. | |
Davon erhofft sich das Museum viel: hohe BesucherInnenzahlen und Werbung | |
für die Notwendigkeit der eigenen Sammlung. „Wir wollen die bekanntesten | |
Künstler nach Belgrad holen, um als Museum endlich wieder einen Platz in | |
der Gesellschaft zu bekommen“, sagt Direktor Vladislav Scepanovic. „Ohne | |
das Museum für gegenwärtige Kunst befinden wir uns nicht in der Gegenwart.“ | |
11 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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1914 | |
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