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# taz.de -- Fünf Jahre nach Van-Gogh-Mord: Nachwehen eines Attentats
> Fünf Jahre nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh sind die
> Fronten in der niederländischen Gesellschaft verhärtet. Polemik gegenüber
> Muslimen hat Konjunktur.
Bild: Am 9.11.2004, wenige Tage nach dem Anschlag auf Van Gogh, brennt die isla…
Die somalischstämmige Islamkritikerin und Politikerin Ayaan Hirsi Ali war
deutlich: "Der niederländische elfte September", so nannte sie den Mord an
ihrem alten Weggefährten, dem Regisseur Theo van Gogh, jüngst in einem
Gespräch mit der niederländischen Tageszeitung Het Parool.
Der Vergleich mag überzogen klingen, doch die Symbolik der Bilder ist
ähnlich dramatisch: hier die einstürzenden Twin Towers, dort der tote
Provokateur, der mit Hirsi Ali den Film Submission über die Unterdrückung
der Frau im Islam gedreht und Muslime "Ziegenficker" genannt hatte. Er lag
rücklings auf einem Amsterdamer Bordstein, in blauem T- Shirt, mit
Hosenträgern und einem Messer, das ihm bis zum Schaft in der Brust steckte.
Ein Mord am hellichten Tag in der Hauptstadt.
Im kleineren Rahmen sind auch die Auswirkungen vergleichbar. Der 2.
November 2004 hat die Niederlande so einschneidend verändert wie kein
anderes Datum der vergangenen Jahrzehnte. Besonders deutlich wird das, wenn
sich wie dieser Tage Medien, Politiker und Publizisten an den Mord erinnern
und eine Bilanz ziehen: Was ist seit dem Attentat geschehen, wie hat sich
die niederländische Gesellschaft und wie haben sich die Debatten verändert?
Was entstand aus dem wütenden Aufruhr in den Tagen nach dem Mord, als
Moscheen in Flammen aufgingen und nicht wenige eine Eskalation
befürchteten?
Die Antworten fallen wenig positiv aus: Hirsi Ali, die inzwischen in die
USA emigriert ist, malt ein finsteres Bild von Intellektuellen. Diese
hätten sich aus der Diskussion um die Meinungsfreiheit zurückgezogen, um
nicht die nächsten Opfer zu sein. Gerade in islamkritischen Kreisen sei das
Vertrauen in den Rechtsstaat zerstört, da die Polizei das Attentat nicht zu
verhindern gewusst hätte, während eine "ganze Armeeeinheit" radikaler
Muslime im Land lebte.
Aus ihrer Perspektive überrascht dieses Fazit nicht, steht Ali, gegen die
das Attentat eigentlich laut einem am Messer befestigten Brief gerichtet
war, doch seit Jahren selbst unter Personenschutz. Das Eskalationspotenzial
ist geblieben - wenn es um den Islam geht, kann das in den Niederlanden
noch immer Kopf und Kragen kosten.
Besonders gilt dies für den rechtspopulistischen Politiker Geert Wilders,
der seit dem Mord ständig seinen Aufenthaltsort wechselt. Im kommenden
Januar muss er sich wegen diskriminierender Äußerungen über Muslime in
Amsterdam vor Gericht verantworten. Für Wilders fallen diese gleichwohl
unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dass dieses auszuüben zunehmend
erschwert sei, empfinde er als "Beleidigung" van Goghs.
An Wilders kommt nicht vorbei, wer fünf Jahre nach dem Mord ein Fazit
ziehen will: der Aufstieg seiner Partij voor de Vrijheid, erst 2006
gegründet und seit Monaten an den Spitzen der Meinungsumfragen, ist das
elektorale Spiegelbild der Polarisierung nach dem Attentat. Islamkritik,
auch polemische, hat Konjunktur, und die Grauzone zwischen sachlichen
Argumenten und rassistischen Äußerungen ist salonfähig geworden. An
niemandem ist das besser zu sehen als an Geert Wilders, der beides gekonnt
verknüpft.
Die Fronten sind verhärtet in dem einstigen multikulturellen Vorzeigeland,
das sich in dieser Projektion durchaus selbst gefiel. Die latente Debatte
um Islam und Meinungsfreiheit ist geprägt von starkem Positionierungsdruck.
Wer sich, wie vor einem Jahr der junge Sozialdemokrat Ehsan Jami,
öffentlich an die Kritik des Islams macht - der persischstämmige Jami
gründete ein Komitee für abtrünnige Muslime -, scheint automatisch am
rechten Rand des Parteienspektrums zu landen. Jami trat in diesem Monat der
PVV von Geert Wilders bei.
Viele der rund eine Million niederländischer Muslime fühlen sich angesichts
häufiger negativer Verallgemeinerungen zunehmend an den Rand gedrängt und
als "Allochthone" (Fremde) gebrandmarkt. Sie sehen nicht die Notwendigkeit,
sich von Fundamentalisten zu distanzieren, wie es die Mehrheitsgesellschaft
von ihnen fordert. Fundamentalisten wie Mohmammed Bouyeri, der Mörder Theo
van Goghs, der nach der Verkündigung seiner lebenslangen Haftstrafe sagte:
"Sie können alle Ihre Psychologen, Psychiater und Wissenschaftler auf mich
ansetzen, aber Sie werden meine Tat nicht verstehen."
2 Nov 2009
## AUTOREN
Tobias Müller
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