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# taz.de -- Bosnien und Herzegowina ist raus: Der nächste Schicksalsschlag
> Erst Krieg, dann Überschwemmung, nun das Aus bei der WM. So manch einer
> in Sarajewo sieht sich jetzt als Opfer einer Verschwörung.
Bild: Enttäuschung beim Public Viewing in Sarajewo.
SARAJEWO taz | Die Filmerin Amela hatte schon den ganzen Tag Kopfschmerzen.
„Wenn das mal gut geht.“ Es ist nicht gut gegangen. Im Aufschrei nach dem
Pfostenschuss Edin Dzekos in letzter Minute aus den Kehlen der Besucher des
Kinos Bosna, in der sich um Mitternacht die Künstlerszene traf, lag auch
Verzweiflung. „Immer diese Ungerechtigkeit uns gegenüber,“ sagt die
Lehrerin Lejla, die in den Nationalfarben Blau und Gelb gekleidet mit einer
Tröte zum Kino gekommen ist, um auf der großen Leinwand das Spiel zu
verfolgen. Ihr Hut in diesen Farben sei die Krone von König Tvirtko, dem
wichtigsten bosnischen König im Mittelalter, hatte sie vor dem Spiel
erklärt und dabei noch geschmunzelt.
Doch danach ist die gute Stimmung vorbei und Lehrerin Lejla sauer. „Erst
verweigert man uns ein reguläres Tor und dann wird das Foul des Nigerianers
nicht geahndet, das schließlich zu deren Tor geführt hat.“ Sie verflucht
die Fifa und den französischen Fußballstar und Funktionär Platini. „Das ist
doch alles manipuliert. Die Franzosen haben wohl Angst, gegen uns zu
spielen“, ärgert sie sich.
Dass die Bosnier immer Pech haben, getroffen sind von Schicksalsschlägen,
im Krieg von den Nachbarn angegriffen, von den serbischen und kroatischen
Nationalisten bis heute diffamiert und diskriminiert, von
„Überschwemmungskatastrophen gebeutelt“ und dann auch noch beim Fußball
benachteiligt werden, das will die 53-jährige Filmerin Amela nicht
hinnehmen. In der Niederlage kulminiert für sie der ganze Schmerz der
letzten Jahrzehnte. Nach dem Schlusspfiff beginnt Amela hemmungslos zu
weinen. „Wir sind einfach geschlagen, immer im Unglück, immer
benachteiligt.“
In Sarajevo hatte man die Autos vor dem Spiel mit Flaggen geschmückt. Mit
der offiziellen nach dem Krieg eingeführten blau-gelben Flagge mit dem
Dreieck, das die Form des Landes symbolisiert. Und mit der historischen
Lilien-Flagge, die Bosnien schon im Mittelalter hatte und die während des
Kriegs in den 90er Jahren zur Flagge der sich gegen die serbische und
kroatische Aggression wehrenden bosnischen Muslimen wurde.
## Lieber für die Gegner
Im serbisch dominierten Ostsarajevo waren weder die einen noch die anderen
Flaggen zu sehen. Hier interessieren sich die meisten Leute nicht für die
Nationalmannschaft, obwohl diese aus Spielern aus allen Volksgruppen
besteht. Serbische Nationalisten wollen den Staat Bosnien und Herzegowina
ohnehin nicht anerkennen; so auch nicht die offizielle Flagge und schon gar
nicht die Fußballmannschaft. Und kroatische Nationalisten in Mostar
klatschten bei dem Tor der Nigerianer. In der serbischen Teilrepublik kamen
manche Leute in argentinischem Outfit in die Bars, um sich das Spiel
Argentinien gegen Bosnien anzusehen.
„Wir Bosniaken haben die gemeinsame, von der internationalen Gemeinschaft
oktroyierte Flagge angenommen, wir haben nach dem Krieg den Gegnern die
Hand gereicht, obwohl sie so viele von uns umgebracht haben“, schluchzt
Amira. „Wir sind einfach viel zu nett.“ Die jüngeren Leute schauen sie
etwas mitleidig an. Ihnen geht das ganze nicht so sehr ans Herz. Für sie
ist das ein Fußballspiel, leider verloren, aber es gibt Wichtigeres. Ein
junges sehr attraktives Mädchen beginnt zu tanzen. Ihre Bewegungen in den
eng anliegenden Latexhosen reißt die anderen mit. Der Saal tanzt. Bier und
Wein fließen reichlich am Tresen. Die Stimmung bessert sich.
22 Jun 2014
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
WM 2014
Bosnien und Herzegowina
Sarajevo
Salvador da Bahia
Nigeria
Nigeria
Schwerpunkt Rassismus
Argentinien
WM 2014
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