Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Der Ball ist krank
> Die neue Bundesliga-Saison hat begonnen, es droht eine „imperiale
> Monokultur“: Müssen wir auf Fußball-Entzug, Herr Professor Digel?
Bild: Die fliegenden Männer mit ihrem Ball. Am Freitagabend geht's wieder los
Bundesliga. Endlich wieder. Fußball ist das letzte Fernseh- und
Diskurslagerfeuer der Republik. Darauf haben sich Gesellschaft, Politik,
Wirtschaft, Medien und ich großkonsensual geeinigt. Irgendwie ginge es zur
Not auch ohne Fußball, aber wie mein Sohn immer sagt: Wozu sollte kein
Fußball gut sein, wenn man Fußball haben kann?
Doch nun kommt der Tübinger Sportfunktionär und Sportsoziologie-Professor
Helmut Digel und sagt, dass Fußball eine Diktatur und Droge sei und wir
schleunigst auf Entzug müssten.
Digel, 70, war Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und bildete
mit dem 5.000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann in den 1990ern ein
einzigartiges Innovations-Duo. Ein großer, kantiger Mann, der geschliffen
und doch druckreif sprach und Weltverbesserung mit erleuchtetem
Eigeninteresse verband.
Seine Zukunft als Superfunktionär zerbrach, als sein wichtigster Athlet
laut Weltverband IAAF zum Doping-Täter und laut deutschem Gericht das Opfer
eines kriminellen Anschlags wurde. Heute predigt Digel der IAAF weiter
überfällige Reformen, die weiter keiner umsetzt. Etwa, dass man Kugelstoßer
so im Stadion platzieren soll, dass die Leute sie sehen.
Ich rief ihn an und fragte ihn, ob wir wirklich auf Entzug gehen müssten.
„Nicht wir müssen auf Entzug, sondern die Verantwortlichen müssen sich die
Frage stellen, ob immer mehr Fußball wünschenswert ist und was für
Nebenfolgen diese Monokultur hat“, sagte er.
Seine Kritik richtet sich nicht gegen den Konsumenten und „Fan“, sondern
gegen Fifa, DFB, Politik, Wirtschaft und seit Langem vor allem gegen das,
was er „Massenmedien“ nennt, speziell das gebührenfinanzierte Fernsehen,
dem er „selbsterfüllende Prophezeiungen“ attestiert. Seine Begründung, da…
die Leute Fußball sehen wollten und der Rest keinen interessiere, rühre
daher, dass immer nur Fußball laufe. Fußball könne „eine kulturelle
Bedeutung haben wie kaum eine andere Bewegungskultur in der Welt“. Die Fifa
habe im sozialpolitischen Bereich „enorme Verdienste“.
## Vernetzung mit Weltkonzernen
Digel argumentiert in dem längeren Gespräch nie platt. Aber der Fußball
habe eben auch „krankhafte und imperiale Züge“: Mit seiner medialen
Dominanz, seinem Einfluss auf die politischen Systeme, seiner Vernetzung
mit den Weltkonzernen. „Die Fußballeliten sind heute die Eliten der
jeweiligen Gesellschaft und nutzen den Fußball zu viel mehr als nur zur
Unterhaltung.“ Sie hätten den volkswirtschaftlichen Nutzen. Die anderen
müssten das auch noch über Steuern bezuschussen und der durch Fußball
entstehende volkswirtschaftliche Schaden werde komplett ignoriert.
Allerdings haben wir Bürger uns doch mehrheitlich und also demokratisch für
Fußballherrschaft entschieden? Digel seufzt. „Es ist ja nicht mehr en
vogue, darauf hinzuweisen, welche Probleme eine an der Masse ausgerichtete
Kultur aufweist.“
Hält er den Fußball also doch im klassischen Adorno-Style für eine
Volksverblödungsmaschine?
„Wer das sagt, ist ein Outlaw. Ich will auch nicht den Fan diskreditieren.
Meine Frage ist: Was bedeutet es, wenn die Massen etwas geschlossen als
faszinierend empfinden?“ Es gehe darum, die unbeabsichtigten, aber
weitreichenden Schäden für andere Sport- und Kulturbereiche überhaupt erst
mal wahrzunehmen. Und dann das Übergewicht der „Monokultur“ Fußball auf e…
„normales Maß“ zu reduzieren, damit andere überleben können.
Und was ist mit den Intellektuellen, die den Fußball preisen? Klaus
Theweleit hat mal gesagt, das Denken überwintere angesichts fehlender
politischer Projekte im Fußball. Ach, sagt Digel, die einstige kritische
Auseinandersetzung mit dem Fußball, etwa vom Kollegen Gerhard Vinnai
(„Fußballsport als Ideologie“), sei perdu. „Die meisten Artikulationen d…
Intellektuellen heute sind Fan-Artikulationen, da fehlt eben gerade die
intellektuelle Distanz.“ Was ihn nicht wundert: „Beim Fußball setzt das
Denken aus.“
Er selbst ist übrigens Anhänger des VfB Stuttgart.
22 Aug 2014
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Fußball
Fußball-Bundesliga
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Doping
Fußball
Social Media
Fußball
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sportsoziologe über Coronakrise: „Ich sehe keine Alternative“
Sportsoziologe Bero Rigauer erklärt, die Coronakrise zeige die Fragilität
des Profisports. Dennoch ist er skeptisch, dass ein Wandel bevorsteht.
Blutpass in der Leichtathletik: Eine Frage des Profils
Der Leichtathletik-Weltverband fühlt sich zu Unrecht attackiert. Der
biologische Pass habe funktioniert. Wirklich?
Erster Spieltag der Fussball-Bundesliga: „Hauptsache gewonnen“
Thomas Schaaf beendet sein erstes Bundesliga-Spiel mit Eintracht Frankfurt
erfolgreich. Schalke fährt mit Jens Keller eine weitere Niederlage ein.
Eigene Medien der Bundesligaclubs: Sportschau? Och nö!
Statt den Umweg über Journalisten zu gehen, beliefern Bundesligavereine
ihre Fans direkt. Es ist eine Praxis zwischen Kontrolle und Kooperation.
Bundesliga-Eröffnungsspiel: Bayern schlägt Wolfsburg
Startprobleme bei den Münchnern? Die waren jedenfalls nicht so gravierend,
dass es nicht zum ersten Sieg der Saison gereicht hätte. Und die Gäste
vergaben eine Riesenchance.
Die Bayern vor dem Ligastart: Vorgeschmack auf die kalte Dusche
Diese Bundesligasaison könnte etwas spannender werden. Denn der
Titelverteidiger startet mit einigen Problemen in die neue Spielzeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.