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# taz.de -- Blumio rappt über das Weltgeschehen: Der Anti-Journalist
> Mit seinen musikalischen Nachrichten unterhält Blumio bis zu 100.000
> Menschen – und kämpft gegen den Häppchenjournalismus der Medien.
Bild: Hat seine Lässigkeit aus Hiphopistan, seinen Namen aus Japan und sein In…
Musik an. Blumio gähnt. „Yeah, yeah, yeah“, rappt er im Takt des Beats, der
durch das kleine Studio dringt. Noch ein Gähnen, passend im Takt. Dann legt
er los: „Vor ’ner Woche entfachte hier ein großer Streit / über die
sogenannte Scharia-Polizei / Salafis zogen los in orangefarbnen Westen / so
vier, fünf Leute, sie mahnten und schwätzten …“ In keiner Zeile hört man
Blumios Müdigkeit. Dabei hat er noch bis fünf Uhr nachts an dem Text
gesessen. Jetzt ist es neun nach zehn.
Blumio ist Rapper und macht Nachrichten für ein Publikum, das sich oft
nicht für Nachrichten interessiert. Diese Woche läuft die 92. Folge seiner
[1][„Rap Da News“], eines Videoformats, das wöchentlich auf Yahoo
erscheint. Immer zu einem aktuellen Thema. Die Tagesschau für junge Leute?
„Nein. Wenn die Tagesschau und die anderen Medien nicht so undifferenziert
wären, müsste ich die ’Rap Da News‘ in dieser Form nicht machen“, sagt
Blumio. „Ich versuche, ein Gegengewicht zu den Medien herzustellen. Nicht,
sie zu ergänzen.“
Wären die Leute nur richtig informiert, glaubt Blumio, gäbe es nicht so
viele Kriege, nicht so viel Leid auf der Welt. „Mit dem Herzen entscheiden
die Menschen immer richtig. Aber diese Häppchennachrichten, die es in den
Medien gibt, die informieren ja nicht.“
Diese Woche rappt er über die Scharia-Polizei. Die These: Sie war zu groß
in den Nachrichten. Das bietet den Radikalen ein Forum. Was die Ablehnung
von Muslimen in der Gesellschaft verstärkt. Was wiederum junge Muslime
empfänglicher für fundamentalistische Gedanken macht. „Und während ihr
Medien in letzter Zeit euch jeden Tag / Mit ’n paar verkleideten Polizisten
beschäftigt habt / Geben Rechte jetzt den Ton an / Vier Angriffe auf
Moscheen allein im letzten Monat.“ Musik aus.
## Am Ende noch ein Fazit
Geschätzte Aufnahmedauer: 20 Minuten. „Passt“, murmelt Blumio. Er verlässt
den Aufnahmeraum, setzt sich wortlos auf einen Stuhl neben seinen
Produzenten Rusbeh und sagt: „Ich will dann am Ende noch ein Fazit
aufnehmen, ja?“ Aus den Boxen des Studios dröhnt die frisch aufgenommene
Musik, auf dem Regal an der Wand stapeln sich Papier und Aktenberge, leere
Weinflaschen und ein Geigenkasten. Ein kleiner Ventilator bläst den
Zigarettenrauch aus dem Fenster ins Zimmer nebenan.
Blumio heißt eigentlich Fumio Kuniyoshi – was aus dem Japanischen kommt und
„Humio“ ausgesprochen wird. Mit seinem dicken schwarzen Brillengestell, den
Baggy-Jeans und seiner überdimensionalen goldenen Uhr sieht er ein bisschen
aus wie eine Kreuzung aus Ghetto-Kid und Berlin-Hipster. Er rappt, seit er
13 ist, seit seinem Durchbruch im Jahr 2009 kann er von der Musik leben.
Und das gar nicht so schlecht. Sein bekanntester Song „Hey Mr. Nazi“ hat
auf Youtube über 12 Millionen Klicks – doppelt so viele wie Bushido mit
seinem neuesten Musikvideo.
Die Idee zu den „Rap Da News“ kam von Yahoo. Einem Mitarbeiter des
Onlinedienstes gefiel Blumios Musik, Blumio gefiel die Idee. Schließlich
feierte auch Blumentopf, eine seiner Lieblingsbands, mit der musikalischen
Spielberichterstattung bei der Fußball-WM große Erfolge. Am Anfang ähnelte
Blumios Konzept noch der Tagesschau: Viele Themen mit wenig Meinung in
kurzer Zeit. In der zweiten Folge im September 2012 bringt er innerhalb
einer einzigen Minute unter: den ESM-Rettungsschirm. Das
Prostitutionsgerücht über Bettina Wulff. Die US-Wahlen. Den 9/11-Gedenktag.
Und den antimuslimischen Film „Die Unschuld der Muslime“.
## „Je mehr man weiß, desto mehr regt einen auf“
„Aber wenn du so was jede Woche machst, wirst du halt politischer“, sagt
Blumio. Er sitzt nach vorne gebeugt auf dem roten Ledersofa in der Ecke
seines Studios. Seinen Kopf hat er auf der rechten Hand abgestützt. „Und je
mehr man weiß, desto mehr regt es einen auf, wenn zum Beispiel Gauck so
Sachen vom Stapel lässt, wie: Wir müssten ’mehr Verantwortung‘ übernehme…
Blumio lacht bitter. „Klar, wenn man sich nicht so auskennt, dann denkt
man: ’Wow, cool, Verantwortung, is’ doch gut.‘ Aber wenn du’s geopoliti…
betrachtest und die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hast, dann weißt
du, wo das hinführen soll: in einen Kriegseinsatz.“
Blumio spricht bedächtig, wählt seine Worte sorgsam aus. Trotzdem verliert
seine Stimme nie den lässigen, etwas schleppenden Tonfall, den wohl alle
Rapper irgendwann in einer geheimen Schule in Hiphopistan antrainiert
bekommen. „Dieses Verständnis, das ich jetzt habe, will ich an die Leute
weitergeben“, sagt er. „Man kann die Menschen nicht für ihre Unwissenheit
kritisieren. Sie werden ja unwissend gelassen.“
Um den „Häppchennachrichten“ der etablierten Medien entgegenzutreten,
behandelt Blumio jetzt jede Woche nur noch ein Thema. Und das dafür
ausführlich. Mit Hintergrundinfos, Vergleichen – und seiner persönlichen
Einschätzung der Lage. Das kommt gut an: Seit der Umstellung sind die
Klickzahlen sprunghaft angestiegen. 20.000 bis 100.000 Leute sehen im
Schnitt wöchentlich die „Rap Da News“.
„Die Arbeit mit Yahoo ist echt ganz cool. Die reden mir inhaltlich nicht
rein“, sagt Blumio. „Klar wollen die Belege für das was ich sage. Aber die
habe ich ja, da achte ich selber drauf.“ Meistens, sagt Blumio, brauche er
für einen Text anderthalb Tage. Von Donnerstagvormittag bis Freitag früh.
„Davon geht fast die ganze Zeit für die Recherche drauf“, sagt er. „Das
Songtext-Schreiben dauert vielleicht zwei Stunden, höchstens drei. Aber es
geht ja auch um den Inhalt, irgendwie.“
An diesem Freitag ist Blumio um 15 Uhr fertig. Die Musik ist aufgenommen,
das Video gedreht, die Fotos für den Hintergrund ausgewählt. Den Rest macht
Produzent Rusbeh.
## Sorge um die politische Gesinnung der Fans
Blumio nimmt seine Hündin Maggi an die Leine und macht sich auf den Weg in
den nahe gelegenen Park. Auf dem Weg philosophiert er einmal mehr über
seine Fans. Es macht ihm Sorgen, dass ihm „Leute aus falschen Gründen
Applaus geben“ könnten. Immer wieder kommentieren Leute „Fuck Amerika“ o…
„Scheiß Juden“ unter seinen Videos. Kürzlich hat er [2][eine ganze Folge …
diesem Thema] gedreht. Die Botschaft: Wenn ich die amerikanische Regierung
kritisiere, heißt das nicht, dass Amis scheiße sind. Wenn ich Israels
Regierung angreife, dann sagt das nichts über das israelische Volk. Oder,
in Blumios Worten: „Ihr wollt Feindbilder? Bitte lasst es! / Wir sind nur
Bauern auf dem politischen Schachbrett.“
Der Park ist, bis auf den Spielplatz, weitestgehend geschlossen. Ein Sturm
hat einige Bäume ausgerissen, aus Sicherheitsgründen haben Behörden einen
Zaun um große Teile des Geländes aufgestellt. Blumio schlüpft zwischen zwei
Gittern hindurch und macht seinen Hund los. „Manchmal frage ich mich, wohin
ich gehe, wenn hier ein Krieg ausbricht“, sagt er. Und ein paar Schritte
später: „Island, vielleicht. Wusstest du, dass es da keine Mücken gibt?“
Dann schüttelt er den Kopf. „Nein, das ist natürlich Gedankenspinnerei.“
Drei Schritte. „Aber irgendwie Sorgen macht mir das schon. Diese immer
stärkere Rhetorik gegen Russland und so.“
Der Ukrainekonflikt ist eines dieser Themen, auf die er immer wieder
zurückkommt. „Wie kann eigentlich ’Putinversteher‘ ein Schimpfwort sein?…
fragt er. „Wie kann man so positive Worte wie ’verstehen‘ zu einem
Schimpfwort machen?“
Während er redet, greift Blumio sich eine Parkbank, die unter einem Baum im
Schatten steht, trägt sie in die Sonne und setzt sich drauf. An dem Baum
gegenüber formt sich die Rinde zu einem großen Auge, das direkt in seine
Richtung blickt. „Bestimmt die Illuminaten“, sagt Blumio und lacht.
## Rassismus ist wie ein verdorbener Vanillejoghurt
Ist er eigentlich Japaner oder Deutscher? Blumio lässt sich Zeit.
Schwierige Frage. „Tja, als Deutscher kann ich mich nicht sehen, auch wenn
ich hier geboren wurde.“ Ein nachdenklicher Blick in die Ferne. „Für die
anderen bin ich eben Japaner. Und irgendwann projiziert man fremde
Meinungen ja immer auf sich selbst.“ In seiner Kindheit, erzählt er, wurde
er als „Ausländer“ gehänselt – „Tschintschin, dummer Japse“.
„Kinder sind grausam“, sagt er. „Aber ich nehme den Leuten Rassismus oft
gar nicht übel.“ Rassismus ist wie ein verdorbener Vanillejoghurt, findet
er. „Wenn du als Kind mal einen gegessen hast, dann magst du dein Leben
lang keine Vanille mehr. Weil sich die Erinnerung an das Verdorbene in
deinem Kopf mit dem Geschmack verknüpft.“ Manche Leute, die einmal eine
schlechte Erfahrung mit einem Ausländer gemacht haben, hätten von da an
gleich eine Abneigung gegen alle Japaner oder Türken. Reflexion könnte
helfen. Aufklärung auch. Aber die Medien … Ach, die Medien.
„Ich glaube immer noch, dass die einfach nur richtig informieren müssten,
dann würden die Menschen auch etwas ändern.“ Ein Rapper will also im
Alleingang gegen die etablierten Medien antreten? „Ja, das stimmt. So
einfach ist das nicht“, sagt er dann langsam. „Aber ich kann es ja
zumindest versuchen.“
21 Sep 2014
## LINKS
[1] http://de.screen.yahoo.com/blumio---rap-da-news/
[2] http://de.screen.yahoo.com/blumio---rap-da-news/blumio-rap-da-news-episode-…
## AUTOREN
Laura Meschede
## TAGS
Rapper
Nachrichten
Medien
HipHop
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