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# taz.de -- Tödliche Verkehrsunfälle in Kinshasa: Ampelmann rettet Leben
> Er piept und blinkt und spricht. Und er lotst Schüler über die Autobahn.
> Kongos Ingenieurinnen entwickeln intelligente Verkehrssysteme.
Bild: In Kinshasa ist der Alumann eine Attraktion.
KINSHASA taz | Im Sekundentakt brausen die Autos den Boulevard Lumumba
entlang. Die achtspurige Stadtautobahn führt vom Flughafen der
kongolesischen Hauptstadt Kinshasa ins Stadtzentrum. Bis vor wenigen Jahren
war diese Hauptverkehrsstraße eine Schlaglochpiste, über die sich die
rostigen Karren nur mit Mühe quälten.
Heute ist der geteerte und ausgebaute Boulevard ein Vorzeigeprojekt, ein
Symbol der Entwicklung des vom Bürgerkrieg zerstörten Landes – und eine
Todesfalle. Über 2.500 schwere Unfälle ereigneten sich im vergangenen Jahr
auf den Hauptverkehrsachsen Kinshasas, 500 Menschen starben, viele davon
Kinder und Jugendliche, die entlang des Boulevards Lumumba im Stadtteil
Limite in die zahlreichen Schulen gehen.
Auch Chery Makamba hatte stets Angst, zur Bushaltestelle auf die andere
Straßenseite zu wechseln: „Es gab hier eine Fußgängerampel, aber die hat
fast nie funktioniert wegen der Stromausfälle“, sagt die 17-jährige
Schülerin. „Der Roboter funktioniert viel besser, der hilft uns sehr“, fü…
sie hinzu.
Sie steht nach Schulschluss mit ihren Freundinnen am Straßenrand. Neben ihr
überragt ein gewaltiger Roboter aus silberfarbenem Aluminium die
Kinderköpfe. Er ruht auf einem Betonsockel. Chery berührt die Alufüße.
„Fass mich nicht an!“, tönt es blechern aus dem Alubauch. Chery und ihre
Freundinnen kichern. „Früher hat er Lieder gesungen und Befehle gegeben wie
’Stehen bleiben!‘ oder ’Jetzt könnt ihr gehen!‘. Das macht er jetzt ni…
mehr“, erzählt Chery.
## Selfies mit dem Aluman
Dann fängt der Roboter an zu piepen. Langsam hebt er den rechten Arm. Die
Hand ist geformt wie eine Signalkelle. Sie zeigt den Autofahrern Rot und
den Fußgängern Grün. Sobald die Kamera im Roboterauge den Stillstand der
Fahrzeuge registriert, dröhnt ein „Los!“ aus dem Roboterbauch. Chery und
ihre Freundinnen überqueren sicher die Straße.
Kinshasas Ampelroboter ist zur Attraktion geworden. Neugierig halten
Autofahrer an, steigen aus und machen Selfies mit dem Alumann. Schüler
tummeln sich nach Schulschluss um den Sockel, spielen mit dem
Berührungsmodus an den Füßen. Immer wieder scheppert es aus dem
Lautsprecher: „Fass mich nicht an!“ – vergeblich. Der Blechmann macht
einfach zu viel Spaß.
## „Mama Robot“
Quasi über Nacht ist Entwicklerin Thérèse Kirongozi im Kongo zur Heldin der
kleinen Leute geworden. „Mama Robot“ wird sie genannt. Die 40-jährige
Ingenieurin ist selbst Mutter von drei Kindern, die entlang des
Lumumba-Boulevards zur Schule gehen. „Jeden Tag hatte ich Angst, dass sie
überfahren werden“, erinnert sie sich. Sie sitzt in Kinshasas Stadtzentrum
in einem kleinen Bürogebäude an einem Schreibtisch und sortiert einen
Stapel Visitenkarten. Den Verkehrsminister, die Direktoren der Behörde für
Verkehrssicherheit, Stadtverwalter – sie alle musste die Ingenieurin von
der Roboteridee überzeugen.
„Verband der Frauen in Technologieberufen“ steht auf ihrer eigenen
Visitenkarte geschrieben. Kirongozi ist die Vorsitzende. Kinshasas
Ingenieurstudentinnen hatten sich vor drei Jahren zusammengeschlossen. Ihr
Ziel: sich mit eigenen Projekten einen Arbeitsplatz zu schaffen. „Kaum ein
Unternehmen stellt Frauen als Ingenieure ein, das ist nach wie vor eine
Männerbranche“, sagt Kirongozi.
Sie bastelten an einem Miniroboter, der die Arme bewegen konnte. „Damals
war gerade der Boulevard ausgebaut worden, und die Verkehrsunfälle häuften
sich“, erzählt Kirongozi. Sie habe beobachtet, wie ein Verkehrspolizist
sich als Schülerlotse abmühte. Doch vergeblich. Da kam ihr die Idee mit dem
intelligenten Ampelroboter.
## Der Datensammler
Kirongozi stellt eine Miniversion ihres Robotermanns auf den Tisch und
öffnet das Gehäuse. Drähte, Batterien, Kameras, Festplatten, Schaltsysteme
– im Roboter wimmelt es von Hightech. Denn der Alulotse sei mehr als nur
eine Verkehrsampel, sagt sie: „Er kann all das, was moderne
Verkehrsleitsysteme in Europa auch können“, sagt sie: Fahrzeuge zählen,
Geschwindigkeit messen und Schnellfahrer fotografieren, Unfälle auf Video
aufzeichnen, Staus melden. Eine Infrarotkamera schlägt sogar Alarm, sobald
sie Feuer registriert. Kirongozi hat den ersten Prototyp dann
weiterentwickelt.
Inzwischen steht ein zweiter Roboter mitten auf einer gewaltigen Kreuzung
nahe dem Parlament. Er reguliert dort den Verkehr. Und, oh Wunder, die
Autofahrer halten an. „Sie wissen, dass sie bestraft werden, denn unser
Roboter ist nicht korrupt“, sagt Kirongozi. Auch Kongos Behörde für
Verkehrssicherheit bedient sich mittlerweile der Daten aus dem
Roboterbauch. Sie hat Kirongozi die Genehmigung erteilt, den Ampelmann im
Straßenverkehr zu testen. „Diese Daten helfen uns ungemein“, sagt Direktor
Willy Vale-Manga.
Der Mann im feinen Anzug sitzt in einem zerfallen Gebäude ohne Strom. Regen
rinnt durch das Dach und bildet Pfützen auf dem Fußboden. In einer Ecke
seines Büros lehnen neue Straßenschilder. Die Behörde komme mit ihren
Aufgaben nicht hinterher, berichtet Vale-Manga. In den vergangenen Jahren
sei ein Teil der 150.000 Kilometer Straße des gigantischen Lands
modernisiert worden.
## Fortschritt auf der Straße
Doch Teer allein reicht nicht, im Gegenteil. Mit der Geschwindigkeit häufen
sich auch die Unfälle. „Wir brauchen unbedingt mehr Sicherheit auf den
Straßen, die Leute fordern das jetzt ein“, sagt er und zeigt auf die
Straßenschilder. Zebrastreifen, Gehwege, Verkehrsampeln – das alles ist
teuer. Kongos korrupter Staat ist chronisch pleite. Im dem Land so groß wie
Westeuropa gibt es gerade einmal 74 Ampeln. „Ein gewaltiger Fortschritt“,
sagt Vale-Manga. Im Vergleich: 2006 gab es nur 14.
Und jetzt gibt es zwei Ampelroboter. Nur mit der Finanzierung hapert es
noch. So viel Hightech ist teuer. Und Vale-Manga sagt, seine Behörde könne
sie sich niemals leisten. Bislang hat Ingenieurin Kirongozi die beiden
Prototypen selbst finanziert – bis zu 60.000 Dollar hat sie aufgebracht.
Jüngst hat sie ein Unternehmen gegründet, ein Patent angemeldet.
Doch um weitere Roboter zu bauen, brauche sie dringend Kapital, sagt sie.
Derzeit verhandelt sie mit der Stadtverwaltung von Lumumbashi. Die reiche
Kupferoase in Südkongo hat vielleicht Geld, so hofft sie. Und auch in den
Nachbarländern will sie für den Roboter werben. Ein Ziel habe sie bereits
erreicht: „Unser Roboter ist ein kongolesisches Spitzenprodukt, entwickelt
von Frauen – damit können wir weltweit ein ganz neues Bild unseres Landes
präsentieren“, sagt sie und lacht fröhlich.
21 Jul 2014
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Kongo
Kinshasa
Uganda
Online-Petition
Roboter
Kinshasa
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