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# taz.de -- Was passiert, wenn ...: ... Schottland unabhängig wird?
> Wählen die Schotten „Yes“? Ein paar Fragen und Antworten zu wichtigen und
> weniger wichtigen Folgen eines Siegs der Separatisten.
Bild: Wird Schottland künftig eine eigene Zaunverordnung haben?
BERLIN taz | Niemand ist so naiv anzunehmen, dass man als unabhängiges Land
tun und lassen könne, was man wolle. Die Restriktionen bleiben dieselben,
die Macht der Märkte und des Kapitals machen auch vor einem unabhängigen
Schottland nicht halt. Aber was ändert sich, wenn die Schotten „Yes“
wählen? Hier ein paar Fragen und Antworten zu wichtigen und weniger
wichtigen Folgen einer Scheidung vom Königreich.
## 1. Was bedeutet eigentlich Unabhängigkeit?
Der große Augenblick einer Veränderung zum Besseren wird nicht stattfinden.
Aber kleinere Schritte sind durchaus möglich: Der Konflikt zwischen
öffentlichem und privatem Interesse kann in andere Bahnen gelenkt werden.
In einem kleinen Land wie Schottland, in dem die Armut sich ausbreitet und
immer mehr Suppenküchen gebraucht werden, wären Bürgerrechte und mehr
soziale Gerechtigkeit leichter einzufordern.
Geht es schief, ist allerdings niemand mehr da, dem man die Schuld geben
kann. Bei vielen Schotten hat sich die Gewissheit breitgemacht, dass alles
schön sein könnte, wenn der böse Nachbar einen nur ließe.
Irgendwann wird man erkennen, dass man vielleicht doch nicht so großartig
ist, wie man dachte. Aber das gehört wohl zum Erwachsenwerden. Der irische
Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats drückte es einst so aus: „In
dem Moment, in dem eine Nation ihre intellektuelle Reife erlangt, wird sie
zunehmend stolz und hört auf, eitel zu sein, und wenn sie zunehmend stolz
wird, versteckt sie ihre Fehler nicht.“
## 2. Dürfte Schottland in der EU bleiben?
In einem Brief an das britische House of Lords vertrat Noch-Kommissionschef
José Manuel Barroso 2012 die Auffassung, dass Schottland nach der
Unabhängigkeit nicht mehr Teil der EU wäre. Die EU-Verträge würden in dem
neuen Land ihre Gültigkeit verlieren. EU-Experte Eric Bonse meint: „Die
neue schottische Regierung müsste erst wieder die EU-Mitgliedschaft
beantragen – und alle müssten zustimmen. Dies würde nicht nur eine monate-
oder gar jahrelange Hängepartie auslösen. Wenn sich Barrosos Auffassung
durchsetzt, hätte der britische Premier David Cameron sogar ein Vetorecht.“
Er könnte Schottland also den EU-Beitritt verweigern. Aber würde er das aus
lauter Rachsucht auch tun? Bei einem Ja der Schotten am Donnerstag wären
seine Tage wohl ohnehin gezählt.
## 3. Welche Währung für Schottland?
Das ist die Achillesferse des schottischen Regierungschefs und
Unabhängigkeitsbefürworters Alex Salmond. Er sagt, Schottland behält das
Pfund Sterling – mit oder ohne Einverständnis der britischen Regierung. Bei
einer Einigung werde Schottland seinen Anteil der britischen Staatsschulden
übernehmen, also rund 27 Milliarden Pfund. Verweigert London die
Zustimmung, beteiligt sich Schottland auch nicht an den Schulden.
Aber wie kann ein Land unabhängig sein kann, wenn es aufgrund einer
Währungsunion ein wichtiges finanzpolitisches Mittel aus der Hand gibt?
Diese Frage hat die Nein-Seite immer wieder genüsslich gestellt – bis es
vielen Wählern aus dem Hals heraushing. Zweifellos wird so mancher Schotte
sein Gespartes jenseits der Grenze deponieren.
Dabei hätte die Beibehaltung des Pfunds viele Vorteile: Schottische und
englische Unternehmen könnten die Geschäfte weiterhin in Pfund abwickeln;
man müsste bei Reisen ins jeweils andere Land kein Geld tauschen; es
entstünden keine Wechselkursrisiken, gegen die sich Firmen teuer absichern
müssten.
Bei unterschiedlichen Währungen hingegen würden zwei der größten britischen
Geschäftsbanken, die Royal Bank of Scotland und die Bank of Scotland, ihren
Zugang zur britischen Notenbank verlieren. In einer Krise gäbe es
niemanden, der die Banken stützen und die Einlagen der Sparer garantieren
könnte.
## 4. Würde der Schottland-Urlaub teurer werden?
Wohl kaum. Schottland ist jetzt schon teuer genug, vor allem im Raum
Aberdeen, der Ölhauptstadt Großbritanniens. Dort buchen die
Ölgesellschaften oft ganze Hotels für die Wochentage. Am Wochenende kann
man dann ein Schnäppchen machen, im Internet werden Zimmer mit 87 Prozent
Rabatt angeboten – 40 statt 300 Pfund.
Der frohe Gast, der sich auf eine Unterkunft in einer Luxusherberge freut,
wird enttäuscht. Der Laden entpuppt sich als Kaschemme, das Zimmer hat
weder Tisch noch Stuhl, das Licht flackert, und auf den Teppichfliesen
toben die Milben. Dennoch – ein Schottland-Urlaub lohnt sich allemal. Und
es muss ja nicht Aberdeen sein.
## 5. Welche Folgen hätte ein „Yes“ für den Sport?
Beim Fußball, Rugby und vielen anderen Sportarten haben die Schotten
bereits ihre eigenen Nationalmannschaften. An den Commonwealth Games nehmen
sie als Schottland teil. Und bei den Highland Games – mit Wettbewerben
unter anderem im Ringen, Dudelsackspiel und Baumstammwerfen – machen
ohnehin fast nur Schotten mit. Nach der Unabhängigkeit könnte man aber
endlich Andy Murray allein für sich reklamieren – den ersten „britischen“
Wimbledonsieger seit Menschengedenken.
## 6. Was bedeutete das alles für die Fischer?
Die Fischerei ist für die Ja-Seite ein Beweis dafür, dass die
Unabhängigkeit nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. Die
Fangquoten werden bislang vom Landwirtschaftsminister in London verhandelt.
Das Ergebnis sind so geringe Mengen erlaubter Fänge, dass viele kleinere
schottische Fischer mittlerweile in den Ruin getrieben wurden. Und die
Fischindustrie ist besonders wichtig für die Region, sie macht etwa ein
Viertel der schottischen Wirtschaft aus.
## 7. Müssten die Schotten dann rechts fahren?
Bloß nicht! Diese lustig gemeinte Behauptung kam vom englischen
Schatzkanzler George Osborne. Ein Tory-Kollege warnte, ein unabhängiges
Schottland wäre anfälliger für Angriffe aus dem All, ein anderer
behauptete, die Schotten könnten dann nicht mehr ihre BBC-Lieblingsserie
„Coronation Street“ sehen.
Die Liste ließe sich fortsetzen. All diese Zeugnisse englischen Humors
stammen aus einer Zeit, als die Gegner der Unabhängigkeit meilenweit vorne
lagen und man sich in London keine Sorgen darum machen musste, dass einem
dieses sonderbare Volk im Norden den Rücken kehren könnte.
Das Lachen blieb Osborne und Konsorten im Halse stecken, als die Ja-Seite
stetig aufholte. Außerdem waren die Bemerkungen töricht, denn sie lösten
vor allem bei den Unentschlossenen Verärgerung darüber aus, dass britische
Regierungskreise die schottischen Bestrebungen offenbar auf das Niveau der
Witzseite des Boulevardblatts Sun herunterziehen wollte.
## 8. Welche Fahne fürs restliche Königreich?
Der Union Jack würde etwas gerupft aussehen: Das Blau des schottischen
Andreaskreuzes müsste daraus verschwinden. Man könnte es durch das
walisische Grün ersetzen, denn Wales ist in dem Lappen bisher gar nicht
vertreten.
Der Union Jack ist übrigens nicht symmetrisch, wie man auf den ersten Blick
vermuten könnte. Der unionistische nordirische Pfarrer Ian Paisley, der
vorige Woche gestorben ist, erkannte aus 500 Meter Entfernung, ob die
Flagge falsch herum hing. Dass das Restland den Namen Former United Kingdom
(FUK) tragen wird, ist ein Gerücht.
## 9. Welche Chancen böten sich für Schottland?
Wenn man die Energie, die aus der Anfangseuphorie nach einem Ja entspringt,
dazu nutzt, etwas Neues zu schaffen, könnte es interessant werden.
Expremierministerin Margaret Thatcher hat in den 1980er Jahren eine
Deindustrialisierung und Hinwendung zur Privatisierung in Gang gesetzt, die
vor allem Schottland, aber auch Nordengland und Wales betrafen.
Damit wurde der Zusammenschluss mit England zur Bürde. Schottland
entwickelte sich immer weiter nach links, je ungleicher die Gesellschaft
aufgrund der von London verfügten Kürzungen wurde. Die Labour Party setzte
die neoliberale Politik und die Entfremdung nahtlos fort. Sie zog 2003 in
den Golfkrieg, den 38 Prozent der Engländer, aber 65 Prozent der Schotten
ablehnten. Beginnt Salmond wie versprochen mit dem Aufbau einer fairen und
gerechteren Gesellschaft, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Schafft er
nur einen neuen Staat nach altem Muster, kann man die Sache abhaken.
## 10. Ist gar ein Happy End in Sicht?
Nachdem die Scheidungsmodalitäten 2016 geklärt und alle in den Urlaub
gefahren sind, ruft Alex Salmond listig die Schauspielerlegende Sean
Connery (James Bond) zum schottischen König aus. Nach Prinz Philips Tod
2017 kommen sich Queen Elizabeth und Connery bei einem Bankett auf Schloss
Gripsholm näher. Ein Jahr später heiraten die beiden Greise und führen ihre
Königreiche wieder zusammen – zum Vereinigten Paradies der
Steuerhinterzieher. Hauptstadt wird George Town auf den Kaimaninseln.
Vielleicht kommt aber auch alles anders …
17 Sep 2014
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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