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# taz.de -- Reisebriefe von Bruce Chatwin: Nur weg vom Schreibtisch
> Von London in die weite Welt und zurück: Ein erster Band mit Briefen von
> Bruce Chatwin gibt Einblicke in ein nomadisches Autorenleben.
Bild: Bruce Chatwin im Alter von 20 Jahren bei Sotheby's.
Er war ein rastlos Reisender und literarischer Grenzgänger. Vor allem mit
seinen Welterfolgen „In Patagonien“ und „Traumpfade“ stellte er die Les…
vor die Frage, wer da eigentlich geschrieben hatte: ein Romancier oder
Ethnologe, ein schreibender Kunstsachverständiger oder doch ein
Reiseschriftsteller? War er unterwegs, schrieb er Briefe aus allen Ecken
der Welt. Was ihn auf seinem Weg hin zur Autorenschaft umtrieb, kann man
jetzt anhand eines ersten Bands mit Briefen von Bruce Chatwin
nachvollziehen.
Die ersten stammen aus der Schulzeit. Später macht er beim Londoner
Auktionshaus Sotheby’s eine Traumkarriere, hadert aber doch mit sich. Es
liegt ihm nicht, reichen Sammlern Kunst und Kunstgegenstände „auf
betrügerische Weise“ zu verkaufen.
Seinen Abschied von Sotheby’s im Jahr 1966 kommentiert er in einem Brief an
einen Freund: „Veränderung ist das Einzige, für das es sich zu leben lohnt.
Sitz niemals dein Leben an einem Schreibtisch aus. Geschwüre und
Herzprobleme sind die Folge.“ Zu diesem Zeitpunkt hätte aus Bruce Chatwin
eine journalistische Edelfeder werden können. Immerhin schreibt er ab 1972
für das Magazin der Sunday Times und reist unter anderem nach Indien, um
Indira Ghandi zu porträtieren.
Aufträge und Abgabetermine sind aber nicht sein Ding. Er will freier Autor
sein. Der erste Versuch in diese Richtung ist ein anthropologisches Werk
über das Nomadentum und die menschliche Ruhelosigkeit. Erschienen ist das
Buch nie, trotzdem strahlen Chatwins Briefe Anfang der 1970er Jahre
Optimismus aus.
## Wohin die Reise geht
Er weiß jetzt, wohin die Reise geht. Man hat aber auch das Gefühl, dass ihm
schon da klar war, wie wenig er für ein sesshaftes Leben an der Seite
seiner Frau Elizabeth geeignet war. Während sie das erste gemeinsame Haus
einrichtet, ist er auf Reisen, gibt in seinen Briefen Anweisungen und macht
sich Sorgen, wo das Geld zum Leben herkommen soll. Dieses „Ich bin dann mal
weg“ gilt auch für die Zeit von Mitte 1970 bis Ende 1980. Chatwin hat mit
„In Patagonien“ den Durchbruch geschafft und schreibt nacheinander „Der
Vizekönig von Quidah“, „Auf dem schwarzen Berg“, „Traumpfade“ und �…
Besonders interessant sind die Monate, in denen er mit sich ringt, was aus
„Der Vizekönig von Quidah“ werden soll. Zuerst arbeitet er an einem
dokumentarischen Text über eine Familie, deren Patron Sklavenhändler und
einer der reichsten Männer Afrikas war. Im Februar 1980 meint er plötzlich
in einem Brief an den Dokumentarfilmer und Autor Peter Adam: „An kritischen
Stellen gab die Geschichte nach, und mit einer Mischung aus Erleichterung
und Verzweiflung beschloss ich, ein Werk der Phantasie zu schreiben.“
Der Kampf mit der Frage, in welcher literarischen Form er eine Geschichte
verhandeln soll, dauert bei Chatwin in der Regel lange. Kommt er nicht
voran, tendiert er zu einem Ortswechsel und versucht in Briefen die
jeweilige Reise zu organisieren. Geht es besonders intensiv um das
Arrangement möglicher Begegnungen an welchem Ort auch immer, ahnt man, wer
zum Kreis der männlichen Liebhaber des bisexuellen Chatwin gezählt haben
könnte.
## Der Berufung nicht entkommen
Mit diesem Aspekt seiner rastlosen Reiselust gehen die Herausgeber des
Briefbandes diskret um. Nicolas Shakesepeare, ebenfalls Schriftsteller und
ein enger Freund, erklärt im Vorwort, das Kapitel der Liebesaffären nehme
wenig Raum ein, weil „Chatwin oft mit jenen am intimsten ist, denen er
flüchtig begegnet an weit entfernten Orten“. Elizabeth Chatwin äußert sich
zu diesem Punkt nicht, obwohl sie in ihren Anmerkungen zu einzelnen Briefen
sehr direkt sein kann und unter anderem zum Besten gibt, was für ein
anspruchsvoller Gast ihr Ehemann war.
Mit zunehmenden Ruhm wurde Chatwin immer häufiger eingeladen, lebte vor Ort
dann aber in seiner eigenen Schreibwelt. Der Kommentar der Witwe:
„Gewöhnlich kam er vom oberen Stock herunter und sagte: ,Wo ist der
Kaffee?‘ oder ,Was gibt es zum Mittagessen?‘. Er wollte ständig bedient
werden.“
Der größte Anteil der Briefe ist an Elizabeth Chatwin gerichtet. Ansonsten
korrespondierte Bruce Chatwin häufig mit seinem Verleger Tom Maschler und
Francis Wyndham, Schriftsteller und Erstleser der Manuskripte. Briefe an
den Freund Salman Rushdie gibt es nicht. Wie eng Chatwin mit Susan Sontag
befreundet war, hätte man nicht erfahren, wären kurz vor Fertigstellung des
Bandes nicht vier an sie gerichtete Briefe in einem Archiv in Los Angeles
aufgetaucht. In einem schreibt Chatwin, er habe das „Dinner mit den
Kutteln“ sehr genossen. Und er erwähnt eine „Idee mit Berlin“. Um was es
ging, werden wir nie erfahren. Das Berlin-Projekt gehört zu der langen
Reihe der Werke, die Bruce Chatwin angehen wollte, deren Realisierung aber
durch seinen frühen Aids-Tod verhindert wurde.
In den Briefen aus der Endphase seines Lebens trifft man auf einen
Todkranken, für den das Wort „Aids“ tabu ist und der davon ausgeht, eine
Pilzinfektion sei für seinen Gesundheitszustand verantwortlich. Am 18.
Januar 1989 stirbt Bruce Chatwin im Alter von 49 Jahren. Der letzte Brief
des Bandes ist an Nicolas Shakespeare gerichtet. Chatwin diktierte ihn
seiner Frau und meint: „Deine hübsche Karte aus Marokko kam vor 2 Tagen an.
Was ist denn so schlimm daran, ein neues Buch zu schreiben? Du kannst
Deiner Berufung nicht entkommen.“ Insgeheim wusste er wohl schon, dass er
nicht mehr würde schreiben können.
16 Dec 2014
## AUTOREN
Jürgen Berger
## TAGS
Briefe
Reisen
Costa Rica
Einsamkeit
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