| # taz.de -- Hamburger Schulleiter über Architekt Schumacher: „Ein wundersch�… | |
| > Fritz Schumacher wäre heute 150 Jahre alt geworden. Bernd Tißler ist | |
| > Schulleiter der Stadtteilschule Barmbek, die unter Schumacher entstand. | |
| > Ein Gespräch über die Spuren der Reformpädagogik | |
| Bild: Hier sollten sich die Schüler die Welt praktisch aneignen: die Emil-Krau… | |
| taz: Herr Tißler, Sie leiten eine Schule, die sich aus drei | |
| Schumacher-Bauten zusammensetzt. War Backstein-Expertise ein | |
| Einstellungskriterium? | |
| Bernd Tißer: Natürlich nicht, aber ich bin affin. Ich habe mal überlegt, | |
| Architektur zu studieren. Mich hat immer fasziniert, wie Gebäude weit über | |
| den reinen Zweck hinaus das Leben in einem Stadtteil ästhetisch spiegeln | |
| und prägen. Als Lehramtsstudent musste ich immer an der Emil-Krause-Schule | |
| vorbeifahren, wenn ich in die Stadt wollte. Damals fand ich das Gebäude | |
| toll, wusste aber noch nicht, was es beherbergte. Daran habe ich natürlich | |
| gedacht, als ich mich vor 14 Jahren als stellvertretender Schulleiter | |
| beworben habe. | |
| Fritz Schumacher ist vor allem wegen seiner Backstein-Architektur berühmt. | |
| War er auch Pädagoge? | |
| Bernd Tißler: Er setzte mit seiner Architektur auf jeden Fall die | |
| pädagogischen Impulse um, die die Schule in der Weimarer Zeit prägten. Die | |
| öffneten sich damals für die Kopf-Herz-Hand-Pädagogik: Die Schüler sollten | |
| nicht mehr nur frontal berieselt werden, sondern auch die Möglichkeit | |
| bekommen, sich die Welt durch praktische Übungen anzueignen, durch eigene | |
| Gestaltung. Die individuellen Bedürfnisse der Schüler rückten in den | |
| Mittelpunkt. | |
| Was bedeutete das praktisch? | |
| Damals sollten besonders Schüler aus der Arbeiterschicht in das | |
| Bildungssystem integriert werden, die zum Handwerk oftmals einen anderen | |
| Zugang hatten als die Bildungsschichten. Hamburg damaliger Schulsenator | |
| Emil Krause gehörte zu denen, die diese reformpädagogischen Gedanken | |
| vorantrieben. In Schumachers Architektur spiegelten sie sich dann. | |
| Pädagogik in Stein? | |
| Man wollte wärmere Farben hereinbringen, die Sporthalle etwa war rot | |
| gestrichen. Vor allem aber gab es in den alten Schulgebäuden viele | |
| Werkstätten, in denen die Schüler ihre eigenen Stühle zimmern konnten. Die | |
| Schulen betrieben zudem Gärten und Gewächshäuser, wo die Schüler anbauen | |
| konnten, um den Ertrag danach gemeinsam in eigenen Schulküchen zu Essen zu | |
| verarbeiteten. Der Bezug zu den ganz ursprünglichen Bedürfnissen des | |
| Menschen war da, ganzheitlich und praktisch gedacht. Ein wunderschöner | |
| Gedanke. | |
| Was ist heute davon übrig? | |
| Architektonisch noch jede Menge. Gärten gibt es zwar nicht mehr an meiner | |
| Schule, weil sie immer mehr Schüler aufnehmen musste und Neubauten nötig | |
| waren. Aber in der Tieloh-Schule haben wir noch immer die Schülerküche von | |
| damals. Der pädagogische Gedanke, individuell nach Bedürfnissen und auch | |
| über Handlung zu lernen, verschwand zwar während des Nationalsozialismus, | |
| wurde aber nach dem Krieg wiederentdeckt. Und ist heute genauso gültig wie | |
| damals. | |
| Wie antwortet die Schule auf dieses praktische Bedürfnis? | |
| Wir haben zum Beispiel eine eigene Schülerfirma, in der Fahrräder montiert | |
| und vermarktet werden. Dieser Gedanke, etwas anzupacken und herzustellen, | |
| ist für unsere Schule besonders wichtig. | |
| Warum? | |
| Wir haben einige Integrationsklassen, in denen Jugendliche mit | |
| Flüchtlingshintergrund unterrichtet werden. Die kann man kaum eine | |
| Dreiviertelstunde am Stück frontal bedampfen, einfach, weil die | |
| Deutschkenntnisse noch fehlen. Da sitzen oft 15 Leute aus 15 Ländern. Hier | |
| ist es super, wenn das Lernen über eigenes Bearbeiten statt nur über Hören | |
| oder Sehen funktioniert. | |
| Limitiert Schumachers Architektur auch aktuelle Pädagogik? | |
| Ja, natürlich. Schulneubauten sind heute oftmals völlig mauerfrei, um in | |
| einem großen Raum möglichst flexibel zwischen individuellen Arbeitsphasen | |
| und Unterricht zu springen.Trotz aller Progressivität sind die Gebäude | |
| damals für andere Bedürfnisse gebaut worden. | |
| Nämlich? | |
| In der Krause-Schule haben in den Klassenräumen früher 40 Erstklässler | |
| gesessen, wie Hühner auf der Stange. Heute sind es 25 Gymnasiasten. Die | |
| Räume sind für heutige Bedürfnisse trotzdem zu klein, weil wir räumliche | |
| Konzepte brauchen, die etwa Gruppenarbeit ermöglichen. Bei uns müssen die | |
| Schüler dann auf die Flure ausweichen. Und wir haben Probleme mit der | |
| Inklusion. Für Rollstühle sind die Flure oft zu eng. Für Schumacher waren | |
| sie eben vor allem der Weg nach draußen, in die Natur, wo sich die Schüler | |
| erholen sollten. Wir haben zudem keine Fahrstühle und können aus Gründen | |
| des Denkmalschutzes auch keine bauen. | |
| Wenn Sie sich einen Anbau wünschen könnten – wie würde der aussehen? | |
| Äußerlich wäre es nach wie vor Klinker, ganz klar. Das gehört einfach hier | |
| nach Barmbek. Bei der Innenarchitektur wäre ich aber großzügiger. Offene | |
| Räume, kleine Ecken, in denen Schülern in Gruppen arbeiten können, um dann | |
| im Plenum zusammenzukommen. | |
| Sie bieten auch Workshops zum Thema Backstein an. Ist so ein Stein trotz | |
| aller Klinker-Euphorie nicht ziemlich trocken? | |
| Finde ich gar nicht. Das Thema Backstein hat uns sehr bewegt. Wir reden | |
| nicht nur drüber, sondern bearbeiten unterschiedliche Facetten: Welche | |
| Rolle es spielt in der Region, wie brennt man einen Stein? Und wir | |
| beschäftigen uns auch mit der Backstein-Produktion durch Zwangsarbeiter im | |
| KZ Neuengamme. Also ein ganz breites Feld, dem man sich praktisch und | |
| theoretisch nähern kann. Das sind sozusagen Spuren der | |
| Kopf-Herz-Hand-Pädagogik. | |
| 4 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Thöne | |
| ## TAGS | |
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