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# taz.de -- Grosse alte Dame: „Nachholen und Ausruhen“
> Unter den Nationalsozialisten kam sie in die Psychiatrie und wurde
> zwangssterilisiert. Heute ist Dorothea Buck Pionierin einer Therapie auf
> Augenhöhe
Bild: Konnte sich nach Selbstmordgedanken wieder aufraffen, obwohl ihr Schreckl…
Aus einem Gespräch mit Dorothea Buck verabschiedet man sich sonderbar
getröstet. Wenn jemand aus den Erfahrungen, die sie gemacht hat, so
lebensbejahend herausgehen kann, dann ist da tatsächlich Hoffnung
taz: Ich hatte es ja angekündigt: Ich möchte Sie zum Thema Hoffnung
befragen.
Dorothea Buck: Ich habe mir drei Punkte dazu überlegt: die mitmenschliche
Psychiatrie, die Genesung begleitet. Die musikalische klassische
Früherziehung durch Kent Nagano, der ja nächstes Jahr unser Operndirigent
wird – haben Sie sein Buch gelesen, es ist ganz wunderbar, „Erwarten Sie
Wunder!“– und schließlich Hamburg als Stadt der Solidarität. Dafür steht
Sabine Tesche mit den Paketen für bedürftige Kinder. Und ich möchte einen
Wunsch frei haben.
Kann ich den gewähren?
Sie können dafür schreiben, dass die lutherischen Theologen sich nicht mehr
besser bezahlen lassen als ihre Altenpfleger. Jesus hat ja nicht gesagt:
„Was ihr einem meiner geringsten Brüder gepredigt habt“, sondern: „Was i…
einem meiner geringsten Brüder getan habt“. Ich bin ja jetzt in der
Altenpflege – das ist eine sehr anstrengende Tätigkeit, körperlich und
seelisch, die völlig unterbezahlt wird.
Sie sind jetzt 97 Jahre alt – haben Sie manchmal das Gefühl: Ich habe mich
lange engagiert, nun sollen es andere tun?
Ich bin jetzt im Albertinen-Haus. Als das anfing, war ich als Grüne Dame
hier, die die Bewohner besuchte, jetzt bin ich völlig bettlägerig. Da lese
ich. Gott sei Dank habe ich mir 2000 eine Linse einsetzen lassen, sonst
wäre ich jetzt blind. Gerade lese ich über Luther – wie konnte er auf diese
etwas seltsame Idee eines allein selig machenden Glaubens kommen, den Jesus
nie vertreten hat? Ich lese und döse abwechselnd. Ich genieße es zu lesen,
wozu ich früher nie gekommen bin, ich war ja frei schaffende Bildhauerin
und dann Lehrerin. Dann habe ich mich sehr für Psychiatrie engagiert. So
dass ich eigentlich nicht von Erschöpfung reden möchte, sondern von
Nachholen und Ausruhen.
Haben Sie das Gefühl, dass die anti-psychiatrische Bewegung nun sicher aufs
Gleis gesetzt ist?
Ich möchte nicht von Anti-Psychiatrie reden, sondern von einer Psychiatrie
als Erfahrungswissenschaft, die auf den Erfahrungen der Betroffenen gründet
statt auf den Spekulationen der Profis. Durch die Pharmaindustrie gab es
eine starke Verengung des Blicks auf den Hirnstoffwechsel. Aber das ändert
sich gerade. Die zukünftige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für
Psychiatrie und Psychotherapie hat erklärt, dass sie künftig mehr
Therapiegespräche führen wollen. Ich habe in der Zeit meiner schizophrenen
Schübe in fünf verschiedenen Anstalten nie ein wirkliches Gespräch erlebt.
1990 schrieben Sie auf, was Sie unter den Nationalsozialisten in der
Psychiatrie erlebt haben. Was war für Sie der Anlass, an die Öffentlichkeit
zu gehen?
Ich bin durch den Journalisten Hans Krieger an die Öffentlichkeit gekommen.
Der hatte mich dazu gebracht, meine Erfahrungen aufzuschreiben. Erst wollte
ich das nicht, ich war damals Lehrerin an der Fachschule für
Sozialpädagogik und dachte: Was sollen die Kollegen sagen, wenn sie wissen,
dass ich in Bethel, einer christlichen Psychiatrie, zwangssterilisiert und
als unheilbar schizophren abgestempelt wurde. Dann habe ich unter dem
Pseudonym „Sophie Zerchin“, das ist ein Anagramm aus Schizophrenie, meine
Biografie geschrieben. Das hat allerlei Aufsehen erregt, weil man zu der
Zeit überhaupt nicht wusste, was eine Schizophrenie ist. Mir war klar: es
ist das eigene Unbewusste, das ins Bewusste einbricht, um vorausgegangene
Lebenskrisen zu lösen, die wir mit unseren bewussten Kräften nicht lösen
konnten. Es kommt darauf an, sich den Sinn dieser oft symbolischen
Erfahrungen zu erhalten, nur ihre objektive Wirklichkeit nicht.
Wie war damals das Echo auf Ihren Vorstoß?
Sie glauben nicht, wie voll die Säle waren. Es war etwas Neues, dass eine
Betroffene, eine Geisteskranke – über 200.000 waren von ihren Psychiatern
umgebracht worden – über diesen Bereich so offen sprach.
Hat Sie das Überwindung gekostet?
Wenn man selber drin ist, wird man sich selbst zum Forschungsobjekt. Ich
bin 1936 als 19-Jährige in Bethel zwangssterilisiert worden, ohne, und das
war gar nicht erlaubt, dass man mir gesagt hätte, warum die Kommission, die
mit mir sprach, prüfte, ob ich zwangssterilisiert werden sollte. Sie haben
es nicht einmal danach getan; eine Mitpatientin hat es mir gesagt. Ich war
verzweifelt und erst als mir der Gedanke des Selbstmords kam, konnte ich
wieder Grund unter die Füße bekommen.
Wie das?
Ich sagte mir: Ich warte ein Jahr ab, wie es dann ist. Wir durften keine
weiterbildenden Schulen besuchen und ich war schon mit 14 Jahren fest
entschlossen gewesen, Kindergärtnerin zu werden. Als ich dann nach einem
Jahr mit Ton-Arbeit in Berührung gekommen war und meinen Weg wieder klarer
sah, bin ich wieder auf die Füße gekommen.
In vielen Ihrer Schriften taucht das Wort „Ermutigung“ auf. Wer hat Sie
ermutigt?
Natürlich Hans Krieger, der meine Erfahrungen für ein Buch wichtig fand.
Anders als meine Familie damals – man glaubte den Studierten statt der
Tochter. Ich fand immer, dass meine Eltern, die mich ja viel besser
kannten, mir mehr hätten glauben sollen als den Psychiatern, die mich ja
gar nicht kannten, weil sie nicht mit mir sprachen.
Aber Sie haben das verwunden.
Erst war es ganz schlimm. Gar nicht so sehr, dass wir keine Kinder bekommen
konnten, wir durften auch nicht heiraten, sondern hatten die offizielle
Abstempelung als minderwertig. Bis heute werden Patienten mit dem Stempel
Schizophrenie dahin beeinflusst, sie könnten ihr Studium nicht fortsetzen,
sie werden entmutigt. Ärzte, die eigentlich die Kräfte des Patienten
stärken sollen, schwächen sie, weil sie als Mediziner gelernt haben, dass
es eine Frage des Hirnstoffwechsels sei.
Grundsätzlich haben Sie aber den Eindruck, dass sich auf dem Gebiet etwas
bewegt?
Es ist sehr unterschiedlich - es sind einzelne Menschen, die, möchte ich
sagen, die Welt in Schuss halten. Noch in den 60er Jahren hat ein Neffe von
Fritz von Bodelschwingh, der die Anstalt unter den Nazis leitete, im
Bundestag gegen die Rehabilitierung von uns Zwangssterilisierten gesprochen
und behauptet, es würde uns nur krank machen. Was für ein Unsinn. Auf der
anderen Seite haben sich jetzt die Krankenkassen entschieden, die
Ex-In-Bewegung hier in Hamburg mit zu finanzieren. Das sind Menschen mit
Psychiatrie-Erfahrung, die in einer einjährigen Ausbildung lernen, ihre
Erfahrungen als Genesungsbegleiter für andere zu nutzen.
Sie haben es mit auf den Weg gebracht, dass Patienten selbst über das
Erlebte sprechen.
Ich habe mit dem Psychologen Thomas Bock vor 25 Jahren den sogenannten
Trialog gegründet. Da setzen sich Betroffene, Angehörige und Fachleute an
einen Tisch. Die Betroffenen erzählen von den Hintergründen ihrer
unverständlichen Psychoseerfahrungen, damit man sie besser versteht. Die
Angehörigen sprechen von ihren Schwierigkeiten, am wenigsten haben die
Profis gesprochen. Sie waren damals aber auch am wenigsten vertreten,
obwohl der Hörsaal bald nicht mehr ausreichte, um alle Leute zu fassen.
Eigentlich könnte Hamburg eine Weltstadt für Solidarität, für eine
menschliche Psychiatrie werden, statt den Hafen auszubaggern.
23 Dec 2014
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Altenpflege
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