# taz.de -- Moshe Gershuni in Berlin: Sag mir, wo du stehst | |
> Erstmals widmet die Neue Nationalgalerie einem israelischen Künstler eine | |
> Einzelausstellung: Moshe Gershunis „No Father no Mother“. | |
Bild: Beim Malen ist „dein Hintern genauso wichtig wie dein Kopf“, sagte Ge… | |
Wer Moshe Gershunis Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin | |
sehen möchte, wird beim Weg nach drinnen mit einer Aussage auf Hebräisch | |
konfrontiert. In fetter roter Druckschrift steht da rechts vom Eingang: | |
„Wer Zionist ist“. Auf der linken Seite steht: „Und wer nicht“. Diese | |
Arbeit von 1979 ist ein Ausrufezeichen, das die Betrachterin zugleich zu | |
einer politischen Positionierung auffordert: Sag mir, wo du stehst. | |
Aber was bedeutet die Frage, wer Zionist ist, für einen deutschen, einen | |
nicht-jüdisch-israelischen Betrachter? Wenn man über eine Ausstellung von | |
Moshe Gershuni in Berlin schreibt, einen der bekanntesten Künstler in | |
Israel, dessen Werke außerhalb des Landes aber bisher kaum gezeigt worden | |
sind, muss man ständig einen Schalter umlegen, um die verschiedenen von | |
Gershuni benutzten Zeichen, Worte und Symbole nach ihrer Bedeutung im | |
jeweiligen kulturellen Kontext zu befragen. | |
Gershuni ist seit vier Dekaden als Künstler tätig. In der israelischen | |
Kunst nimmt er eine prominente Rolle ein, weil er transgressiv mit | |
jüdischen und israelischen, kollektiven und persönlichen Identitäten | |
spielt. Gershunis Werk beschäftigt sich mit der Vernichtung der | |
europäischen Juden und mit jüdischen Riten, steht der Politik des Staates | |
Israel kritisch gegenüber und setzt sich mit seiner Homosexualität | |
auseinander, wobei er sich der künstlerischen Werkzeuge der eurozentrischen | |
modernen Kunst bedient. | |
Seine Ausstellung „No Father no Mother“, die vor kurzem eröffnet wurde, ist | |
die erste Einzelausstellung, die die Neue Nationalgalerie überhaupt einem | |
israelischen Künstler widmet. | |
Bis 1980 hat Gershuni konzeptuell gearbeitet. Im selben Jahr zeigte er im | |
israelischen Pavillon bei der Biennale in Venedig eine Installation mit dem | |
Titel „Mit dem Blut meines Herzens“, die sich mit Auschwitz beschäftigte. | |
Gershuni arrangierte mit roter Farbe bespritzte Teller zu einem Hakenkreuz, | |
es war wahrscheinlich die erste Swastika eines israelischen Künstlers. | |
Konfrontiert mit Arbeiten von Anselm Kiefer, der ebenfalls in Venedig | |
vertreten war, wandte sich Gershuni der Malerei zu und ging auch hier | |
synchron mit anderen europäischen und amerikanischen Künstlern, die zur | |
Malerei zurückkehrten. Von nun an wurde Gershunis Werk auch persönlicher. | |
## Gershuni malt auf allen Vieren | |
„No Father no Mother“ widmet sich dieser Phase mit Werken aus den Jahren | |
1980 bis 2011: Rund achtzig Gemälde und Zeichnungen sowie eine Serie | |
„Jüdischer Keramik“. Acht Bilder aus Gershunis erster Serie von Gemälden | |
sind zu sehen, die sich in Rot, Gelb und Schwarz der „Figur“ eines | |
„Soldaten“ widmen. Wie beinahe alle seine Werke hat Gershuni sie mit Händen | |
und Füßen auf allen vieren gemalt. Bei dieser beinahe rituellen Tätigkeit | |
ist „dein Hintern genauso wichtig wie dein Kopf“, wie Gershuni einmal | |
sagte. Die undefinierten Farbflächen sind weder abstrakt noch figurativ in | |
diesem taktilen Auftrag von Glasfarbe und zähflüssigem Industrielack. | |
Auf den Gemälden ist zu lesen: „Ich bin ein Soldat, „Wunderbarer Soldat“ | |
und „Wo ist mein Soldat“. Man meint beinahe die verführerische und zugleich | |
protestierende Stimme des Malers zu hören, dem sein Soldat zum Gegenstand | |
des Begehrens und des Bedauerns wird. Es könnte ein Liebhaber sein oder | |
eine Mutter, die da spricht. Die Farben Rot und Gelb stehen für Blut, Feuer | |
und Krieg, aber auch für Körperflüssigkeiten. | |
Auf ähnliche Weise vermischt Gershuni in „Isaak! Isaak“ und „Kleiner Isa… | |
die biblische Geschichte Abrahams, der bereit ist, Gott seinen Sohn zu | |
opfern, mit einer pazifistischen Aussage (beide Werke entstanden während | |
des Libanonkriegs 1982–83) und einer möglichen homoerotischen Lesart: | |
Vielleicht ist Isaak der Liebhaber des Künstlers. Ihren Namen hat die | |
Ausstellung von der Zeichnung „Kein Vater und keine Mutter“ von 1998. Von | |
links nach rechts hat Gershuni mit Kohle über das gelbliche Blatt | |
gestrichen und gewischt. Unten links sind in etwas zitternder Handschrift | |
die titelgebenden Worte geschrieben, darunter ein schwarzer Davidstern. | |
Man kann den Text als Zeugnis eines Waisen lesen, aber auch als Ausdruck | |
des Wunsches, die Bürde von Vater und Mutter, das historische Erbe und die | |
sozialen Beschränkungen abzuwerfen. Zweifel und Trauer korrespondieren mit | |
der Aufforderung, in der Geschichte eine Position zu suchen, mit der man am | |
Eingang konfrontiert wird. | |
Angesichts der komplizierten Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis | |
kann man die Entscheidung, in der Neuen Nationalgalerie einen israelischen | |
Künstler zu zeigen, der sich als Repräsentant der ermordeten Juden von | |
Europa versteht, sich öffentlich mit seiner Homosexualität auseinandersetzt | |
und seiner Regierung kritisch gegenübersteht, als klare Wahl begreifen. | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Tal Sterngast | |
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