# taz.de -- Berliner Szenen: Ein wildes Wort | |
> Wer durch die Stadt läuft, wird mit Ohrwürmern versorgt. Die Welt ist | |
> wild und Rudolph darf nicht mitspielen. | |
Bild: Nimm diesen Wurm und geh. | |
Ich habe eine unfassbare Anfälligkeit für Ohrwürmer, ich kriege Ohrwürmer | |
von Handyklingeltönen, Supermarktjingles, oft auch von gesprochenen Sätzen, | |
Zugdurchsagen zum Beispiel. Ich hatte im Juli tagelang einen Ohrwurm von | |
„So gehen die Deutschen“, so schlimm isses. Dann habe ich in der FAZ einen | |
Text über Helene Fischer gelesen, und, na ja, „Atemlos durch die Nacht / | |
Spür, was Liebe mit uns macht“, es war ein Elend. | |
Weil heute einer der Typen, die sich auf den Bänken vor unserem Haus mehr | |
oder weniger häuslich eingerichtet haben, in Singlaune war, ist mein Hirn | |
das jetzt auch. „Uuuh, baby, baby, it’s a wild world“, hatte der Typ | |
gesungen, und auf dem Weg zum Bahnhof bringe ich das innerlich zu Ende: | |
„You know I’ve seen a lot of what the world can do / and it’s breaking my | |
heart in two / because I never wanna see you a sad girl / don’t be a bad | |
girl.“ Und so weiter. | |
Ich verfluche die Schulband, mit der wir dieses Lied damals gespielt haben, | |
aber immerhin kann ich dadurch den Text und denke nicht mehr, wie als Kind, | |
dass es heißt „Baby, it’s a wild word“ – „Baby, es ist ein wildes Wo… | |
hatte ich das verstanden, und dachte, das heißt, man ist halt irgendwie | |
wild, wenn man zu jemandem „Baby“ sagt, wahrscheinlich wohnt man dann in | |
„Big Sexyland“ (davon gab es immer Plakate auf der Straße und ich dachte | |
als Kind, das sei ein Land). | |
Der Regio, in den ich einsteige, ist noch voller als sonst, wegen dem | |
S-Bahn-Sperrungs-Ding. Ich stehe neben einer Mutter, die sich und ihrem | |
Kind mit einem Fächer Luft zufächert. Das Kind spielt auf einem Smartphone | |
ein Spiel, wo es irgendwas mit Schneebällen machen muss, Rentiere abwerfen | |
oder so; jedenfalls kommt, wenn das Kind gewonnen hat, Musik: „Rudolph the | |
red-nosed reindeer“. Ich bin für den Rest der Woche versorgt. „They never | |
let poor Rudolph / play in any reindeer games.“ | |
17 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
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