Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fan-Doku „Istanbul United“: Erstaunliche Verschmelzung
> Ambivalente Gewalt: „Istanbul United“ zeigt eindrucksvoll, wie Ultras,
> die einander spinnefeind sind, durch den politischen Protest geeint
> werden.
Bild: Die Fans solidarisierten sich mit den Gezi-Demonstranten. Diese Kraft ver…
Revolutionen sind historische Augenblicke der Verwandlung, wenn sie
gelingen, werden neue Staatssysteme installiert, Gesellschaften verändern
sich. Allerdings bleibt auch etwas zurück, wenn solche Bewegungen ihre
Ziele verfehlen. Die Demonstrationen auf dem Istanbuler Taksim-Platz vor
gut einem Jahr endeten nicht mit dem Sturz der Regierung des türkischen
Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, aber sie haben der Gesellschaft
einen kurzen Blick auf das autoritäre Wesen ihres Staates ermöglicht.
Und jenseits des großen Nachrichtenbetriebs haben sie zum Erstaunen der
Einwohner Istanbuls für einen kleinen historischen Moment gesellschaftliche
Außenseiter zu Helden werden lassen: die wegen ihrer Gewaltbereitschaft
gefürchteten Ultrafans der drei Istanbuler Fußballvereine Fenerbahce,
Besiktas und Galatasaray.
Um diesen Augenblick dreht sich die beeindruckende Dokumentation
„[1][Istanbul United]“, welche die Filmemacher Olli Waldhauer und Farid
Eslam während der Unruhen gedreht haben und die ab Donnerstag in den
deutschen Kinos läuft. Ein unfassbarer Hass erfüllt einen Teil der
Fußballfans aus der türkischen Hauptstadt, regelmäßig gibt es bei den
Zusammenstößen von Fangruppen der drei großen Istanbuler Vereine Verletzte,
manchmal sogar Tote.
Der Film zeigt die Menschen, die diesen Hass spüren, die ihn schüren und
pflegen. Männer, die lieben, die zusammenhalten, die ein Alltagsleben
führen. Leute, deren Leben jedoch ohne ein Feindbild nicht zu funktionieren
scheint. Die Istanbuler Ultras sind also kampferprobte Leute, sie führen
seit Jahren regelmäßig mehr oder weniger gewalttätige Auseinandersetzungen
mit der Polizei, die sie fast genauso hassen wie die Anhänger der Rivalen.
## Kraftvolles Signal an die Bewegung
Als dann plötzlich ganz andere Menschen gegen diese Polizei kämpfen,
politische Aktivisten, auch Frauen, ergibt sich eine erstaunliche
Verschmelzung. Die Fans solidarisieren sich mit den Demonstranten, und
diese Kraft vereint dann sogar die verfeindeten Anhänger der drei Klubs.
Es gibt in dem Film diesen wunderbaren Moment, in dem eine Aktivistin sagt:
„Ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen niemals vorstellen können, dass
die Fans von Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray sich jemals
zusammenschließen. Als ich diese Gruppen dann wirklich Seite an Seite
marschieren sah, da habe ich gedacht:
Der Zusammenschluss der Ultras war ein kraftvolles Signal an die Bewegung,
der man in diesem Film geradezu erschreckend nahekommt. Immer wieder
befindet die Kamera sich mitten im Geschehen, es brennt, das Bild wackelt,
weil der Kameramann flüchten muss, schreiende Menschen rennen durch
Tränengaswolken in den Straßen. Der Film zeigt beeindruckende Szenen des
Widerstands, die viel wirklicher erscheinen als die Bilder aus den
TV-Nachrichten.
## Der Schulterschluss verpufft
Und er zeigt die Ambivalenz der Gewalt. Die Fußballfans, für die kriminelle
Aktionen zum Alltag gehören, werden in vielen Szenen durch das Pathos der
Bildsprache heroisiert, und wenn sie auf dem Taksim-Platz für eine
demokratische und freie Gesellschaft kämpfen, sind sie aus
mitteleuropäischer Perspektive ja tatsächlich Helden. Wenn sie nach
Fußballspielen ganz ähnliche Kämpfe mit der Polizei austragen, sind sie
hingegen immer noch Leute, die sich auf völlig verirrten Pfaden bewegen.
Männer, die Gewalt und Hass schüren. Gewalt sei nun mal „Teil der
kulturellen Atmosphäre, in der wir leben“, sagt ein Fenerbahce-Anhänger
irgendwann recht lapidar, und das ist die deprimierende Botschaft am Ende.
Der Augenblick des Schulterschlusses verpufft, am Ende kehren alle Seiten
in ihre Position zurück, und es wird vermutlich nicht lange dauern, bis sie
sich wieder bekämpfen. Aber irgendein Frieden stiftender Impuls, so die
Botschaft des Films, wird bleiben von diesem kurzen Moment der
Gemeinsamkeit.
17 Sep 2014
## LINKS
[1] http://www.istanbulunitedthemovie.com/
## AUTOREN
Daniel Theweleit
## TAGS
Gezi-Park
Taksim-Platz
Ultras
Fenerbahçe
Galatasaray
Besiktas
Fußball
Proteste in der Türkei
Fans
Ultras
Gezi-Park
Resistanbul
## ARTIKEL ZUM THEMA
Razzien gegen Fußballfans: Zur Strafe nur Frauen und Kinder
Der Fußballclub Besiktas wird für Ausschreitungen bestraft. Die Polizei
nimmt bei Razzien 80 Fans der drei großen Istanbuler Vereine fest.
Ultras in Deutschland: Teil einer Jugendbewegung
Ultras sind extreme Fußballfans. In Istanbul, Rio und Kairo sind sie Helden
des Protests. Hier gelten sie als Krawallos. Sind die wirklich so böse?
Fußballfans bei den Taksim-Protesten: „Wir haben gewonnen“
Laut, fröhlich, kampfbereit und politisch – sagenumwoben waren sie schon
immer. In den Tagen des Protests sind die Beşiktaş-Fans endgültig zu
Volkshelden avanciert.
Proteste in Istanbul: „Schlaf nicht, Beşiktaş!“
Der Gezi-Park ist voll, als die Polizei das Camp stürmte. In den Stunden
danach herrscht auf den Straßen Istanbuls Chaos. Das Protokoll einer
gewaltsamen Nacht.
Kommentar Istanbul-Proteste: Ein irres Land
Alle, die dabei waren, sind sich einig: Die Türkei wird nie mehr so sein
wie vor den Protesten. Doch was wirklich zählt, ist der Augenblick.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.