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# taz.de -- Die Ermordung Theo van Goghs: Trinkfest im Jenseits
> Vor zehn Jahren wurde Theo van Gogh von einem Islamisten ermordet. Heute
> erinnert Holland an sein die Kunstszene prägendes Schaffen.
Bild: Am 2. November 2004 ermordet: der Filmemacher Theo von Gogh (Archivbild v…
Vielleicht ein Geheimdienst-Thriller? Ein düsteres Werk über die
Versäumnisse des „Allgemeinen Auskunfts- und Sicherheitsdienstes“ AIVD, der
den Mörder, den Islamisten Mohammed Bouyeri, kannte, ihn gewähren und nach
dem Attentat Beweismaterial verschwinden ließ?
Oder ein Dokumentarfilm über den Sohn des Filmemachers, bei der Tat am 2.
November 2004 gerade 13, der nun erstmals darüber spricht, wie er den Tod
des Vaters bewältigt hat? Oder ein Theaterstück, das den Menschen hinter
dem großmäuligen Provokateur Theo van Gogh inszeniert?
Ein Sonntagabend, drei Möglichkeiten der Gestaltung, und alle haben mit
Theo van Gogh zu tun, dem niederländischen Regisseur, Zeitungskolumnisten
und Interviewer. Am Abend seiner Ermordung huldigten die Amsterdamer
lärmend und schreiend in seinem Namen der Meinungsfreiheit.
Exakt zehn Jahre danach erinnern öffentlich-rechtliches (VPRO) wie
Privatfernsehen (RTL4) und eine der wichtigsten Bühnen des Landes, die
Stadsschouwburg Amsterdam, an Leben und Werk van Goghs.
## Kollektiver Seufzer
Fazit: Die Niederlande sind über das Attentat nie hinweggekommen. „Dieses
fucking Datum“ – so titelt die linke Wochenzeitung Vrij Nederland in ihrer
aktuellen Ausgabe. Ein Zitat von Van Goghs Sohn Lieuwe aus oben genanntem
Dokumentarfilm. Doch eigentlich ist es eher ein kollektiver Seufzer mit
verschiedenen Dimensionen: In ihnen hallt der Schock der brutalen Ermordung
nach, ebenso wie die aggressiv geführte und latent entflammbare Debatte
über Meinungsfreiheit und Identität, die mit einem möglichen zweiten
Prozess gegen den Rechtspopulisten Geert Wilders vor einer weiteren Klimax
stehen könnte.
Außerdem ergibt sich aus der Amsterdam-lastigen Intellektuellenszene des
kleinen Landes ein weiterer Bezugspunkt. Zwischen ihren Protagonisten
bestehen zahlreiche Querverbindungen. Freunde und Weggefährten, aber auch
Gegner van Goghs schaffen in ihrer künstlerischen Arbeit einen Platz für
den Mord an dem Enfant terrible aus ihrer Mitte.
## Als Schutzengel durchs Jenseits
2011 schrieb der Filmemacher Eddy Terstall das Theaterstück „De dood van
Theo van Gogh“, in dem eine Schauspielerin gekreuzigt wird. Der
Schriftsteller Leon de Winter, von van Gogh mehrfach schwer beleidigt,
nannte ihn dafür klootzak (Scheißkerl), betonte jedoch, van Gogh habe dazu
jedes Recht gehabt. In De Winters Roman „Ein gutes Herz“ wird van Gogh ein
Denkmal gesetzt: Nach seinem Tod schwebt er als Schutzengel durchs
Jenseits, der mangels körperlicher Grenzen unglaublich viele Drinks
vertragen und mehr als ein Dutzend Kippen zugleich rauchen kann.
Nicht zufällig sind es Menschen aus dem engsten Umfeld, die sich zum
zehnten Todestag mit van Gogh auseinandersetzen – in einer Weise, dass sich
die persönliche Perspektive auf den Verlust eines Freunds mit der
gesellschaftlichen Bedeutung seiner Ermordung vermischt.
Im Dokumentarfilm „Ein schönes Gespräch mit Lieuwe van Gogh“, benannt nach
der legendären Interview-Reihe Theos, tritt sein Sohn öffentlich auf.
Bewegen konnte ihn dazu die ehemalige Regieassistentin seines Vaters,
Doesjka van Hoogdalem.
## Ein anarchistischer Monolog
Auch van Goghs Schulfreund Roeland Hazendonk gedenkt seiner mit dem
Theaterstück „Van Gogh spricht“. Es ruft in einem anarchischen Monolog die
schillernde Persönlichkeit Theo van Goghs auf, den trinkenden und koksenden
Elefanten im politisch korrekten Porzellanladen. Dass auch masturbiert und
gevögelt wird, scheint so programmatisch wie die Ankündigung, niemand würde
verschont.
Zwischen individueller Trauer und gesellschaftlicher Konsequenz changiert
auch Theodor Holman, enger Freund van Goghs und Kolumnist der Tageszeitung
Het Parool. Sein Roman „Das gestohlene Leben“ handelt von einem Mann,
dessen bester Freund von einem Islamisten ermordet wird. Holman zeichnet
auch für den eingangs erwähnten Politthriller verantwortlich, gemeinsam mit
dem Produzenten Gijs van de Westelaken. Immerhin, der Spielfilm „2/11 – Het
Spel van de Wolf“, der auch in die Kinos kam, hat nun dafür gesorgt, dass
van Goghs Ermordung erneut untersucht wird.
2 Nov 2014
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Islamismus
Niederlande
Islamophobie
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