| # taz.de -- Buch von Tom Holert über Kunstkritik: Kernkompetenzen überschreit… | |
| > Der Kunstwissenschaftler widerlegt die These von der Krise der | |
| > Kunstkritik. Dabei zeigt er ein fast anachronistisch gewordenes | |
| > Verständnis von Kunst. | |
| Bild: Kunst? Kritik? Kitsch? Kürbisfest in Klaistow, Brandenburg. | |
| „Schluss mit dem Gewisper.“ Mit diesem Kampfruf attackierte vor ein paar | |
| Jahren ein nicht ganz unwichtiges Mitglied seine Zunft. Die Kunstkritik, | |
| donnerte der Hamburger Zeit-Kritiker Hanno Rauterberg, sei zu müde, zu | |
| ängstlich und zu abwägend. Und sie sei zu dicht dran an den Künstlern. Wer | |
| den fundamentalen Antagonismus zum Künstler fürchte, könne keine gute | |
| Kunstkritik machen. | |
| Auf den ersten Blick passt das Verdikt wie die Faust aufs Auge von | |
| Rauterbergs Kollege Tom Holert. Denn wenn etwas die Arbeit des | |
| Kunstwissenschaftlers aus dem Umfeld der Zeitschrift Texte zur Kunst | |
| auszeichnet, dann sind es die leisen Töne. Schnellschüsse, | |
| Standgerichtsurteile oder steile Thesen sind so gar nicht das Metier des | |
| 1962 geborenen Mannes, der lange Professor in Stuttgart und Wien war und | |
| gelegentlich sogar selbst als Künstler auftritt. | |
| 11 Texte aus den letzten 14 Jahren über markante Protagonisten der | |
| Gegenwartskunst hat Holert jetzt als Sammelband veröffentlicht. Sie | |
| zeichnen sich eher durch Empathie und Hermeneutik aus. Freilich ohne dass | |
| man ihnen deswegen das Prädikat „Kritik“ aberkennen wollte. Dieses Institut | |
| funktioniert bei Holert nämlich nicht nach dem Prinzip: Daumen rauf, Daumen | |
| runter. | |
| ## Holert sucht nicht den Superkünstler | |
| Holert sucht auch nicht den Superkünstler. Er will das geistige | |
| Referenzsystem freilegen, in das Kunst eingewoben ist. Womit er ein fast | |
| anachronistisch gewordenes Verständnis von Kunst zeigt – das einer anderen | |
| Form von Wahrheit oder zumindest der Suche danach. | |
| Streng genommen erfüllen Holerts Texte den von Rauterberg inkriminierten | |
| Tatbestand des „Embedded Criticism“. Einige begleiteten ein konkretes | |
| Projekt, andere schrieb er für Kuratoren oder mit Wissen der Künstler. Doch | |
| Analyse geht hier immer vor gefühlter Nähe. Holerts Methode: Er füllt sein | |
| stupendes philosophisches, kunsthistorisches und literarisches Wissen wie | |
| ein Kontrastmittel in das Oeuvre des jeweiligen Künstlers. | |
| Wo sich Kritik oft genug ins textuelle Biopic flüchtet, erhellt er die | |
| Arbeiten so komplex und differenziert, wie man es sonst kaum liest: | |
| kritisch, aber niemals inquisitorisch, philosophisch mitunter etwas | |
| aufgepumpt, aber niemals verblasen, sondern immer anschaulich. | |
| ## Der Charakter des Gesprächs im Zeitalter seiner Aufzeichenbarkeit | |
| Die „Konversations“-Performances der irischen Künstlerin Sarah Pierce | |
| deutet er vor dem Gesprächsbegriff der Philosophen Friedrich Schleiermacher | |
| oder Richard Rorty. Oder er sinnt dem Charakter des Gesprächs im „Zeitalter | |
| seiner Aufzeichenbarkeit“ nach. | |
| Unter dem Begriff „Gegenwartskunst“ versteht man hierzulande meist immer | |
| noch ikonische, aber reichlich abgehangene Größen wie Andy Warhol oder | |
| Gerhard Richter. Holert erweitert diesen verengten Horizont. Denn er | |
| analysiert vorzugsweise einem breiteren Publikum unbekannte Größen wie | |
| Stephen Prina, Josephine Pryde oder die Bernadette Corporation. | |
| Kaum ein anderer Kritiker-Theoretiker in Deutschland beobachtet die | |
| allerjüngste internationale Gegenwartskunst so aufmerksam. Auch wenn sie, | |
| wie Holert selbst einräumt, durchweg aus dem „globalen Norden“ stammt. So | |
| kritisch, wie ihre Vertreter aber allesamt arbeiten, wirken sie wie das | |
| Gegenprogramm zur Integration der Gegenwartskunst in eine „globale | |
| politische Ökonomie des Wissens“, die Holert im Vorwort konstatiert. | |
| ## Hybride Praxis | |
| Beispielhaft arbeitet Holert die Anverwandlung von Methoden anderer Medien | |
| und Genres als eine charakteristische Disposition von Gegenwartskunst | |
| heraus. So wird sein etwas vages Fazit von einem „Aufbruch in das beyond“ | |
| der Gegenwartskunst ebenso konkret wie die Feststellung von deren „hybrider | |
| Praxis“. | |
| Als Beispiel ließe sich der kanadische Künstler Mark Lewis heranziehen. Mit | |
| seinen scheinbar dokumentarischen, tatsächlich aber sorgsam inszenierten | |
| Straßenszenen im Südosten Londons versuche Lewis in „Churchyard Row“ | |
| (2013), das „stillgestellte Bild“ der traditionellen Landschaftsmalerei zu | |
| kopieren. „Übergriffe“ – der Titel von Holerts lesenswertem Buch benennt | |
| diese produktiven Crossover-Strategien als ein entscheidendes | |
| Charakteristikum der Gegenwartskunst. | |
| Hinter die gibt es kein Zurück. Auch wenn noch so oft Marketingparolen wie | |
| „Painting forever“ erfunden werden. Bildende Künstler wollten heute, | |
| bilanziert Holert, ihre „Kernkompetenz überschreiten“. | |
| Natürlich ist sich dieser vorbildlich selbstreflexive Autor der | |
| Rauterberg’schen Klage ob der „Krise der Kritik“ bewusst. Anders als dies… | |
| erklärt sich für Holert die Flucht in die freundliche Popularisierung aber | |
| eher aus einem generellen Strukturwandel denn aus der Angst der Kritiker, | |
| im Betrieb anzuecken. | |
| Heute seien die wortmächtigen Künstler selbst, vor allem aber die Kuratoren | |
| zu Interpreten der Gegenwartskunst aufgerückt. Seine luziden, nachhaltigen | |
| Fallstudien sind ein überzeugendes Beispiel dafür, wie man diesem Dilemma | |
| entgehen kann, ohne es mit irgendeiner Kraftmeierei der Kritik zu | |
| kompensieren. | |
| 27 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
| ## TAGS | |
| Österreich | |
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