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# taz.de -- Illegaler Bergbau in Rumänien: Das aufgegebene Revier
> Früher baute Mihai Stoica Kohle ab, heute muss er für die Familie Kohle
> klauen. Wie einst stolze Bergarbeiter in die Kriminalität abrutschten.
Bild: Kinder spielen in einem verlassenen Plattenbau einer Bergarbeitersiedlung…
URICANI taz | Eine enge Schneise zieht sich den steilen Abhang hinauf.
Grauschwarz ist der Boden und wie glatt geschürft, Reste von Säcken liegen
herum. "Ich lasse die Kohle in einer Plastikwanne einfach den Abhang
herunterrutschen", sagt Mihai Stoica.
Er klettert den Abhang hoch. Weil er so steil ist, hält er sich an Zweigen
von Bäumen und Sträuchern fest. Auf halbem Weg nach oben ist eine mächtige
Buche samt Wurzel umgestürzt, etwas unterhalb davon befindet sich eine
Grube. "Ein eingestürzter Stollen", sagt Stoica lakonisch. Er klettert
weiter hoch.
Schließlich steht er vor seinem eigenen Stollen. Er verschnauft. Es ist
still im Wald um diese Jahreszeit, von ferne dringt das Rauschen des
Flusses heran. Der Ort liegt gut versteckt. Wenn Stoica hier etwas
passieren würde und er wäre allein, würde niemand ihn finden. Er untersucht
den Fels am Eingang. "Man muss wirklich gut aufpassen", sagt er. "Letztes
Jahr ist ein Bekannter verschüttet worden. Er hat nur knapp überlebt."
Stoica entdeckt einen Riss in dem spröden Schiefergestein und tritt ein
paarmal dagegen. Flache Stücke platzen ab. Es wird wohl nichts einstürzen.
Aber dieses Wetter mit Temperaturen um den Gefrierpunkt ist das
gefährlichste. Die Nässe im Gestein taut und friert, taut und friert, und
manchmal sprengt sie es.
Vorsichtig geht Stoica in den niedrigen Stollen. Er ist an die acht Meter
lang und völlig ungesichert. Auch innen prüft Stoica die Wände, dann nimmt
er seinen Grubenhammer aus der Umhängetasche und beginnt, Kohle aus einer
Wand zu schlagen. Als genügend auf dem Boden liegt, füllt er sie in einen
Plastiksack. Immer wieder hält er für einige Augenblicke inne mit der
Arbeit, um auf Geräusche in der Wand zu hören. Manchmal knirscht und knackt
es leise. "Der Berg ist unberechenbar", sagt er.
Am Rande des westrumänischen Schiltals, irgendwo in den Bergen: Manche
Steinkohleflöze reichen hier bis fast an die Oberfläche. Mihai Stoica hat
eines entdeckt. Er hat sich durch einen Meter Erde und Schiefergestein
gegraben, dann war sie da, gute, reine Steinkohle. Anderthalb Tonnen hat
Stoica hier letzten Herbst herausgeholt und in 40-Kilo-Säcken auf seinem
klapprigen Fahrrad nach Hause gekarrt. Jetzt, seit es kalt geworden ist,
gräbt er wieder.
## Hohes Risiko
Der Mittdreißiger heißt in Wirklichkeit anders. Er hat Angst, seinen wahren
Namen zu nennen, denn was er hier macht, ist nicht nur lebensgefährlich,
sondern auch streng verboten. Illegaler Bergbau. Doch Stoica geht das
Risiko ein, damit er und seine Familie im Winter nicht erfrieren.
Stoica war Bergarbeiter, von einigen Unfällen unter Tage sind ihm Narben an
Hals und Kinn geblieben. Er ist seit langem arbeitslos, zu Hause hat er
eine Frau und drei Kinder - fünf Personen, die von umgerechnet 50 Euro
Sozialhilfe und Kindergeld im Monat leben müssen. "Holz ist sehr teuer, wir
haben kein Geld dafür", sagt Stoica. "Also hole ich hier Kohle raus. Wir
könnten ja sonst nicht heizen. Es ist verboten, ja, aber ich mache es aus
Not."
Das Schiltal in Westrumänien liegt idyllisch eingebettet in die wilden, bis
zu zweitausend Meter hohen Karpatengipfel. Doch die Gegend ist keine
Urlaubsregion. In den Plattenbaughettos herrscht sozialer Notstand. Der
Bergbau wird abgewickelt, weil er unrentabel ist, die Entlassenen sind auf
sich selbst gestellt, Hilfe vom Staat gibt es nicht.
In der Ceausescu-Zeit förderten in den Gruben des Schiltals 50.000
Bergarbeiter Steinkohle. Die zumeist ungelernten Arbeiter waren aus allen
Landesteilen gekommen, angelockt von hohen Löhnen, denn Ceausescu benötigte
viel Kohle für seine riesigen Metallkombinate und Kraftwerke.
Nach dem Sturz des Diktators waren die Kumpel zunächst noch eine
verhätschelte Klientel der herrschenden Wendekommunisten. Doch ab 1997
wurden die ersten Zechen stillgelegt. Zwei Jahre später brachte eine
Bergarbeiterrevolte Rumänien an den Rand des Ausnahmezustands: Tausende
verzweifelte Kumpel marschierten gen Bukarest, um die Regierung zu stürzen,
die Machthaber ließen Panzer auffahren, nur knapp entging Rumänien blutigen
Auseinandersetzungen. Noch einmal erhielten die Bergarbeiter eine
Gnadenfrist, dann wurde die Zechenschließung fortgesetzt.
## Zechen werden stillgelegt - Alternativen gibt es keine
Heute ist das Schiltal Rumäniens größter sozialer Brennpunkt. Etwa 6.000
Kumpel arbeiten noch in den sieben verbliebenen Steinkohlezechen. Bis 2018
will der Staat auch sie schließen. Langfristige Sozialprogramme gab und
gibt es nicht. Doch die entlassenen Bergarbeiter und ihre Familien
revoltieren heute nicht mehr. Sie siechen in den heruntergekommenen
Wohnghettos vor sich hin, neue Arbeit vor Ort hat fast niemand gefunden.
Eine tragische und zugleich absurde Situation angesichts der Möglichkeiten,
die Rumänien zur Armutsbekämpfung hätte: Aus EU-Töpfen stehen dem Land
viele Milliarden Euro Fördergelder zur Verfügung, gerade auch für
Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung. Doch Rumänien nutzt das Geld
bisher kaum - unter allen osteuropäischen EU-Ländern ist es das
Schlusslicht bei der regelkonformen Beantragung von Projektförderung. Die
Auszahlungsfrist läuft bis 2015, dann verfallen nicht genutzte Beträge.
Bitterste Armut, Menschen, die auf eigene Faust nach Kohle graben - das gab
es im Schiltal zuletzt in der Zwischenkriegszeit. Nun haben die Ärmsten der
Armen wieder mit dem illegalen Bergbau begonnen. Niemand kennt das Ausmaß,
aber man muss nicht lange durch die Wildnis streifen, um illegale Stollen
zu entdecken.
Mihai Stoica hat vor zwei Jahren angefangen zu graben, zusammen mit einem
Freund, auch er ehemaliger Bergarbeiter. Sie kennen sich aus, dennoch ist
das Risiko hoch. Etwas oberhalb von Stoicas Stollen wurde letzten Winter
ein Bekannter verschüttet. Er brach sich beide Beine und konnte sich nur
mit Mühe befreien. "Ich glaube, er hat immer noch ziemliche große
Gesundheitsprobleme", sagt Stoica, "seine Knie sind kaputt, so ganz wird er
sich wohl nie mehr erholen."
Wieder knirscht es im Gestein. Stoica horcht auf, dann sagt er: "Raus jetzt
hier, zu gefährlich." Der Sack ist halb voll, Stoica verschnürt ihn, stellt
ihn in eine Plastikwanne und lässt sie den Abhang herunterrutschen. Dann
steigt er hinab.
Stoica stammt ursprünglich aus einem Dorf in Südrumänien, seine Eltern
waren arme Bauern und hatten neun Kinder. 1992 ging er ins Schiltal, ins
Städtchen Uricani, da war er gerade achtzehn. Er fing im örtlichen Bergwerk
an, 1997 hatte er bei einem Grubenunglück eine Kohlenmonoxidvergiftung und
überlebte nur knapp. Seine Frau drängte ihn zu kündigen. Die Regierung
hatte gerade begonnen Zechen im Schiltal zu schließen und zahlte relativ
großzügige Abfindungen. Stoica kündigte. "Sie haben versprochen, dass sie
Arbeitsplätze schaffen, in Möbelfabriken und im Tourismus", erinnert er
sich, "alles sollte viel besser werden."
Von der Abfindung bezahlten die Stoicas ihre Schulden beim
Elektrizitätsunternehmen und kauften einen neuen Kühlschrank. Eine
dauerhafte Arbeit fand Stoica nicht, seine Familie hielt er mit
Gelegenheitsjobs über Wasser. Er war Verkäufer und Straßenfeger, Tagelöhner
bei Bauern und Hilfsarbeiter auf dem Bau, sammelte Pilze und Waldfrüchte.
Ein Schicksal, das er mit vielen anderen in Uricani teilt. In der Zeche
Uricani arbeiten noch 830 Leute, die Arbeitslosigkeit im Städtchen liegt
bei 70 Prozent. "Ich habe all den Versprechungen damals geglaubt", sagt
Stoica, "heute bedauere ich, dass ich gekündigt habe."
## "Tal der Tränen"
Die Stoicas wohnen in einem der vielen verwahrlosten
Fünfziger-Jahre-Wohnblocks von Uricani. Einst sollte das Viertel im Stil
des Stalin-Barocks eine lichte Zukunft verheißen. Übrig geblieben sind
bröckelnde Fassaden, Dächer, durch die es hineinregnet, innen Schwamm und
Schimmel.
Auch in der kleinen Zweizimmerwohnung der Stoicas riecht es nach Schimmel.
Es sieht aus, als sei die Familie hier nur vorübergehend untergebracht. Es
gibt ein Bett, ein paar Stühle, einen Tisch, einen Fernseher, die Wände
sind ohne Bilder, der Flur hat keine Garderobe. Der 5-jährige Sohn schläft
mit seinen Eltern im Ehebett, die 12-jährige Tochter und ihr 8-jähriger
Bruder klappen jeden Abend die Couch im Wohnzimmer auseinander.
Stoicas Frau Ioana steht am Herd und frittiert Kartoffelspalten, an diesem
Tag das Mittagessen. Lächelnd und mit stolzem Gleichmut spricht sie über
ihr Leben. "Viele nennen das Schiltal auch Tal der Tränen", sagt sie, "aber
wir können uns nicht aussuchen, wo wir leben. Eigentlich möchten wir
unseren Kindern eine gute Bildung bieten, aber weiter als bis zum
jeweiligen Tag können wir nicht denken."
Es hat begonnen zu regnen, es ist kühl in der Wohnung. Mihai Stoica geht in
den Keller und holt Kohle, um zu heizen. In einem Verschlag lagert, was er
aus dem Berg geholt hat, rohe Steinkohle, viele kleine fett glänzende
Stückchen, viel Staub. Stoica schaufelt einen Eimer voll und legt noch ein
paar Holzspäne dazu.
Oben, im Ofen, glimmt bald ein Kohlefeuer. Manchmal, wenn die Stoicas kein
Geld haben, um eine neue Füllung ihrer Propangasflasche zu bezahlen, kochen
sie in der Backröhre des Ofens. Mihai Stoica starrt ins Feuer. Er will
versuchen, in Spanien Arbeit in der Landwirtschaft zu finden, aber er weiß
nicht, wie er das Fahrgeld zusammenbekommen soll. "Es sind schwere Zeiten",
sagt er. "Die soziale Sicherheit der Leute zählt überhaupt nichts mehr. Es
wurde so viel versprochen und nichts getan. Wir fühlen uns betrogen."
20 Dec 2011
## AUTOREN
Keno Verseck
## TAGS
Bahn
Rumänien
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