| # taz.de -- Nach dem Tod Karl Albrechts: Im letzten Aldi vor dem Jenseits | |
| > Karl Albrecht, der Chef von Aldi Süd, starb im Juli. Er wurde nie | |
| > öffentlich gesehen. Doch im slowenischen Koper, im südlichsten Aldi Süd, | |
| > weht sein Geist. | |
| Bild: Das Aldi-Prinzip: „Seit 1950 verfolgen wir neben dem Grundsatz des klei… | |
| KOPER taz | Der südlichste Aldi Süd liegt am Rande der Hölle. In Koper, der | |
| Hafenstadt des kleinen Balkanlandes Slowenien. | |
| Bis zur kroatischen Grenze sind es wenige Kilometer, bis zur italienischen | |
| noch weniger, die Nachbarstadt ist Triest. Koper ist ein Klein-Venedig am | |
| Fuß des Karstgebirges, dessen riesige Höhlen Dante zum ersten Teil seiner | |
| „Göttlichen Komödie“ inspiriert haben sollen: dem Inferno. Und der | |
| südlichste Aldi Süd heißt auch nicht Aldi, sondern Hofer – so nennt sich | |
| der österreichische Teil der Unternehmensgruppe Aldi Süd. Aldi Suisse | |
| gehört dazu. Aldi Ungarn und eben Aldi Slowenien – sozusagen der k. u. k. | |
| Flügel jenes Handelsimperiums, das Karl Abrecht anführte. | |
| Der zuletzt verbliebene der beiden Aldi-Brüder – sein Aldi-Nord-Bruder Theo | |
| lebt bereits seit 2010 nicht mehr – war mit einem geschätzten | |
| Gesamtvermögen von 18,2 Milliarden Euro der reichste Mensch in Deutschland. | |
| Und trat nie öffentlich auf. Er starb im Juli dieses Jahres in seiner | |
| Heimatstadt Essen. | |
| Vielleicht ist gerade Koper der richtige Ort, um seinem Geist nachzuspüren. | |
| Hier, im letzten Aldi seines Imperiums, dem letzten vor dem Jenseits. | |
| „Als er gestorben ist, haben wir aus der Zentrale eine ausführliche | |
| Mitteilung bekommen – inklusive seiner Lebensgeschichte. Er hat ein großes | |
| Erbe hinterlassen, wir haben ihn alle bewundert“, sagt Ksenija Klepac. Sie | |
| ist die Shop-Managerin des südlichsten aller Aldi Süd, und das nun seit | |
| sechs Jahren. Mit dem Karton in ihrer Hand könnte sie auch eine normale | |
| Verkäuferin sein – oder eine Kundin. Langes blondes Haar, Mitte dreißig. | |
| Nur ihr Namensschild verrät, dass sie hier die Chefin ist. | |
| ## Die Welt in Nord und Süd aufgeteilt | |
| In der Mitteilung aus der Zentrale standen noch einmal die Stationen des | |
| Lebens von Karl Albrecht: geboren am 20. Februar 1920, aufgewachsen in | |
| Essen. Volkshochschulabschluss, gelernter Verkäufer. Gefreiter an der | |
| Ostfront, nach einer Verletzung zu Fuß zurück in die Heimat. 1945 | |
| übernahmen er und sein Bruder Theo das elterliche Lebensmittelgeschäft und | |
| gründeten die Albrecht KG, daraus wurden Aldi Süd und Aldi Nord. Der Rest | |
| ist die Geschichte des Aufstiegs zweier Brüder, die sich die Welt in Nord | |
| und Süd aufgeteilt haben. Sie haben ein Unternehmen geschaffen, das mit | |
| einem Fingerschnipp die Weltbananenpreise rauf- oder runtertreiben kann und | |
| den Butterpreis in Deutschland bestimmt. Marktführer. | |
| Und privat? Golf hat Karl Albrecht gerne gespielt, immer dienstags. | |
| Katholisch war er. Kunst hat er gesammelt. Und Orchideen gezüchtet. | |
| Ob sie gewusst hat, dass Karl Albrecht – bekannt für seine kauzige | |
| Sparsamkeit – am liebsten Produkte aus dem eigenen Sortiment aß? „Wir | |
| wissen, dass er seine eigenen Waren sehr geschätzt hat“, sagt Klepac, und | |
| es klingt, als ob sie über den lieben Gott spräche – oder so, als hätte | |
| diesen Satz die ferne Zentrale vorgegeben. | |
| Vielleicht hätte er einige der wenigen regionalen Produkte geschätzt, die | |
| hier verkauft werden. Teran-Wein zum Beispiel oder Strukli, Strudel mit | |
| Käse. Liegt im Kühlfach. Olivenöl und Kaffee – doch die meisten | |
| slowenischen Hersteller haben nicht die Kapazitäten, um mit den größeren | |
| Produzenten aus Deutschland und Österreich mithalten zu können. Viele | |
| Produkte stehen einfach mit deutscher Beschriftung in den Regalen, „Haribo | |
| macht Kinder froh“. | |
| War er jemals hier, der Chef? „Hier nicht, meines Wissens. Aber vielleicht | |
| in Ljubljana“, im Hauptstadt-Hofer. Sie fragt ihren Districtmanager, ob | |
| Karl Albrecht mal dort war. Enttäuscht muss sie schließlich antworten: | |
| „Nein, er war nie hier. Er war nie in Slowenien.“ | |
| ## Die Explosion des Kapitalismus | |
| Als Aldi 2008 anhob, Slowenien zu erobern, hatte sich Karl Albrecht längst | |
| aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Sein südlichster Aldi Süd liegt | |
| in bester Lage – einerseits. In Fußweite glitzert das Mittelmeer, im | |
| Hintergrund ragen die slowenischen Berge auf. Andererseits teilt sich der | |
| Supermarkt den Parkplatz mit dem städtischen Gefängnis und liegt inmitten | |
| eines irdischen, stadtplanerischen Infernos. Das Gefängnis wurde schon 1984 | |
| geplant, zu Jugo-Zeiten. Dann explodierte der Kapitalismus. | |
| Rund um das Gefängnis entstand ein Gewerbegebiet, hinter dessen monströsen | |
| Fassaden der Liebreiz Kopers versinkt. Das Naturschutzgebiet, das dort war, | |
| hat der umtriebige Bürgermeister Kopers einfach per Gesetz aufgehoben. Wie | |
| zur Strafe bröseln nun die Fundamente der Gebäude dahin, niemand hatte sich | |
| die Zeit genommen, den Grund und Boden auf seine Belastbarkeit zu prüfen – | |
| ein hässliches Neu-Venedig, errichtet auf sumpfigen Brackwasser-Terrain. | |
| Doch der Profit zählte, und Gebäude wie diese sind ohnehin nur auf zwanzig | |
| Jahre ausgelegt. Dann haben sie sich längst amortisiert. | |
| Alenka Fikfak, Leiterin der Fakultät für Urbanistik an der Universität | |
| Ljubljana, weiß auch nicht genau, wie man dieses stadtplanerische Inferno | |
| wieder in den Griff bekommen soll. In zwanzig Jahren? „Man müsste das Areal | |
| wieder in seine mediterrane Anmutung zurückführen. Aber dazu bedarf es | |
| einer Strategie.“ Die Hauptstadt Ljubljana liegt weiter oben im Norden, am | |
| anderen Ende des Karstgebirges. | |
| Draußen, unweit des alten Hotels aus jugoslawischer Zeit, in dem korrekt | |
| livrierte Oberkellner Torten balancieren, ist Weihnachtsmarkt vor | |
| zuckersüßer Kulisse, nämlich der Innenstadt von Ljubljana. Alenka Fikfak | |
| passt mit ihrer eleganten Erscheinung gut hierher. Halblanges, wohl | |
| frisiertes Haar, sorgfältiges Make-up und dezenter Schmuck – doch sie wohnt | |
| mit ihrer Familie längst außerhalb der Hauptstadt. „Heute fragen wir uns: | |
| Wie kann man Gebäude so errichten, dass sie nach Ablauf der Nutzungsphase | |
| neu verwendet werden können?“ | |
| ## Immer an Kreuzungen, nie Bäume | |
| Nach ihrer Einschätzung spielte das für Aldi-Hofer keine Rolle, es geht um | |
| andere Dinge: „Hofer sehen überall gleich aus. Es sind die gleichen | |
| Gebäude, und sie stehen immer an Kreuzungen, am besten im Eingangsbereich | |
| von Shoppingzentren. Auf den Parkplätzen gibt es nie Bäume, das wäre zu | |
| teuer in der Unterhaltung.“ Das Albrecht-Imperium landet überall und bringt | |
| sein eigenes Zeug mit. Ob Karl es von oben – oder wo immer er sich jetzt | |
| der Öffentlichkeit entzieht – mit anderen Augen sieht? | |
| In der Hafenstadt Koper gibt es längst keinen jener traditionellen Märkte | |
| mehr, die immer schon zu Slowenien gehört haben. Stattdessen kommen die | |
| Italiener über die Grenze, um bei Hofer einzukaufen. „Sie denken, dass | |
| Slowenien weniger entwickelt ist und die Ware hier daher authentischer | |
| ist“, erklärt Alenka Fikfak lächelnd. Umgekehrt kaufen die Slowenen ihr | |
| Nutella lieber in Italien oder Österreich, weil sie Angst haben, | |
| Nuss-Nougat-Aufstrich aus Polen zu bekommen, das für den osteuropäischen | |
| Markt bestimmt sei – und nicht so gut schmecke. | |
| Aber wenn das nur das einzige Problem der Slowenen wäre, dann ginge es | |
| ihnen gut. Tatsächlich steckt das ehemalige Vorzeigeland inmitten einer | |
| gewaltigen Krise. Der Bankencrash, die geplatzte Immobilienblase und | |
| korrupte politische Eliten. Wirtschaftlich geht es dem Land nicht gut. Die | |
| Angst geht um in Slowenien, und immer mehr junge, gut ausgebildete Menschen | |
| verlassen das Land. Hofer, sagt Fikfak, ist Teil der slowenischen | |
| Katastrophe, die von einer geplatzten Immobilienblase ausging, „im Fall von | |
| Hofer war eine Menge Geld im Spiel“. | |
| Es gibt jemanden, der genau weiß, wie es so weit kam. Seinen Namen darf er | |
| nicht nennen – er will keinen Ärger, obwohl alles seines Wissens ganz legal | |
| abgelaufen ist, damals, als Hofer Slowenien aufrollte. „Es begann 2008. | |
| Lidl war ja schon zwei Jahre früher da, aber nur mit fünf Filialen. Hofer | |
| hat dann sehr schnell aufgeholt, weil alles sehr professionell organisiert | |
| war“, erinnert sich der Informant. | |
| ## Mindestens 7.500 Autos am Tag | |
| Am Anfang wollte Hofer gar nicht in Koper bauen – man fürchtete, dass die | |
| Italiener von der nahen Grenze das Angebot nicht schätzen würden. Zu | |
| industriell, zu clean im Vergleich zu italienischen Geschäften – aber es | |
| kam dann anders. Und das Monopoly-Spiel funktionierte. Die Hypobank Austria | |
| stellte das Geld zur Verfügung, die Strabag baute – und ein slowenisches | |
| Subunternehmen kümmerte sich um die Erschließung vor Ort. „Für jedes | |
| Grundstück bekam die Firma eine Extraprämie, rund 20.000 Euro.“ | |
| Dafür mussten die exakten Voraussetzungen erfüllt sein: An einer | |
| Hauptstraße, die zugleich Einfallstraße ist. Mindestens 7.500 Autos am Tag. | |
| Geld spielte keine Rolle. „Am Anfang wurden noch 30 Euro pro Quadratmeter | |
| Land gezahlt, innerhalb von zwei Jahren waren es schon 200 Euro. Das war | |
| enorm – und man kann mit Recht sagen, dass Hofer die Immobilienpreise in | |
| Slowenien nach oben getrieben hat.“ Allein für ein | |
| Hofer-Distributionszentrum in der Nähe von Ljubljana wurden über fünfzig | |
| verschiedene Verträge geschlossen – das Geld investierten die glücklichen | |
| Exlandeigner dann in Immobilien. | |
| Ob da nicht auch Schmiergelder flossen? „Wenn es wirklich Schwierigkeiten | |
| mit der lokalen Politik gab, wurde das Management aus Österreich aktiv. Die | |
| sind sehr gut im Lobbying – man hat dann zum Beispiel Sponsoring von | |
| lokalen Vereinen und dergleichen angeboten.“ | |
| Ein Goldrausch war das im nun bedrängten Slowenien, dem kleinen Land | |
| zwischen Österreich, Ungarn, Italien und Kroatien. Am südlichsten Ende des | |
| Aldi-Süd-Imperiums – in Koper, wo Dantes Inferno seine Wurzeln hat. Doch | |
| auch die Hölle im Untergrund des Karst wurde längst privatisiert. Die | |
| legendäre Höhle von Postojna mit ihren bombastischen Stalaktiten gehörte | |
| mal dem Staat, heute zahlt man 22,90 Euro für eine Führung. Disney-Stimmung | |
| mit Touristen aus aller Welt, im Souvenirshop kann man Grottenolme aus | |
| Plüsch kaufen, für 10 Euro. | |
| Vielleicht hätte das Karl Albrecht gefallen. Vielleicht hätte er einen | |
| Produzenten dazu gebracht, die Grottenolme preiswerter zu produzieren. | |
| „Seit 1950 verfolgen wir neben dem Grundsatz des kleinen Warenangebots den | |
| des niedrigen Preises“, so lautet die einzige übermittelte öffentliche | |
| Äußerung Karl Albrechts. Sie stammt aus dem Jahr 1953. Erst kurz vor seinem | |
| Tod hatte er noch einmal mit einem FAS-Journalisten gesprochen. | |
| Betriebsräte hat er nie gemocht – und hat doch in seiner aktiven Zeit dafür | |
| gesorgt, dass die Aldi-Angestellten ordentlich bezahlt wurden. Sein | |
| Vermögen hat er zum größten Teil in eine Stiftung gegeben – und doch ist | |
| sein Unternehmen heute ein global agierender kapitalistischer Krake, der | |
| dank seiner Monopolstellung Preise diktieren kann. | |
| ## Himmel und Hölle | |
| In Dantes „Göttlicher Komödie“ tummeln sich die Raffgierigen und Geizigen | |
| in der Vorhölle, die Schlimmeren von ihnen sind tiefer drin, im vierten | |
| Kreis. Aber so wie Dante Karl Albrecht nicht kennen konnte, war Karl | |
| Albrecht nie in Slowenien und kam auch nie in seine südlichste Filiale in | |
| einem Land, das vor dem Abgrund steht, indirekt wohl auch mit dem Zutun | |
| seines Unternehmens. In der Karst-Region, so sagt man, befindet sich nicht | |
| nur die Hölle. Auch dem Himmel ist man dort sehr nahe, der hohen Berge | |
| wegen und des guten Essens – ein Stück luftgetrockneter Schinken, Prosciut, | |
| dazu Weißbrot und Teran-Wein. Das alles gibt es auch bei Hofer Slowenien, | |
| legendär günstig. | |
| Wo nun der Geist von Karl Albrecht abgeblieben ist? Eines nur ist sicher: | |
| Begraben liegt der Chef von Aldi Süd im südlichen Teil des städtischen | |
| Friedhofs in Essen-Bredeney – sein Bruder liegt, selbstverständlich, im | |
| nördlichen Teil. Karl Albrecht wurde 94 Jahre alt. | |
| Und bei Hofer in Koper gibt es gerade Tatarski biftek im Angebot – für nur | |
| 2,99 Euro. | |
| 31 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
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