# taz.de -- Rentner als Dauernomaden: Immer dem Sommer hinterher | |
> Nicht nur Urlauber schätzen das australische Camperleben. Auch viele | |
> Pensionäre zieht es mit dem Wohnwagen auf die Straße – und zwar für | |
> immer. | |
Bild: Die Stammgäste kommen jedes Jahr hierher, sie sind Familie. | |
Heißes Grillfleisch, kühles Bier und vor uns das offene Meer – besser hätte | |
dieser Tag nicht ausklingen können. Die erste Etappe unserer Campingtour | |
quer durchs australische Queensland liegt hinter uns. Hier, an einem von | |
Palmen und knorrigen Eukalyptusbäumen umgebenen Strand auf dem Campingplatz | |
des Örtchens Palm Cove, werden wir übernachten. Tische, Stühle, Geschirr | |
und Verpflegung – alles Nötige für einen entspannten Abend haben wir dabei. | |
Rund 1500 Kilometer bis nach Hervey Bay wollen meine Mitreisenden und ich | |
mit unseren vier Motorhomes zurücklegen, großräumigen Wohnmobilen, die mit | |
Bad, Küche und je zwei schmalen Doppelbetten ausgestattet sind. Das Gefühl | |
von Freiheit, die Nähe zur Natur und der preiswerte Unterhalt – so ein | |
Camperleben bringt manche Vorteile mit sich. | |
Das finden nicht nur Urlauber wie wir, sondern auch immer mehr australische | |
Rentner: die „Grey Nomads“, die „Grauen Nomaden“, wie sie sich nennen. … | |
haben genug vom bodenständigen Leben im Eigenheim, verkaufen ihre Häuser – | |
und reisen im Wohnmobil durch die endlosen Weiten des Landes. | |
Eine von ihnen ist Lynn Barber, die ursprünglich aus Tasmanien stammt. Ich | |
treffe sie in der Gemeinschaftsküche von Palm Cove. Für die Mittfünfzigerin | |
und ihren knapp zehn Jahre älteren Mann Graeme sind Campingplätze wie | |
dieser ihr Zuhause. Seit 18 Jahren sind sie mit dem Wohnwagen unterwegs, | |
haben ganz Australien bereist. Auf den Campingplatz von Palm Cove aber | |
kommen sie immer wieder zurück, sagt Lynn: „Die Stammgäste kommen jedes | |
Jahr hierher, sie sind wie meine Familie.“ | |
## Wir legen uns nie fest | |
Lynn, eine zurückhaltende Frau mit zierlicher Figur und kurzgeschnittenen | |
blonden Haaren, hat früher als Rezeptionistin in einem Hotel gearbeitet. | |
Ihr Mann Graeme war in der Holzwirtschaft tätig. Nach einem Arbeitsunfall | |
musste er seinen Job aufgeben und ging in Frührente. Aus dem Unglück wurde | |
ein Glücksfall: Mit ihren Ersparnissen erfüllten sich die beiden ihren | |
Traum vom eigenen Caravan. Kühle, stürmische Winter sind für Lynn und | |
Graeme nun Vergangenheit – die „Grauen Nomaden“ reisen dem Sommer | |
hinterher. | |
„Die große Umzugswelle beginnt Ende Mai, gleich nach Muttertag“, erklärt | |
Lynn. Die reiselustigen Rentner verlassen dann New South Wales, Viktoria | |
und Tasmanien und fahren in den wärmeren Norden nach Queensland. Immer auf | |
der Suche nach neuen Zielen und Abenteuern: „Wir legen uns nie fest“, sagt | |
sie. „An einem Tag fahren wir 400 bis 500 Kilometer, und wenn wir einen | |
netten Campingplatz gefunden haben, bleiben wir – vielleicht eine Woche, | |
zwei Wochen oder auch drei.“ | |
Wir verlassen die beiden am nächsten Morgen und fahren los. Endlose | |
Highways, Mangobäume und Zuckerrohrplantagen am Straßenrand. Hinter uns | |
klappert das Campinggeschirr in holzvertäfelten Küchenschränken. In der | |
Fahrerkabine ist es heiß und schwül wie in einem Gewächshaus. Tropische 35 | |
Grad zeigt das Thermometer an. | |
Unsere nächste Station ist Townsville, etwa 350 Kilometer südlich von | |
Cairns. Der Weg führt uns vorbei an sommergrünen Feldern und einstöckigen | |
Farmhäusern, die mit ihren brüchigen Holzfassaden aussehen wie Attrappen | |
aus einem Italo-Western. Auf dem Parkplatz einer Tankstelle vor Townsville | |
sehe ich schon von weitem das langgezogene Motorhome von Pat Shaw und Greta | |
Hudson. Neben ihm sieht ein gewöhnlicher Kleinwagen aus wie ein | |
Spielzeugauto. Pat, ein ehemals vielgereister Unternehmer und mit über 80 | |
Jahren etwas schwerhörig, hantiert am Wassertank herum. Seine Freundin | |
Greta wartet in der Sofaecke ihres mobilen Wohnzimmers auf ihn. | |
## On the road gegen die Einsamkeit | |
Pat bittet mich zu sich ins Wohnmobil. Mit kleinen Schritten trippelt er um | |
einen Couchtisch mit geblümter Häkeldecke herum. Dahinter eine Vitrine mit | |
Nippes: buntes Keramikgeschirr, Holzschnitzereien. Aus dem Radio schnarrt | |
die sonore Stimme des texanischen Country-Sängers Willy Nelson. Es duftet | |
nach gebrannten Nüssen. | |
Ursprünglich stammt Pat aus der Kleinstadt Cloncurry im Outback. Vor sieben | |
Jahren verkaufte er sein Haus, seither ist er unterwegs. Greta und er haben | |
als „Graue Nomaden“ zueinander gefunden: „Nachdem ich pensioniert wurde, | |
war ich immer alleine“, erzählt er. „Da dachte ich mir: Mach doch mal ’n… | |
Trip durch Australien, bevor du hier vereinsamst!“ Auf seiner Tour hat er | |
Greta kennengelernt: „Seit wir uns begegnet sind, teilen wir uns das | |
Wohnmobil und reisen gemeinsam.“ | |
In einem Land, das über 20-mal so groß ist wie Deutschland, aber nur knapp | |
ein Viertel so viele Einwohner hat, leben die Menschen weit verstreut. Wer | |
im Alter seinen Partner verliert, vereinsamt leicht. Auf einem Campingplatz | |
ist das anders: Man trifft ständig Leute. | |
## Ein Versuch war es wert | |
Pat setzt sich neben Greta, eine Dame mit akkurat geföhnter Haarwelle und | |
nachgezogenen Augenbrauen. Seit zwei Jahren sind die beiden ein Paar. Wie | |
sie sich kennengelernt haben? „Gretas Sohn leitet einen Campingpark in | |
Sarina, einer Küstenstadt nördlich von Rockhampton“, sagt Pat. Als er dort | |
übernachtete, half Greta gerade an der Rezeption aus. „Dort habe ich sie | |
gesehen. Es war Liebe auf den ersten Blick!“ Nach ein paar Tagen hat Pat | |
Greta gefragt, ob sie ihn nicht begleiten möchte. Sie wollte. Und hat es | |
bis heute nicht bereut: „Wir wollten es auf einen Versuch ankommen lassen – | |
und sind zusammengeblieben“, erzählt sie. | |
Die letzten zwölf Monate lebten die beiden an der Gold Coast südlich von | |
Brisbane. Nun wollen sie Gretas Sohn in Sarina besuchen. Solange Pat gut | |
sehen kann, möchte er im Caravan bleiben. Nach seinem Haus in Cloncurry, | |
das er inzwischen verkauft hat, sehnt er sich nicht zurück: „Ich vermisse | |
es überhaupt nicht“, sagt er. | |
Wer als Nomade durch Australien reisen will, aber nicht genug Ersparnisse | |
hat, sucht sich unterwegs Arbeit. Auf Internetportalen wie | |
[1][greynomads.org] oder [2][thegreynomads.com.au] finden reiselustige | |
Senioren Nebenjobs. Viele von ihnen helfen zum Beispiel bei der Kirsch-, | |
Feigen- oder Aprikosenernte. Die Farmer stellen die „Grauen Nomaden“ gerne | |
ein. Sie gelten als besonders zuverlässig. | |
## Die berufstätige Nomadin | |
Ina Träger, eine deutsche Auswanderin, die ich auf der Durchreise in der | |
Küstenstadt Townsville treffe, war drei Jahre lang beides: Nomadin und voll | |
berufstätig. Die gelernte Redaktionsassistentin aus Hessen arbeitet heute | |
im städtischen Reef-Aquarium. Sie und ihr Mann Andreas waren gerade mal | |
Anfang, Mitte 30, als sie beschlossen, ihr Leben von Grund auf zu ändern. | |
„Mein Mann und ich wollten einfach ein bisschen Abenteuer haben“, erzählt | |
sie und lacht: „Die Idee war, ursprünglich ein Jahr in Australien zu | |
verbringen. Heute, nach 16 Jahren, sind wir immer noch da.“ | |
Andreas und Ina reisten mit dem Wohnmobil an der Ostküste entlang, von | |
Brisbane bis hoch nach Darwin, einer Enklave im brütend heißen Norden | |
Australiens. Ihr Geld verdienten sie mit simplen Bürojobs. Wenn ihnen | |
langweilig wurde, fuhren sie einfach weiter. Es war eine Entscheidung gegen | |
das geregelte Leben, wie sie es aus Deutschland kannten. So schön das | |
Abenteuer auch war: Als Ina und Andreas nach drei Jahren Nomadentum in | |
Darwin ankamen, hatten sie genug. Sie entschlossen sich, endlich wieder in | |
ein Haus zu ziehen – mit Klimaanlage. Zwölf Jahre blieben sie dort. „Wir | |
wussten, dass wir mit der Hitze irgendwie leben müssten – aber in einem | |
Haus lässt sich das schon leichter aushalten“, erinnert sie sich. | |
Unsere nächste Etappe führt uns knapp 300 Kilometer nach Airlie Beach, dann | |
weiter nach Rockhampton und Hervey Bay. Wir ziehen die schnurgeraden | |
Highways entlang, passieren mit Seerosenblättern bewachsene Tümpel, lassen | |
die Norfolk Pine Trees mit ihren stacheligen Nadelknäueln hinter uns. Je | |
südlicher wir kommen, desto kühler werden die Nächte.Nach 1.500 Kilometern | |
und sieben Tagen im Wohnmobil kann ich mir nicht mehr so recht vorstellen, | |
dass ich mit 70 Jahren mein Leben auf der Landstraße verbringe. | |
17 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://+greynomads.org | |
[2] http://thegreynomads.com.au | |
## AUTOREN | |
Philipp Eins | |
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