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# taz.de -- Eskalation im Nahost-Konflikt: Unter Dauerbeschuss
> „Wer sagt, dass er keine Angst hat, der lügt“: Die Raketen aus Gaza
> terrorisieren die Israelis. Sie versuchen, ihr normales Leben
> fortzusetzen.
Bild: Sobald die Sirenen losgehen, bleiben noch 30 Sekunden, um sich in Sicherh…
JERUSALEM taz | Adi Farrade ist erschöpft. Dreimal gab es in der Nacht zum
Mittwoch Raketenalarm in ihrer Heimatstadt Kirjat Mal’achi. „Meine Kinder
sind komplett traumatisiert. Wir haben kein Auge zugemacht.“ Als Farrade
mit ihrer Schwester und ihren drei kleinen Kindern gegen Mittag zum Bus
geht, heulen die Sirenen schon wieder auf. Mit dem kleinsten auf dem Arm
und zwei an der Hand hasten die Schwestern zum nächsten Haus und verharren
im Treppenaufgang. Es bleibt kaum 30 Sekunden Zeit, bis die Rakete
einschlagen könnte.
Die dumpfen Explosionen, die kurz darauf aus der Ferne zu hören sind,
stammen wohl von der „Eisenkuppel“, dem israelischen Raketenabwehrsystem,
und nicht von den Raketen aus Gaza. Ohne eine Entwarnung abzuwarten, gehen
die beiden Frauen und die Kinder zurück zur Haltestelle, wo schon eine Frau
sitzt. „Es ist ganz egal, wo wir uns aufhalten, wenn die Raketen kommen“,
sagt die Mittzwanzigerin Farrade. „Zu Hause haben wir keinen Bunker.“
Je größer man den Radius rings um den Gazastreifen zieht, desto weniger
sind die Menschen auf die Raketenangriffe vorbereitet. In Sderot gehören
die Sirenen zum Alltag. Routiniert bringen sich die Leute in die auf kurzen
Abständen überall in der Stadt errichteten Bunker. Kirjat Mal’achi liegt
rund 30 Kilometer nördlich von Gaza. Nur ein Bruchteil der Raketen reicht
so weit.
„Die Regierung sorgt nicht ausreichend vor, um uns zu schützen“, schimpft
Farrade, die darauf hofft, dass „die Soldaten der Hamas endlich eine
Lektion verpassen“. Die Frau, die neben den Schwestern auf der Bank sitzt,
schüttelt den Kopf. Das würde auch nichts helfen, meint sie. Israel habe
das schließlich schon oft genug versucht.
In diesen Tagen fliegen die Raketen sogar bis weit in Israels Norden, bis
nach Hadera. Als gegen 20 Uhr die Sirenen in Tel Aviv aufheulen, trifft es
die meisten Leute unvorbereitet. Im ersten Moment scheint keiner recht zu
wissen, wohin. Einer läuft dem anderen hinterher. Wer keinen Bunker hat,
dem bleibt nur das Treppenhaus. So rät es das Heimatfront-Kommando.
## Raketen haben bisher kaum Schaden angerichtet
„Es muss Krieg geben, damit ich meine Nachbarn kennenlerne“, scherzt ein
junger Mann demonstrativ entspannt. Sein offenes Hemd und die nackten Füße
deuten darauf hin, dass er doch recht hastig Unterschlupf und die Nähe der
anderen suchte.
So plötzlich die Sirenen die Menschen zusammenrücken lassen, so schnell
kehrt jeder wieder zurück zu seiner Beschäftigung. Es ist, als betätige
eine höhere Macht für ein, zwei Minuten einen Magneten und schalte ihn
anschließend gleich wieder aus. In Tel Aviv scheint der Angriff die Leute
gedanklich nicht weiter zu beschäftigen. Die Fußballweltmeisterschaft
bestimmt die Gespräche, nicht die Gefahr aus dem Gazastreifen.
Grund dafür mag das bislang recht erfolgreiche Abwehrsystem „Eisenkuppel“
sein sowie die marode Schlagkraft der Islamisten, die zwar viele Raketen
abschießen, aber bisher kaum Schaden angerichtet haben. Seit Beginn von
Israels aktueller Militäroperation „Schützende Klippe“ meldete der Rote
Davidstern – das Pedant zum Roten Kreuz – rund 60 Einsätze.
Keiner der Israelis ist direkt durch den Raketenbeschuss zu Schaden
gekommen. Sieben Menschen verletzten sich auf dem Weg in die Schutzräume,
alle anderen baten wegen ihrer Angstzustände um medizinische Hilfe. Die
beiden Freunde David Biton und Zwika Schabo aus Kirjat Mal’achi geben zu,
dass sie die Angriffe in Unruhe versetzen. „Wer sagt, er habe keine Angst,
der lügt oder ist verrückt“, meint Biton, Ende 50 und von Beruf
Malermeister.
## 40.000 Reservisten wurden mobilisiert.
Schabo ist Lastwagenfahrer, die beiden haben Ferien und treffen sich zu
Kaffee und vielen Zigaretten an einem Kiosk mit zwei kleinen Tischchen. Als
es kurz vorher Sirenenalarm gab, drängten sich alle an die hintere Tür zur
Toilette, berichten sie. „Gemütlich war es dort nicht.“ Auch hier gibt es
keine Bunker.
Die zwei Männer sind unschlüssig, ob eine Bodenoffensive jetzt angebracht
sei. „Welcher Staat würde es sich gefallen lassen“, fragt Biton, man solle
sich nur einmal vorstellen, wie Ägypten reagieren würde, wenn die Hamas
Raketen auf Kairo abschösse. Andererseits wollen beide nicht, dass
Unschuldige zu Tode kommen. „Die Zivilisten in Gaza sind nicht unsere
Feinde“, sagt Biton. Problematisch sei nur, so fügt Schabo hinzu, „dass die
Terroristen sich mitten in den Bevölkerungszentren verstecken“. Wenn die
Soldaten vorrücken, „würde es sicher Tote geben, und die Welt wird uns
dafür hassen“, nickt sein Freund.
Noch bleibt offen, ob es Israels Regierung mit der angedrohten Invasion der
Bodentruppen ernst ist. 40.000 Reservisten wurden mobilisiert.
Verteidigungsminister Mosche Jaalon kündigte an, „die Militärkampagne gegen
die Hamas in den kommenden Tagen noch auszuweiten“. Vorerst greift die
Armee aus der Luft und vom Wasser aus an. „Unser Standpunkt ist, dass die
Operation nicht so bald wieder enden wird.“
Die beiden Freunde aus Kirjat Mal’achi sind frustriert darüber, dass es
noch immer keinen Frieden gibt. „Israel ist 2005 aus dem Gazastreifen
abgezogen, und zum Dank dafür werden wir mit Raketen beschossen.“ Der
Malermeister will sich keinen Illusionen hingeben. „Hier hat es seit
Abraham keinen Frieden gegeben“, meint er. Und daran werde sich auch nichts
ändern.
9 Jul 2014
## AUTOREN
Susanne Knaul
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