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# taz.de -- Nazi-Anschlag auf Vietnamesen 1980: Verbrannt und vergessen
> Im August 1980 verübten Neonazis einen Brandanschlag auf ein
> Flüchtlingsheim in Hamburg. Zwei Menschen starben. Erst jetzt gibt es
> eine Gedenkkundgebung.
Bild: An die Rettung der Boat People erinnern Denkmäler, an die Mordopfer nich…
HAMBURG taz | Die Nacht vom 21. auf den 22. August 1980 ist in Hamburgs
Osten zunächst eine regnerische. Das ist wichtig – denn wer weiß, was
passiert wäre, hätte es bis zum frühen Morgen durchgeregnet. In dieser
Nacht stehen zwei dunkel gekleidete Gestalten im Hinterhof eines Wohnheims
für Flüchtlinge in der Halskestraße im Hamburger Industriegebiet Billbrook.
Zu ihren Füßen liegen drei Brandsätze: drei mit Benzin gefüllte
Saftflaschen.
Wegen der Feuchtigkeit will die Putzwolle nicht brennen, die in den
Flaschenhälsen steckt. Mehrmals drängt der Mann – der 49-jährige
Werkmeister Raymund Hörnle – die geplante Aktion abzubrechen. Doch die Frau
– die 24jährige Radiologie-Assistentin Sibylle Vorderbrügge – will bleibe…
Kurz nach Mitternacht wird der Regen weniger und hört dann auf. Die beiden
sprühen die Parole „Ausländer raus!“ an die Fassade und werfen dann die
Flaschen in eines der unteren Fenster. Der 22-jährige Ngoc Chau Nguyen
stirbt noch in der Nacht an seinen schweren Verbrennungen. Sein vier Jahre
jüngerer Mitbewohner Anh Lan Do ringt neun Tage mit dem Tod, am Ende
vergeblich.
Als sich über 30 Jahre später die Nachricht verbreitet, dass eine
rechtsextremistische Terrorzelle namens NSU jahrelang unerkannt
ausländische Bürger ermordet hat, ist das Hamburger Ehepaar von Goldammer
empört: „Wir haben gleich gesagt: ’Das kann doch nicht sein, dass das ganz
was Neues sein soll‘. Warum spricht niemand darüber, dass schon 1980 in
Hamburg zwei Vietnamesen bei einem rechtsradikalen Anschlag ermordet
wurden?“, fragt Gisela von Goldammer. „Aber wie das so ist – man selbst
macht ja auch nichts. Man sagt: ’Man müsste mal an die Zeitung schreiben‘
und dann schreibt man nicht.“
Die Aktivisten des Schiffes „Cap Anamur“ um den früheren Journalisten
Rupert Neudeck haben Ngoc Chau Nguyen und Anh Lan Do aus dem Chinesischen
Meer gefischt. Die Fernsehbilder der um ihr Leben kämpfenden Boat People
hatten die liberale Öffentlichkeit verstört. Denn zur Verblüffung vieler
Sympathisanten des Vietkongs wandelt sich das wiedervereinigte Vietnam
schnell in einen repressiven Staat, in dem nicht nur die Unterstützer des
alten südvietnamesischen Regimes verfolgt werden, sondern bald auch die
Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten beträchtlich unter Druck
geraten.
Da alle umliegenden Länder – Kambodscha, Laos und natürlich China –
gleichfalls rigide kommunistisch regiert werden, bleibt nur der Weg übers
Meer. Richtung Singapur geht es, Richtung Indonesien und in die damalige
Kronkolonie Hongkong. Hunderttausende sind am Ende auf der Flucht;
Zigtausende ertrinken. Etwa 11.000 Boat People gelingt es, in der alten
Bundesrepublik eine neue Heimat zu finden. Auch nach Hamburg kommen sie.
Die von Goldammers melden sich damals auf einen Aufruf im Hamburger
Abendblatt hin. Gesucht werden ehrenamtliche Paten, die den Vietnamesen,
die oft nur mit ihren Kleidern am Leib in Fuhlsbüttel aus dem Flugzeug
steigen, bei ihrem Neuanfang in der Hansestadt helfen. Sie begleiten sie
bei den Gängen zum Einwohnermeldeamt, zur Sozialbehörde oder zu den
örtlichen Schulen, wenn es Kinder gibt. „Wir waren damals berufstätig,
deshalb hatten wir beschlossen, nur für eine Einzelperson und nicht für
eine Familie eine Patenschaft zu übernehmen“, sagt Heribert von Goldammer.
So lernen sie Ngoc Chau Nguyen kennen und dann Anh Lan Do, der sich mit
Chau das Zimmer in der Halskestraße teilt. Anh Lan Do gehört der
chinesischen Minderheit in Vietnam an. Gisela von Goldammer ist als Tochter
eines Hamburger Kaufmannes in China geboren und hat dort ihre ersten
Lebensjahre verbracht, so klappt es ganz gut mit der Verständigung. Die von
Goldammers tauchen ein in die vietnamesische Community: „Das war damals so:
Man half, dann brachte der, dem man geholfen hat, jemanden mit, dem man
dann auch helfen sollte – und das hat man natürlich getan“, sagt Gisela von
Goldammer.
Allgemein werden die Vietnamesen freundlich aufgenommen. Sie sind sehr
integrationswillig, sie fügen sich nahezu lautlos in den
bundesrepublikanischen Alltag ein. Im Gegensatz zu anderen
Flüchtlingsgruppen lassen sie die innenpolitischen Konflikte in ihrer
Heimat außen vor.
Aber es gibt eben auch die anderen Deutschen – die, die von Überfremdung
faseln und finden, dass jedes Volk in seinem Land zu bleiben hat. Sie zu
mobilisieren, darauf hofft die rechtsradikale Organisation „Deutsche
Aktionsgruppen“, die über ein gewisses Netzwerk an Unterstützern verfügt.
Seit Februar 1980 ist sie kreuz und quer durch die Bundesrepublik
unterwegs, um Anschläge durchzuführen. Es geht gegen Ausstellungen und
Gedenkstätten. Es geht auch gegen Flüchtlingsunterkünfte.
Kopf der Gruppe ist der in Hessen lebende Altnazi Manfred Röder, der seit
zwei Jahren untergetaucht ist, aber seltsam unbehelligt durch die Welt
jettet. Er träumt von einer breiten, militanten Allianz der Neuen Rechten
mit der PLO, der IRA und dem neuen Iran des Ajatollah Khomeini. Mit Hörnle
und Vorderbrügge kann er auf zwei Anhänger rechnen, die bereit sind,
markigen Worten auch Taten folgen zu lassen.
Und dann kommt der August. Vorderbrügge und Hörnle sind auf dem Weg von
Süden nach Norden, um Röder in Flensburg zu treffen. Unterwegs stoppen sie
in Hamburg, übernachten bei Gleichgesinnten.
Am nächsten Tag fahren sie weiter – und kaufen sich unterwegs an einer
Tankstelle das Hamburger Abendblatt. Auf Seite eins wird davon berichtet,
dass tags zuvor Asylbewerber aus Hessen nach Hamburg und dort in das
Wohnheim in der Halskestraße verbracht worden sind. Hörnle und Vorderbrügge
fassen einen Plan. Sie informieren Röder, dann kundschaften sie das ihnen
eben noch völlig unbekannte Wohnheim in der Halskestraße aus. Und kommen
nachts vorbereitet wieder.
Vor Ort erinnert heute nichts mehr an den damaligen Anschlag. Keine Tafel,
keine Inschrift. In keinem der gängigen Internetforen, in dem sich die
deutsch-vietnamesische Community etwa über Reisetipps oder kulinarische
Spezialitäten austauscht, findet sich auch nur ein Hinweis auf Ngoc Chau
Nguyen und Anh Lan Do. Auch als Mitte August an den Hamburger
Landungsbrücken in einer großen Feier der Charter der ersten „Cap Anamur“
vor 35 Jahren gedacht wird, werden die beiden nicht erwähnt.
Dabei bleibt die Tat damals keineswegs unbeachtet. Ausführlich beschäftigen
sich die Hamburger Medien erst mit dem Anschlag, dann mit den Tätern, die
schnell gefasst werden. Der Hamburger Senat unter dem Bürgermeister
Hans-Ulrich Klose (SPD) reagiert betroffen und organisiert eine offizielle
Trauerfeier auf dem Öjendorfer Friedhof. In seiner Rede vor den Särgen der
beiden jungen Männer zieht Klose eine Parallele zu den Taten der
Nationalsozialisten.
Doch schnell gehen Politik und Medien zum Alltagsgeschäft über: Die
Vietnamesen, die den Anschlag miterlebt haben, werden in eigenen Wohnungen
untergebracht. Das ausgebrannte Zimmer wird renoviert, neue Flüchtlinge
ziehen ein. Die Täter kommen auf Betreiben der Bundesanwaltschaft in
Stuttgart-Stammheim vor Gericht. Entsprechend wird später in der Hamburger
Tagespresse nur kurz und oberflächlich über die Urteile berichtet.
Bis heute halten die von Goldammers den Kontakt zu vielen der Vietnamesen,
die sie seinerzeit kennengelernt haben. Sie waren über die Jahrzehnte auf
vielen Verlobungs- und dann Hochzeitsfeiern; viele der damaligen Kinder
haben mittlerweile selbst Kinder.
Einmal im Jahr trifft man sich auf dem Öjendorfer Friedhof zu einer
Zeremonie, wo in privater vietnamesischer Initiative ein Denkmal
aufgestellt wurde: Ein Schiff auf einem Sockel, dazu Dankesworte an die
Deutschen für die seinerzeitige Rettung aus dem Chinesischen Meer.
Von Jahr zu Jahr kommen weniger Vietnamesen zu diesem Treffen: „Die
Gemeinschaft ist gespalten: Es gibt einige, die die Erinnerung wachhalten
und ihre Dankbarkeit zeigen wollen. Und es gibt andere, die sagen: ’Lasst
uns damit in Ruhe! Das ist alles so lange her‘“, sagen die von Goldammers.
„Tja, unsere Jungs“, sagt Gisela von Goldammer leise. „Langsam kommen die
Erinnerungen, man hat lange nicht daran gedacht.“ Und ihr Mann sagt:
„Später kam damals ein Nachlasspfleger, der eine Plastiktüte auskippte. Ein
blutiges T-Shirt war dabei, einzelne Blätter angebranntes Papier, das war
schlimm. Und die Armbanduhr fehlte. Es gab die Quittung für die Uhr, aber
sie selbst hatte man angeblich weggeschmissen, weil sie kaputt gewesen
wäre. Eigentlich hätten wir das damals anzeigen müssen.“
## Samstag, 23. August, Halskestraße 72, 14 Uhr: Gedenkkundgebung in
Erinnerung an Ngoc Chau Nguyen und Anh Lan Do
22 Aug 2014
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Boat People
Hamburg
Vietnam
Vietnam
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