# taz.de -- Radikal künstlerisch: Die Skandal-Auslöserin | |
> Die türkische Performance-Künstlerin Sükran Moral polarisiert, weil sie | |
> schon mal nackt ins Hamam für Männer geht. | |
Bild: Moral hat 1997 ein Istanbuler Bordell in ein Museum verwandelt. | |
OLDENBURG taz | In Oldenburg findet von Mai bis November das Programm | |
„Türkei Begegnungen“ statt. Es gibt Lesungen, Theaterstücke und Konzerte. | |
Mit dabei ist das [1][Edith-Russ-Haus]. Die Leiterin Claudia Giannetti | |
zeigt dort Werke von Sükran Moral, einer der umstrittensten | |
zeitgenössischen Künstlerinnen der Türkei. | |
"Ihr Werk ist so stark, dass ich mich, als ich die Künstlerin letztes Jahr | |
in Istanbul persönlich kennenlernte, für eine Einzelausstellung mit ihr | |
entschied“, sagt Giannetti. Es ist Morals erste Solo-Schau in Deutschland | |
und zu sehen ist eine Auswahl ihrer Installationen, Videos, Fotografien und | |
Zeichnungen von 1997 bis heute. Darunter sind auch einige der Arbeiten, die | |
Sükran Moral international bekannt gemacht haben. | |
Wie beispielsweise Morals Beitrag zur Biennale in Istanbul aus dem Jahr | |
1997. Für ihre Performance mit dem Titel „Hamam“ suchte die Künstlerin ein | |
türkisches Bad nur für Männer auf. Mit großer Selbstverständlichkeit | |
bewegte sie sich nackt in der Männerdomäne und ließ die perplexen Besucher | |
an ihrem Waschen und Baden teilhaben. | |
## Ein Puff wird zum Museum | |
Oder ihre Arbeit „Bordello“, ebenfalls aus dem Jahr 1997. Für diese | |
besuchte Moral ohne Ankündigung ein Bordell im Rotlichtviertel Istanbuls, | |
brachte an die Tür ein Schild mit der Aufschrift „Museum für | |
zeitgenössische Kunst“ an und kokettierte, lediglich in ein | |
durchschimmerndes Negligé gehüllt, mit den überraschten Passanten. | |
In der Hand hielt sie einen Zettel auf dem „For Sale“ stand. So | |
thematisierte sie die universelle Kommerzialisierung des weiblichen Körpers | |
im Bordell und die von Kunstwerken und Künstlern auf dem Kunstmarkt. | |
Ihre Inszenierungen an ausgewählten öffentlichen Orten lässt Sükran Moral | |
oft filmen. So hält sie das Wechselspiel fest, dass sich mit den Zeugen | |
ihrer künstlerischen Interventionen entspinnt, all die Irritationen und | |
überraschten Gesichter, die sie mit ihrem Verhalten auslöst. | |
Dabei schafft Moral, die von Joseph Beuys beeinflusst wurde, häufig | |
Ausnahmesituationen, in denen sie die Normen und gängigen Verhaltensregeln | |
außer Kraft setzt und damit hinterfragt. Dadurch entsteht, wie die | |
Edith-Russ-Haus-Leiterin Giannetti es ausdrückt, „ein Kurzschluss in | |
unseren Wahrnehmungsmechanismen“. | |
## Moral überschreitet Grenzen | |
Immer wieder überschreitet die heute 52-jährige Moral, die im türkischen | |
Terme geboren wurde und sich den Zugang zu Bildung gegen den Willen ihres | |
konservativen Vaters erkämpfen musste, ganz bewusst Grenzen. Sie bricht | |
Tabus und hinterfragt so Traditionen sowie hierarchische Strukturen. Sie | |
bezieht Stellung zu Themen wie Homophobie, Gewalt gegen Frauen und Kinder, | |
Zwangsheirat, weibliche Beschneidung, Polygamie und Ausbeutung. Alles | |
Themen, die in ihrem Heimatland noch um ein Vielfaches brisanter sind als | |
in Deutschland. | |
Immer wieder hat Moral in der Türkei Skandale ausgelöst und war heftigen | |
Anfeindungen ausgesetzt. So auch 2010 nach ihrer Performance „Amemus“, die | |
sie vor einem ausgewählten Publikum in ihrer Istanbuler Galerie aufführte. | |
Darin spielte Moral in einem Bett eine Liebesszene mit einer anderen | |
Künstlerin nach. Moral erhielt Todesdrohungen und sah sich mit einer | |
Verleumdungskampagne in den regierungstreuen Medien konfrontiert, die dazu | |
aufforderten, auf ihr Werk zu spucken. Bis sich die Wogen wieder geglättet | |
hatten, musste sie kurzzeitig das Land verlassen. | |
Als Reaktion schuf sie die Arbeit „Mirror“, die jetzt ebenfalls im | |
Edith-Russ-Haus zu sehen ist. In der 3D-Animation ist eine Ratte zu sehen, | |
die in Richtung Zuschauer spuckt. „Das Video soll ein Spiegel sein“, | |
erklärt Moral das Werk. „Ich habe meine Kritiker zu Ratten in der | |
Kanalisation transformiert. Sie sehen in dem Film sich selbst. Ich wollte | |
so die Hypokrisie der Gesellschaft spiegeln.“ | |
## Performance beim Gezi-Protest | |
Stolz ist Moral darauf, dass die Performance-Kunst zu einer wichtigen | |
Ausdrucksform des Protestes gegen die Räumung des Gezi-Parks in Istanbul | |
geworden ist. Sie führte dort im vergangenen Frühjahr eine Performance auf. | |
Sie stieg vollständig in Weiß gekleidet, bauchfrei und mit Gasmaske auf | |
eine Parkbank und schlitzte sich mit einer Rasierklinge ein „A“ in den | |
Bauch. | |
Das „A“ steht einerseits für Anarchie und taucht andererseits im Logo von | |
Çarşı auf. So heißen die Ultrafans des Fußballclubs Beşiktaş Istanbul, d… | |
während der Proteste sehr aktiv waren. „Meine Sicht auf das Leben ist, dass | |
wir eines Tages sterben werde“, sagt Moral. „Anstatt an einer Krankheit zu | |
sterben oder an etwas, das mit meinen Eingeweiden passiert, möchte ich | |
lieber durch Konfrontation sterben.“ | |
Bedauerlicherweise gibt es in der Oldenburger Ausstellung keinen Hinweis | |
auf ihre Gezi-Performance. So entgeht den Besuchern, dass Sükran Moral auch | |
in der aktuellen Protestbewegung gegen die Erdogan-Regierung aktiv ist und | |
eindeutig Stellung bezieht. Im Hinblick auf das Programm „Türkei | |
Begegnungen“, das einen facettenreichen Blick auf die Türkei werfen möchte, | |
wäre es schön gewesen, in der Ausstellung auch einen direkten Bezug zu den | |
Protesten zu finden. | |
24 Jun 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.edith-russ-haus.de/ | |
## AUTOREN | |
Konstantin Wenzel | |
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