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# taz.de -- Luthers Vorläufer: Der populäre Prediger
> Der Reformator Jan Jus wurde beim Konstanzer Konzil verbrannt. Für die
> Tschechen ist er die Leitfigur nationalistischer Auflehnung.
Bild: Jan-Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring in Prag.
Einen prominenteren Platz hätte man in Prag kaum finden können, um ein
Denkmal für Jan Hus zu errichten, als den Altstädter Markt. Zwischen der
Teynkirche, die zur Zeit ihrer Errichtung das wichtigste hussitische
Gotteshaus war, und dem gotischen Rathaus blickt die Figurengruppe um den
großen Reformator anklagend über den Platz.
Jan Hus ist für die Tschechen mehr als ein religiöser Reformator. Vielmehr
ist er so etwas wie Mahatma Gandhi für die Inder oder Martin Luther King
für die Afroamerikaner. Er wurde zur Leitfigur einer nationalistischen
Auflehnung gegen die Fremdherrschaft. Sein Denkmal steht nicht nur in Prag
und im Dorf Husinec im Böhmerwald, wo der Bauernsohn um 1370 geboren wurde.
In keiner Stadt Böhmens fehlt die Husová ulica, die Jan-Hus-Straße. In
Husinec selbst gibt es ein kleines Museum.
Die Lateinschule besuchte Hus - wahrscheinlich dank der Fürsprache eines
Priesters, der das Talent erkannte - im wenige Kilometer entfernt gelegenen
Städtchen Prachatice. Heute steht dort ein imposantes Renaissancegebäude,
in dem die Stadtbibliothek untergebracht ist. Prachatice erlebte damals
einen wirtschaftlichen Aufschwung und wurde mit einer mächtigen Stadtmauer,
verstärkt durch acht Basteitürme, befestigt.
## Das reiche Böhmen
Die Stadt war Endpunkt des sogenannten Goldenen Steigs. Das war der
wichtigste Handelsweg zwischen Bayern und Böhmen. Von Passau aus wurden
Waren aller Art, vor allem aber Salz, aus dem Alpenraum auf Lastpferden
herangeschafft - über 90 Kilometer quer durch den damals noch weitgehend
undurchdringlichen Böhmerwald. Der Weg diente auch Vogelhändlern, "leichten
Mädchen", wie es in der Stadtchronik heißt, und Soldaten. Prachatice hatte
das Stapelrecht: Alle Händler mussten ihre Waren dort feilbieten und Zoll
bezahlen.
So wurde die Stadt zu einer der reichsten in ganz Böhmen, die auch nach
Pestepidemien (1625) und den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges immer
wieder auferstand. Erst als die Habsburger 1709 den Handel mit Importsalz
verboten, begann der nachhaltige wirtschaftliche Niedergang. Zum Glück für
die Nachwelt, denn damit erlahmte die Bautätigkeit, und die Altstadt blieb
in großen Teilen als Renaissance-Juwel erhalten.
Prachatice ist auch heute wieder Zentrum und Ziel von Wanderungen. Der
Goldene Steig ist als Wanderweg und Strecke für Mountainbiking markiert und
ausgeschildert. Die Lage der Stadt am Fuße des Böhmerwald-Berglandes macht
aus ihr auch einen idealen Ausgangspunkt für Wanderungen und Ausflüge ins
Innere des Böhmerwalds, zum Lipno-Stausee am Oberlauf der Moldau, im Sommer
ein Anziehungspunkt für Badeurlauber und das ganze Jahr über für Angler.
## Kritik an Ablasshandel und Laster
Jan Hus, der die Lehren des englischen Reformators John Wyclif aufgriff und
ins Tschechische übertrug, kam jung nach Prag, wurde dort zum Priester
geweiht und predigte dann in der Bethlehemskapelle. Das kleine Gotteshaus,
dessen Bausubstanz zum Teil noch aus dem 14. Jahrhundert stammt, wurde in
den letzten Jahren wieder so hergerichtet, wie es vor 600 Jahren ausgesehen
haben könnte. Es war damals eine reine Predigtkirche, die sich dadurch von
anderen unterschied, dass dort in tschechischer Sprache und nicht in dem
dem gemeinen Volk unverständlichen Kirchenlatein gepredigt wurde.
Dort zog Hus über die Verkommenheit des Klerus her, der weithin "durch
Weibertrug in die Schlingen des Teufels" geraten sei. Auf dieser Geißelung
der Unkeuschheit fußt wohl auch das weit verbreitete Vorurteil, Hus sei
besonders frauenfeindlich gewesen. Doch die meisten von Hus verbreiteten
Thesen waren so einleuchtend, dass sie in Böhmen schnell Verbreitung
fanden.
Mehr als hundert Jahre vor Martin Luther wandte sich der Kirchenkritiker
gegen Ablasshandel, Ämterkauf und andere Laster der Geistlichkeit. In der
Kirche herrschten nicht nur Laster und Korruption: Persönliche und
politische Zwistigkeiten lagen einem Schisma zugrunde. Jahrzehntelang
regierten Papst und Gegenpapst.
## Die Hussitische Kirche hat starken Zulauf
Böhmenkönig Wenzel IV. sympathisierte anfangs mit dem populären Prediger,
der 1409 sogar zum Rektor der Karlsuniversität avancierte. Die von Kaiser
Karl IV. 1349 gegründete Alma Mater Carolina gilt als die älteste deutsche
Universität. Die Karriere des Reformers endete bald. Einer der Päpste
erklärte ihn zum Ketzer, und König Wenzel sah ein, dass ein Verbot des
Ablasshandels auch die eigene Kasse betreffen würde. So wurde Hus von der
Universität verstoßen.
Unter dem Schutz böhmischer Adeliger konnte er drei Jahre weiter predigen
und seine wichtigsten Schriften verfassen. Dann wurde er auf dem Konzil zu
Konstanz 1415 als Häretiker verbrannt - ungeachtet des von Kaiser Sigismund
garantierten freien Geleits. Sein Todestag, der 6. Juli, wird in der
Tschechischen Republik noch heute als Feiertag begangen.
Die Lehre des Jan Hus verbreitete sich trotz Verfolgung und Glaubenskriegen
über die ganze Welt. Nämlich über die von Geheimprotestanten gegründete
Mährische Bruderkirche, die sich der Missionierung von Ceylon bis Grönland
und Nicaragua verschrieb. "Doch eine Hussitische Kirche gibt es erst seit
1920", sagt der hussitische Priester Jili Füzer.
Nach der Gründung der Tschechoslowakei als Folge des Zerfalls des
Habsburgerreiches nach dem Ersten Weltkrieg gründete sie ein abgesprungener
katholischer Priester als tschechische Staatskirche. Hus, der in der
Landessprache gepredigt und wichtige Bücher ins Tschechische übersetzt
hatte, wurde als eine Art Vorläufer des tschechischen Nationalismus verehrt
und später selbst vom kommunistischen Regime als Sozialrevolutionär
umgedeutet und vereinnahmt.
Nach dem Regimewechsel 1989/90 erlebte die Hussitische Kirche enormen
Zulauf, weiß Füzer. Noch heute wird die Tradition gepflegt, die Kommunion
in beiderlei Gestalt, also als Brot und Wein, zu reichen. Symbol der
Hussitischen Kirche ist daher der Kelch. Nach der Messe, die traditionell
am Abend gehalten wird, gibt es ein echtes Beisammensein der Gemeinde.
"Viele kommen wohl auch, weil es was zu essen gibt", gibt sich der Priester
illusionslos.
13 Sep 2014
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Tschechien
Schwerpunkt Landtagswahlen
Augsburg
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