# taz.de -- Beweissicherung nach Übergriff: Modellprojekt auf der richtigen Sp… | |
> Seit zwei Jahren bietet das „Netzwerk Pro Beweis“ den Opfern | |
> sexualisierter Gewalt niedrigschwellige medizinische Untersuchungen. | |
> Jetzt zogen das niedersächsische Sozialministerium und die Medizinische | |
> Hochschule Hannover Bilanz. | |
Bild: Spuren sichern, ohne sofort Anzeige zu erstatten: "Pro Beweis" verschafft… | |
HAMBURG | taz Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 8.000 Vergewaltigungen | |
angezeigt. Der Anteil der Opfer sexualisierter Gewalt, die keine Anzeige | |
erstatten, liegt je nach Studie zwischen 84,5 und 95 Prozent. Eine etwas | |
bessere Bilanz hat am Mittwoch das „Netzwerk Pro Beweis“ gezogen. Von den | |
187 Frauen und Männern, die das niedrigschwellige Untersuchungsangebot in | |
den vergangenen zwei Jahren in Anspruch genommen haben, erstattete immerhin | |
jeder fünfte bzw. jede fünfte später Strafanzeige. | |
Die Gründe für das Schweigen der Opfer sexualisierter Gewalt sind | |
vielschichtig. „Im Vordergrund steht die Angst der Frauen, dass ihnen nicht | |
geglaubt wird“, sagt Petra Klecina vom Frauennotruf Hannover. Zudem seien | |
die psychischen Belastungen, die für die Betroffenen mit einer Anzeige | |
einhergehen, immens. Für viele Frauen komme eine Anzeige nach einer | |
sexuellen Gewalterfahrung daher zunächst nicht infrage. Entschieden sich | |
Opfer nach einiger Zeit doch noch für eine Strafanzeige, seien | |
hinterlassene Spuren und zugefügte Wunden oft nicht mehr nachweisbar. | |
Ein Problem, dessen sich das Netzwerk Pro Beweis angenommen hat. Das | |
Niedersächsische Sozialministerium finanziert mit diesem Netzwerk ein | |
Angebot, bei dem Opfer sexualisierter Gewalt medizinisch untersucht werden | |
können. Seit zwei Jahren läuft das bundesweit einzigartige Modellprojekt, | |
bei dem die Opfer Spuren sichern und Verletzungen dokumentieren lassen | |
können, ohne sofort Anzeige erstatten zu müssen. | |
15 sogenannter Beweisambulanzen sind seit Juni 2012 niedersachsenweit | |
eingerichtet worden. Hier gehen speziell geschulte Ärztinnen und Ärzte nach | |
gerichtsmedizinischen Standards vor. Drei Jahre werden diese Beweise dann | |
aufbewahrt. | |
181 Frauen und sechs Männer nahmen das Angebot laut Sozialministerium und | |
Medizinischer Hochschule Hannover (MHH) bisher wahr. Bedenkt man, dass sich | |
in Niedersachsen jährlich 30.000 Frauen und Mädchen an Beratungsstellen und | |
Frauenhäuser wenden, klingt das wenig. Sozialministerin Cornelia Rundt | |
(SPD) wertet die Bilanz dennoch als Erfolg: „187 Fälle in zwei Jahren | |
verdeutlichen, dass das Projekt für Opfer von sexueller oder häuslicher | |
Gewalt richtig und notwendig ist.“ | |
Die geringe Zahl der Fälle erklärt Katja Grieger von Bundesverband der | |
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe damit, dass sich das Angebot nur | |
an diejenigen richte, für die eine Anzeige überhaupt infrage käme. „Für d… | |
Betroffenen steht zumeist nicht die Beweissicherung im Vordergrund“, räumt | |
sie ein. Die wichtigsten Fragen seien zunächst: Habe ich mich mit einer | |
Krankheit angesteckt? Welche Verletzungen habe ich? Bin ich eventuell | |
schwanger geworden? „Wichtig ist ein Gesamtpaket aus medizinischer | |
Versorgung und Spurensicherung“, sagt Grieger. | |
Aus Sicht des Leiters der Frauenklinik der MHH, Peter Hillemann, hat sich | |
das Projekt auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung bewährt: Die | |
komplexe Untersuchungsprozedur für die Frauenärzte habe sich „erheblich | |
verbessert“. | |
Da die Finanzierung des Projekts nur noch bis Juni 2015 gesichert ist, will | |
das Sozialministerium nun „Wege finden, diese Form des Beweisschutzes in | |
Niedersachsen, aber auch bundesweit dauerhaft als feste Hilfe zu | |
verankern“, so Rundt. Zur Förderung über 2015 hinaus wollte das Ministerium | |
aufgrund der noch laufenden Haushaltsaufstellung keine Angaben machen. | |
Dass der Anreiz, im Fall von sexualisierter Gewalt Anzeige zu erstatten, | |
für die Betroffenen gering ist, zeigt das Ergebnis solcher Strafverfahren: | |
Nur in 8,4 Prozent der angezeigten Fälle wird der Täter verurteilt. | |
11 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Medizin | |
Sexualisierte Gewalt | |
Opferschutz | |
Frauenhäuser | |
Dokumentation | |
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