Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anschlag auf Lokal in Friedrichshain: Pizza mit Nachgeschmack
> Nach der Verwüstung eines Friedrichshainer Restaurants mit Nazi-Symbolen
> ermittelt die Polizei in alle Richtungen – auch gegen den Betreiber des
> Lokals selbst.
Bild: Nazis mögen offenbar keine Pizza.
Ist es die Geschichte eines Neonazi-Überfalls, ein Beispiel dafür, dass
Migranten nicht sicher sein können vor rechter Gewalt? Oder eine Erzählung
von nachbarschaftlicher Solidarität? Geht es um Schulden, Streit,
Versicherungsbetrug? Oder um Fehler, die Polizei und Staatsanwaltschaft
doch eigentlich nicht mehr machen wollten?
Zur Geschichte von Hussein Badiny und seinem Restaurant „Costallino“ in der
Koppenstraße in Friedrichshain gibt es viele Meinungen. Das Lokal ist
geschlossen, seit Badiny es nach eigener Aussage vor zweieinhalb Wochen
beim morgendlichen Aufschließen völlig verwüstet vorfand: Die Stühle
aufgeschlitzt, Küchengeräte zerstört, die Wände voll mit rechten
Schmierereien. „Ich war völlig unter Schock, ich stand buchstäblich vor den
Trümmern meiner Existenz“, sagt der 43-Jährige. Vor acht Monaten erst hatte
er die Pizzeria eröffnet, es war das erste Lokal für den gebürtigen
Ägypter, der seit 1995 in Deutschland lebt. Für den Vater von vier Kindern
war das Restaurant ein Lebenstraum, sagt er, er selbst hat die Räume
monatelang renoviert.
Was seit der Zerstörung passiert, beschreibt Badiny nun als
„überwältigend“: Über Facebook fand eine Initiative zusammen, die sich
solidarisch mit ihm erklärte und sofort Unterstützung organisierte. „Wir
standen ebenfalls unter Schock und mussten das in Energie umwandeln“, sagt
Dagmar Albrecht, die in der Nachbarschaft wohnt und bei der Initiative
dabei ist.
Und Energie gab es: Ein Fest wurde organisiert, bei dem etwa 200 Menschen
am vergangenen Samstag ihre Solidarität zeigten. Gleichzeitig organisierte
die Initiative einen Gutscheinverkauf. „Spenden wollte ich nicht nehmen, es
geht mir nicht so schlecht, dass ich betteln müsste“, sagt Badiny. Es gibt
aber eine Alternative: Wer ihn unterstützen möchte, kauft einen Gutschein,
der dann im neu eröffneten Restaurant eingelöst werden kann – über 2.000
Euro wurden so bisher gesammelt.
Denn neu eröffnen will Badiny – wenn auch nicht mehr am gleichen Standort.
Hier sei ihm „jedes Gefühl von Sicherheit verloren gegangen“, sagt er. Die
Initiative möchte für das Lokal eine Zwischennutzung finden, etwa in Form
einer „Kontaktstelle Nachbarschaftshilfe“. Unterstützung gibt es dabei
besonders von der Piratenfraktion. Gleichzeitig will Badiny in seinem neuen
Restaurant „etwas zurückgeben“ und ein Solidaritätsmenü für wenig Geld
anbieten.
Die Polizei ermittelt derweil in alle Richtungen – und, wie jetzt bekannt
wurde, auch gegen Badiny selbst. „Vortäuschung einer Straftat“ lautet der
Verdacht, am Mittwoch durchsuchte die Polizei die Wohnräume Badinys. Laut
Durchsuchungsbeschluss sollte nach Spraydosen sowie Dateien mit rechten
Symbolen gesucht werden, die Polizei beschlagnahmte am Ende Badinys Laptop.
Details könnten momentan nicht bekannt gegeben werden, sagt ein
Polizeisprecher. Zum Anfangsverdacht gegen Badiny gibt es nur Gerüchte:
Schulden habe er gehabt, Streit mit dem Vermieter, außerdem seien die
Nazi-Schmierereien untypisch ausgeführt.
„Ein solcher Betrugsversuch passt absolut nicht zu dem Eindruck, den wir
aus der täglichen Zusammenarbeit mit Herrn Badiny haben“, sagt Dagmar
Albrecht von der Initiative. Natürlich gebe es ein Restrisiko, dass sich
die Verdächtigungen bestätigen. Momentan sehe sie dafür aber keine
Anhaltspunkte. So sieht es auch Canan Bayram, Grünenabgeordnete aus
Friedrichshain-Kreuzberg – und zieht Parallelen: „Gerade wird hier aus
meiner Sicht ein Opfer einer rechten Straftat zum Täter gemacht – das
erinnert mich deutlich an den NSU-Skandal.“
Für die Initiative ist jedenfalls klar: „Selbst wenn sich herausstellen
sollte, dass dieser Überfall nicht ist, wofür wir ihn halten, würden wir
beim nächsten Mal genau so wieder auf die Straße gehen“, sagt Albrecht.
„Denn das ist unsere Pflicht als Bürger. Alles andere hieße, den Nazis
einen Freibrief auszustellen.“
12 Jun 2014
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Rechtsextremismus
Berlin
Anschlag
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.