Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Osvaldo Bayers Film über Argentinien: Worüber nicht geredet wird
> Osvaldo Bayer, Filmer und Menschenrechtsaktivist, bleibt auf der Spur der
> Geschichte Patagoniens. Nun stellt er seinen Film "Aufstand im
> Morgengrauen" vor.
Bild: Den Kampf der indigenen Bevölkerung Argentiniens dokumentiert Bayers Fil…
Seit Jahrzehnten pendelt er zwischen Deutschland und Argentinien: Osvaldo
Bayer. Im Jahr 1927 im nordargentinischen Santa Fe geboren, ist er einer
der wichtigsten Intellektuellen Argentiniens. In Deutschland liest er meist
vor kleinerem Publikum vor, zuletzt aus seinem bekanntesten Buch "La
Patagonia Rebelde", das nach fast vierzig Jahren endlich in einer deutschen
Übersetzung unter dem Titel "Aufstand in Patagonien" erschienen ist. Am
Freitag kommt er nach Berlin und präsentiert in der Heinrich Böll Stiftung
seinen Film "Awka Liwen", Aufstand im Morgengrauen.
Die Person Osvaldo Bayers und sein Werk hätten wahrlich auch hier eine
größere Aufmerksamkeit verdient. Denn so verbunden Bayer mit der
argentinischen Geschichte war und ist, so eng ist sein Schicksal auch mit
Deutschland verknüpft. Das war auf der dem Gastland Argentinien gewidmeten
Buchmesse im letzten Oktober in Frankfurt am Main zu spüren, als Osvaldo
Bayer bei vielen öffentlichen Auftritten eine späte Würdigung erfuhr.
In Frankfurt am Main wurde vor allem der Buchautor geehrt. Allerdings ein
Autor, der Wert darauf liegt, Aktivistenautor zu sein, und der seinen
Freund, den Journalisten und Autor Rodolfo Walsh, als sein Vorbild
bezeichnet. Der Argentinier Rodolfo Walsh, im selben Jahr wie Bayer
geboren, schrieb zunächst Erzählungen und Kriminalromane, um sich dann der
politischen Reportage zuzuwenden.
Nach dem Militärputsch 1976 ging Bayers Freund Walsh in den Untergrund und
wurde ein Jahr später von den Unterdrückern der Junta umgebracht. Sein
"Offener Brief an die Militärjunta" ist ein erstaunlich weitsichtiges und
wegen seiner scharfsinnigen Analyse auch heute noch lesenswertes Dokument,
wie anderes von Walsh im Züricher Rotpunktverlag auf Deutsch
veröffentlicht.
## Gerettet vom Kulturattaché der BRD
Auch Bayer selbst geriet schon bald ins Visier der argentinischen Junta.
Der auf seiner Buchvorlage basierende Film "La Patagonia Rebelde" feierte
1974 in Berlin Premiere und wurde auf der dortigen Berlinale mit dem
Silbernen Bären ausgezeichnet. In Argentinien konnte er auf Anordnung der
damaligen Präsidentin Isabela Peron bereits im Vorfeld des Militärputsches
von 1976 nicht gezeigt werden.
Bayers Buch wurde wie viele andere Werke verboten und unter der
Militärdiktatur sogar verbrannt. Osvaldo Bayer konnte sich mit Hilfe des
Kulturattachés der westdeutschen Botschaft aus Argentinien in die
Bundesrepublik Deutschland retten, wo er in Berlin-Kreuzberg die Jahre der
Diktatur verbrachte.
Ab jetzt war vor allem der Menschenrechtsaktivist Bayer gefragt, für den es
auf beiden Seiten des Atlantiks genug zu tun gab. Denn so wie es
solidarische Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes gab, die den von den
Diktaturen in Chile, Uruguay und Argentinien Verfolgten Hilfe boten, so
kritikwürdig war das Verhalten der Spitze des Auswärtigen Amts und der
Deutschen Botschaft in Buenos Aires im Allgemeinen. Bayer setzte sich
gemeinsam mit der kleinen, aber kämpferischen Solidaritätsbewegung in
Deutschland dafür ein, die von der Diktatur (1976-1983) verschleppten
deutschen Staatsbürger Klaus Zieschank und Elisabeth Käsemann aus den
Folterlagern zu befreien. Leider erfolglos, die deutschen Behörden blieben
sträflich passiv.
Nach seiner Rückkehr publizierte er regelmäßig in der argentinischen
Tageszeitung Pagina12, dem Sprachrohr der menschenrechtlich orientierten
Linken Argentiniens. Er verstand sich aber auch als Lehrer und war bis 2006
ordentlicher Professor für das Fach Menschenrechte an der Philosophischen
Fakultät der Universität Buenos Aires. Über zwei Jahrzehnte hielt er dort
gemeinsam mit seinem Freund, dem Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez
Esquivel, freitags eine Menschenrechtsvorlesung.
## Verschwiegene Massaker
Wie wichtig sein Buch "La Patagonia Rebelde" für die argentinische
Geschichte war und ist, mag eine kleine Episode aus den Neunzigern
verdeutlichen, als der Autor dieser Zeilen in einem Reisebus im Süden
Patagoniens unterwegs war. Ein junger Reiseleiter beschrieb die Wegstrecke
von El Calafate zum Gletscher Perito Moreno und sagte beiläufig, dass man
gerade die Estancia La Anita passiere. La Anita, La Anita, da war doch was
… Genau. Bruce Chatwin hatte "In Patagonien" über La Anita geschrieben,
dass dort in den Jahren 1921 und 1922 eine Gruppe geflohener aufständischer
Landarbeiter von Militärs massakriert worden sei. Doch in den
Neunzigerjahren konnte ein Reiseleiter in Argentinien darüber noch nicht
offen reden.
Bruce Chatwin hatte die Passagen über die Aufstände Osvaldo Bayers
historischer Untersuchung "La Patagonia Rebelde" entnommen. Nun, 40 Jahre
nach seiner Entstehung, liegt das nicht immer leicht zu lesende Buch im
Trotzdem Verlag auf Deutsch vor.
Es erzählt von den verlorenen Kämpfen der argentinischen Arbeiter und vor
allen Dingen Landarbeiter, den Massakern der 1920er Jahre, ohne die die
autoritäre Entwicklung zugunsten von Estancieros, Großgrundbesitzern und
Fleischunternehmern in Argentinien nicht zu verstehen ist.
Mit einem unglaublichen Detailreichtum schildert Bayer erstmals die
Ereignisse der damaligen Zeit, sowohl den verzweifelten Kampf der
anarchistisch inspirierten Landarbeiter für bessere Arbeitsbedingungen als
auch die immer härtere Repression, vor allem, nachdem der von der Regierung
in Buenos Aires entsandten Armee freie Hand bei der Wahl ihrer Mittel
gelassen wurde. Diese Geschichte war bis zu Osvaldo Bayers Buch in
Argentinien vollkommen unbekannt und sorgte für entsprechenden Ärger unter
den traditionellen Eliten der 1970er Jahre.
Doch der Aktivist und Historiker Osvaldo Bayer hat sich auch später nicht
zur Ruhe gesetzt. Zusammen mit Mariano Aiello und Kristina Hille drehte er
zuletzt "Awka Liwen", "Aufstand im Morgengrauen". Dieser 77-minütige
Dokumentarfilm thematisiert den Kampf der indigenen Bevölkerung
Argentiniens für Land, Ressourcen und volle Bürgerrechte. Dargestellt wird
die Kolonisierung des heutigen argentinischen Staatsgebiets durch weiße
Einwanderer, die im Jahr 1879 mit der sogenannten Conquista del desierto
(Eroberung der Wüste) ihren Höhepunkt erreichte. Bis heute ist von der
Enteignung und Ermordung der früheren indianischen Bevölkerung Argentiniens
wenig bekannt. Geleugnet wird auch die Vermischung der alten und der neuen
Bevölkerungsgruppen, die offizielle Geschichte geht von der Landnahme eines
unbewohnten Gebiets aus.
## Mapuche-Gruppen als Terroristen verfolgt
Doch die historischen Konflikte reichen bis in die Jetztzeit.
Mapuche-Gruppen in den ländlichen Grenzgebieten zwischen Argentinien und
Chile leben weiter relativ traditionell und teilweise nomadisch. Auf
chilenischer Seite werden ihre Organisationen teils als terroristisch
gebrandmarkt und entsprechend verfolgt.
Ganz im Gegensatz dazu wurde aus dem rebellischen Patagonien im Laufe der
Jahre ein allererstes Touristenziel, das vor allem von europäischen und
nordamerikanischen Reisenden gerne besucht wird. Doch viele der scheinbar
unberührten Naturlandschaften gehören reichen Einzelpersonen, ausländische
Investoren betreiben ohne Rücksicht auf Verluste Ressourcenabbau. Osvaldo
Bayer zeigt mit "Awka Liwen", wie wenig der Kampf für Demokratie
abgeschlossen ist, obwohl in Argentinien die Aufarbeitung der
argentinischen Diktaturverbrechen in vollem Gange sind.
19 May 2011
## AUTOREN
Wolfgang Kaleck
## TAGS
Argentinien
Briefe
Argentinien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mapuche-Proteste in Argentinien: Einsatzkräfte schießen auf Teilnehmer
Eine Spezialeinheit tötet einen 21-Jährigen, weitere Menschen werden
verletzt. Sie hatten für die Rückgabe von Land an die Mapuche demonstriert.
Reisebriefe von Bruce Chatwin: Nur weg vom Schreibtisch
Von London in die weite Welt und zurück: Ein erster Band mit Briefen von
Bruce Chatwin gibt Einblicke in ein nomadisches Autorenleben.
Ermordete Elisabeth Käsemann: Die Guerillera
Die 1977 in Argentinien ermordete Studentin Elisabeth Käsemann war keine
Pazifistin. Sie sei aktives Mitglied der PRT-ERP gewesen, sagt ihr
Lebensgefährte.
Menschrechtsverbrechen in Argentinien: Der Mord an Paco Urondo
Vier Polizisten, ein Ex-Militär und ein Geheimdienstmitarbeiter wurden
wegen Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur 1976-83
verurteilt.
Menschenrechtsprozess in Argentinien: Durch Tod dem Recht entflohen
Einer der Hauptverdächtigen im Fall der Ermordung der Deutschen Elisabeth
Käsemann ist gestorben. Die Studentin war 1977 in Argentinien getötet
worden.
Aufarbeitung der Militärdiktatur: Keine Gerechtigkeit in Uruguay
Uruguays Militärs werden straflos davonkommen. Für Verbrechen der Junta
sollen die üblichen Verjährungsfristen gelten, nicht die für "Verbrechen
gegen die Menschlichkeit".
Militärdiktatur in Argentinien: Daimler muss in den USA vor Gericht
Daimler-Benz kann wegen der Auslieferung von Betriebsräten in Zeiten der
Militärdiktatur verklagt werden. Begründung: Kalifornien importierte viele
Autos aus Argentinien.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.