# taz.de -- Altmetallsammler in Rumänien: Das Leben der Magneten | |
> Dorel Ciuci gräbt nach Alteisen. Es blieb ihm nicht viel anderes übrig, | |
> als die Mine in Petrila schloss. Menschen wie ihn nennen sie dort die | |
> „Magneten“. | |
Bild: Oberhalb der Mine in Petrila: Die Bewohner des Armenviertels Bosnia komme… | |
PETRILA taz | Kurz vor dem Ortsschild von Petrila hält der Kleinbus bei den | |
Bahnschienen. Täglich verkehren nur noch zwei Züge zwischen Petrosani und | |
Petrila, deswegen nehmen die Fußgänger den Bahntunnel, der hier beginnt, | |
als Abkürzung. Es ist dunkel, und die Menschen laufen im Gänsemarsch über | |
die Schwellen oder durch den Kohlenstaub daneben. Nur noch ein knappes Jahr | |
werden die Züge die Steinkohle aus den Minen von Petrila und Lonea | |
transportieren. IWF und EU haben darauf gedrungen, dass die Minen | |
geschlossen werden. Nach 2018 darf der Staat den Bergbau nicht mehr | |
subventionieren, und die Produktion wird vielerorts bereits jetzt | |
zurückgefahren. | |
Jenseits des Hügels, am anderen Ende des Tunnels, wird gearbeitet. Das | |
vierstöckige Gebäude, das früher zum Bergwerk gehörte, hatte als Lagerraum | |
gedient. Aus einem Fenster werfen zwei Jungen einen Metallträger herunter. | |
Drei andere übernehmen und schmeißen ihn auf den Anhänger ihres Dacias. Im | |
Gebäude arbeiten 15 bis 20 Menschen. Die Alteisensammler: „Magneten“, wie | |
die Einheimischen sie nennen. Sie kommen früh und bleiben, bis es dunkel | |
wird. | |
Alle kaufen Altmetall an, vor allem Eisen und Kupfer, aber auch | |
Plastikbehälter, „Kanister“, wie die Einheimischen sagen. Nichts bleibt | |
ungesammelt in Petrila. Die Arbeitskräfte, die man in Rumänien in den | |
1990er Jahren entsorgte, sammeln nun alles, was im Schiltal noch verwertbar | |
ist. Die ehemalige Lagerhalle hier wurden von der Mine Petrila nach der | |
Wende veräußert, sie gehört jetzt einem insolventen Unternehmen. | |
„Heute früh waren wir über 50 Mann, jeder hat sein Team“, sagt Marius | |
Iancu, ein Junge mit roter Regenjacke und kurzer Hose, die oberhalb der | |
Tätowierung auf dem Bein aufhört. Er arbeitet hier, um seine Freundin im | |
Gymnasium zu unterstützen. Manchmal organisieren die Kollegen eine Säge, | |
doch das Gros der Arbeit wird mit dem Hammer erledigt. Wenn ein Eisenträger | |
fällt, klopfen sie den Beton ab, bis das Skelett frei liegt. Sie schauen, | |
ob jemand unten steht, und werfen das Teil aus dem Fenster. Helm oder | |
Handschuhe trägt keiner, die sind zu teuer für ein Magnetenleben. | |
## Für 20 Kilo Eisen ein Brot und zwei Liter Bier | |
Arbeitet ein Magnet allein, kann er täglich 20 bis 30 Kilogramm Alteisen | |
auf seiner Karre oder im Sack auf den Recyclinghof bringen. Dafür bekommt | |
er höchstens fünf Euro, die er in ein aufgeschnittenes Brot und eine | |
Plastikflasche mit zwei Litern Bier investiert. | |
Die Recyclinghöfe übernehmen die Ware, ohne viele Fragen zu stellen. | |
Letztes Jahr hat die Regierung die Auflagen für diese Unternehmen | |
verschärft, nachdem der rumänische Zugverkehr öfter einmal wegen geklauter | |
Kabel, Einfahrtssignale lahmgelegt worden war. Betreiber der | |
Wertstoffsammelstellen sind jetzt verpflichtet, die persönlichen Daten | |
ihrer Alteisen- und Kupferlieferanten aufzunehmen. Das liegt nicht nur an | |
der fragwürdigen Herkunft des Materials – die ganze Branche hinterzieht | |
Steuern. Doch sowohl Regierung wie auch Medien kritisieren in der Regel die | |
Magneten, das letzte Glied der Kette. | |
Einige Meter weiter arbeiten drei Männer mit Spitzhacken in einem Graben. | |
Heute haben sie nichts gefunden. „Wir schuften wie die Zuchthäusler“, sagt | |
der Älteste und Gesprächigste der Gruppe. „Ich grabe hier nach Alteisen, | |
seitdem ich bei der Restrukturierung entlassen wurde. Das war 1997.“ Er | |
heißt Dorel Ciuci und trägt eine dunkelrote Arbeitshose und eine schwarze | |
Mütze, die seine Halbglatze versteckt. Geboren ist er in Petrosani und | |
aufgewachsen in Petrila. Er hat eine Maurerausbildung. Lange war Ciuci bei | |
der Mine angestellt, wo er Schachtwände befestigte und alte Galerien | |
zumauerte. Nach der Kündigung war seine Abfindung schnell weg – ebenso wie | |
seine Frau mit den Kindern. | |
Ciucis einzige übrig gebliebene Verwandte ist seine Schwester, die | |
Zeitungen in einem Kiosk an der Hauptstraße in Petrosani verkauft und damit | |
100 Euro im Monat verdient. | |
„Wenn du mit 54 Jahren Arbeit suchst, guckt dich der Patron an und sagt dir | |
– du bist schon alt, Mann! Oder er stellt dich schwarz ein, und nach zwei | |
Monaten fängt er an, dir was vom Pferd zu erzählen, statt dir den Lohn zu | |
zahlen.“ Für Ciuci blieb nur die Alternative, sein eigener „Patron“ zu | |
werden und auf eigene Faust Alteisen zu sammeln. Ihm fehlte das Geld für | |
Miete und Nebenkosten, so verlor er auch seine Einzimmerwohnung in Petrila. | |
Seitdem wohnt er bei einer Frau, die ihn „nach Hause mitnahm“. Jeden Tag | |
steht er früh auf und geht seiner Beschäftigung nach, selbst sonntags und | |
an Feiertagen wird gegraben und geklopft. | |
## Plötzlich gab die Betonwand nach | |
Dem Gebäude, das die Jungen gerade demontieren, möchte er lieber | |
fernbleiben. Er hat Angst, dass die tragende Struktur auf die Menschen | |
herunterbrechen könnte – da hat er schlechte Erfahrungen gemacht. | |
Stattdessen sucht er mit den beiden jüngeren Kollegen weiter nach Altmetall | |
in Löchern und Gräben. Letztendlich war es der Staat, der für die | |
Demontagen die Richtung vorgab, glaubt Ciuci, nicht die Magneten. Das | |
Aufbereitungswerk der Mine in Petrila, bei dem früher viele Menschen aus | |
der Gegend arbeiteten, wurde letztes Jahr abgerissen. | |
„Wenn du auf Kupfer stößt, machst du mehr Geld“, sagt Dorel Ciuci. „Aber | |
auch mit Eisen kannst du Glück haben. Vor zwei Jahren habe ich riesige | |
Zahnräder ausgegraben. Da hatte ich über 100 Euro in einer Stunde.“ Das | |
Problem sei, dass bei den Recyclinghöfen die Waagen manipuliert seien. Und | |
dass die Polizei die Magneten schikaniere. Obwohl die Situation allgemein | |
als „unbeherrschbar“ gilt, verteilt die Polizei ab und an Strafzettel, die | |
niemand zahlen kann. Dementsprechend können die Magneten keine Bankkonten | |
mehr eröffnen, weil sie unbezahlte Geldstrafen angesammelt haben. | |
An einem Tag – Dorel Ciuci arbeitete an einer Baracke aus Backstein – | |
verließ ihn sein Glück. Er hatte in dem Gebäude gegenüber einen zwölf Meter | |
langen Betonbalken gefunden und versuchte, das Eisen herauszubekommen. Die | |
Frau, bei der er lebt, hatte ihn am Morgen gefragt, wohin er gehe, es war | |
ja Feiertag. „Unser Essen reicht für heute, was ist mit morgen?“, hatte er | |
erwidert. Knapp einen halben Meter war es noch bis zum Ende des Trägers, | |
als das Betonstück plötzlich nachgab und auf ihn fiel. Er blieb stecken und | |
verletzte sich am Arm, an den Rippen, seine Beine blieben stecken. Er fing | |
an, vor Schmerz zu schreien. Die anderen Magneten, die in der Nähe | |
arbeiteten, liefen weg, aus Angst, dass jemand kommen und Fragen stellen | |
würde. | |
## „Ihr hättet ein Implantat aus Alteisen nehmen sollen“ | |
„Hätte ich dieses Handy nicht dabeigehabt, wäre ich jetzt tot“, erzählt | |
Dorel Ciuci zwei Wochen später. Noch unter dem Betonbalken hatte er es | |
hinbekommen, die Notrufnummer 112, danach auch seine Lebensgefährtin | |
anzurufen. Fünf oder sechs Jungen kamen schnell mit einem Auto und zogen | |
ihn heraus, noch ehe der Krankenwagen kam. Sie brachten ihn ins Krankenhaus | |
nach Petrosani, wo er drei Tage später operiert wurde. Man implantierte ihm | |
eine Metallstange in den Arm und eine andere oberhalb des Knies, das andere | |
Bein wurde eingegipst. | |
Die Frau klopfte mit den Jungen das Eisen aus dem Balken frei, fand dort | |
noch ein Kabel aus Kupfer und brachte alles zum Recyclinghof, wo sie für 80 | |
Kilo Metall knapp elf Euro einkassierte. | |
Nach der OP fragte der Arzt, ob Ciuci eine Versicherung hätte. Nein, hatte | |
er nicht und auch kein Geld für die Behandlung. Man sagte ihm, in diesem | |
Fall müsse er das Krankenhaus verlassen. „Wie soll ich jetzt gehen, wenn | |
ich nicht mal aufstehen kann?“, fragte er. „Ihr hättet ein Implantat aus | |
Alteisen nehmen sollen, das wäre billiger gewesen.“ | |
Schließlich gewährte ihm die Klinik einen zweiwöchigen Aufenthalt. Er | |
bräuchte jeden Tag eine Spritze mit einem Medikament gegen Blutgerinnung, | |
sonst würde er sterben, sagte man ihm. Eine Dosis kostet zwei Euro. Die | |
Kosten der dreimonatigen Behandlung werden nicht vom Krankenhaus | |
übernommen. | |
„Sie werden mich wahrscheinlich verklagen und in den Knast stecken, weil | |
ich den Krankenhausaufenthalt nicht bezahlen kann“, befürchtet Dorel Ciuci. | |
„Vielleicht ist es auch besser so, denn aus dem Knast können sie mich nicht | |
rausschmeißen.“ | |
Eine Woche später besorgte ihm seine Schwester einen Rollstuhl, in dem er | |
schließlich entlassen wurde. Er rollte zur Agentur für Arbeitskräfte und | |
meldete sich arbeitsunfähig. Das Geld vom Amt reicht für vierzehn Spritzen | |
im Monat. Die Kollegen, die in der Nähe des Tunnels graben und klopfen, | |
bringen ihm ab und an etwas zu essen oder ein paar Lei. Aus der ehemaligen | |
Lagerhalle haben die Magneten inzwischen das ganze Alteisen | |
abtransportiert. | |
2 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Silviu Mihai | |
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