# taz.de -- Hanseatisches Demokratieverständnis: Die heimliche Regierung | |
> Hamburgs Handelskammer demonstriert seit 350 Jahren den einzigartigen | |
> Machtanspruch der Kaufmannselite. Doch das Erfolgsmodell droht aus der | |
> Zeit zu fallen. | |
Bild: Rücken an Rücken: hinten das Hamburger Rathaus, vorne die Handelskammer. | |
HAMBURG taz | Wenn am 19. Januar Bundespräsident Joachim Gauck nach Hamburg | |
kommt, um der Handelskammer zum 350. Geburtstag zu gratulieren, ist für | |
Deutschlands älteste Wirtschaftsvertretung die Welt in bester Ordnung: Der | |
ranghöchste Deutsche erweist der Standesvertretung der hansestädtischen | |
Kaufleute seine Referenz. Er wird schon wissen, warum. „Wir handeln für | |
Hamburg!“ heißt mit fröhlichem Doppelsinn das Motto der Kammer, die bis | |
heute den Anspruch vorlebt, die eigentliche Macht gehe von ihr aus. | |
Und tatsächlich: Mit Ex-Kammerpräses Frank Horch bestimmt heute einer der | |
ihren als Senator die Wirtschaftspolitik. Mit dem sozialdemokratischen | |
Ersten Bürgermeister Olaf Scholz weiß die Kammer zudem einen erklärten | |
Wirtschaftsversteher an der Stadtspitze. Mehr denn je scheint heute zu | |
gelten, was im Wendejahr 1990 ein Hamburger Wirtschaftsvertreter in Dresden | |
ostdeutschen Politikern erklärte: „In Hamburg werden die eigentlich | |
wichtigen Entscheidungen in der Kammer und nicht im Rathaus getroffen.“ | |
„Wer regiert eigentlich die Stadt?“ hatte beim 325. Kammerjubiläum 1990 der | |
damalige Präses Klaus Asche gefragt. Der Erste Bürgermeister Henning | |
Voscherau (SPD) bedankte sich daraufhin für die „gute Zusammenarbeit“ und | |
betonte: „Ohne Wirtschaft ist alles nichts!“ Anschließend zitierte er den | |
Gründungsspruch der Commerzdeputation von 1665: „Dem heiligen Commercio | |
diehnsamb heißt auch dem Publiko diehnsamb.“ | |
## Einzigartiges Politikgebilde | |
Regiert in Hamburg 2015 immer noch dieses einzigartige Politgebilde, das | |
Altkanzler Helmut Schmidt einmal als das historische Bündnis von Kaufleuten | |
und Arbeiterklasse, sprich Handelskammer und Sozialdemokratie pries? Ein | |
Bündnis, bei dem die Kaufleute ungestört ihren Geschäften nachgehen und die | |
SPD für angemessene Rahmenbedingungen und Ruhe an den sozialen und | |
politischen Fronten sorgt. Ein Bündnis mit langer Tradition: Schon 1919 | |
hatte die SPD trotz absoluter Bürgerschaftsmehrheit das Amt des Ersten | |
Bürgermeisters ganz bewusst dem Großbürger und Kaufmannssohn Werner von | |
Melle überlassen, um jeder Angst vor revolutionärer Umstürzlerei gleich die | |
Spitze zu nehmen. | |
Schließlich regieren Kaufleute die Stadt, seit sich zu Beginn des neunten | |
Jahrhunderts aus dem Sommertreff einiger Händler unterhalb der Hammaburg | |
der Hafen mit einer Kaufmannssiedlung entwickelte. Kaufmannsfamilien | |
dominierten seither Senat, Rat und Bürgerschaft. Bereits im Jahr 1517 | |
organisierten sich Hamburgs Fern- und Großhandelskaufleute zudem in der | |
„Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns“. Noch schlagkräftiger wurde dieses | |
basisdemokratische Kaufmannstreffen mit der Gründung einer aus ihrer Mitte | |
gewählten Commerzdeputation am 19. Januar 1665, der heute als Geburtstag | |
der Handelskammer gilt. Die traditionsreichen Fahrtgesellschaften, wie etwa | |
die Schonen-, die Flandern- und Englandfahrer, verloren an politischer | |
Bedeutung. Hamburg verfügte damit, wie der Wirtschaftshistoriker Erwin | |
Wiskemann anerkennend vermerkt, „ein auf rationale, kapitalistische | |
Interessen gegründetes Gremium“. | |
## Das Primat des Handels | |
„Politik war in Hamburg immer Handelspolitik“, umschrieb der Kaufmannssohn | |
Erwin Baasch in seiner Chronik zum 250. Kammerjubiläum 1915 diesen | |
speziellen Primat der Wirtschaft. Mit der Commerzdeputation hatten sich die | |
Großkaufleute ein Instrument geschaffen, mit dem sie seither, im | |
Zusammenspiel mit Regierung und Verwaltung, die Politik der Stadt | |
maßgeblich bestimmten. Die handelskapitalistische Rationalität Hamburgs hat | |
nicht nur den Reichtum der Kaufleute gemehrt. Sie hat auch zu Frieden und | |
Wohlstand maßgeblich beigetragen. | |
Dies zeigte sich schon bei der Gründung: Als der Senat zur Abwehr der | |
wachsenden Piratengefahr im 17. Jahrhundert eine stadtstaatliche | |
„Admiralität“ schuf, die mit Zwangsabgaben Konvoischiffe zum Schutz der | |
Handelsschifffahrt finanzieren und organisieren sollte, befürchteten die | |
Kaufleute die Verselbständigung eines teuren Militärapparats. Tatsächlich | |
gelang es der Commerzdeputation, die Admiralität zu zähmen. Nicht | |
politische und militärische Abenteuer prägten deshalb Hamburger Außen- und | |
Handelspolitik, obenan standen stabile Währungssysteme und internationale | |
Rechtssicherheit. | |
## | |
## Toleranz, die man sich leisten kann | |
Aufklärung und eine gewisse Toleranz konnten sich Hamburgs Kaufleute | |
leisten – sie waren dem Geschäftsklima dienlich. Sogar die Begeisterung für | |
Revolutionen war möglich. In einer epochalen Rede auf der Versammlung Eines | |
Ehrbaren Kaufmanns Anfang 1823 zog der Kaufmann, Bankier und damalige | |
Präses der Commerzdeputation Joseph Martin Haller ein begeistertes Fazit | |
der südamerikanischen Befreiungsbewegungen: „Das ganze System der | |
Colonisation hat einen Sturz erhalten. Alle, die seit Jahrhunderten uns | |
verschlossen gewesenen Länder sind uns offen geworden.“ | |
Hamburger Kaufleute konnten so „ohne Schwerdstreich“ mit den Ex-Kolonien | |
eigene, direkte und überaus einträgliche Handelsbeziehungen aufbauen. | |
Hamburg wurde so etwa zur Kaffeehandelshauptstadt der Welt. „Simon Bolivar | |
der Befreier“ steht auf dem Sockel der Statue im Simon-Bolivar-Park in | |
Harvestehude – ein Denkmal an passender Stelle. Am 14. Juli 1790 fand hier | |
ein von Hamburger Großkaufleuten wie Georg Heinrich Sieveking und Caspar | |
Voght organisiertes rauschendes Fest zur Feier des ersten Jahrestages des | |
Sturms auf die Bastille im revolutionären Paris statt. | |
Den ganzen Handelskammer-Schwerpunkt lesen Sie in der taz.am Wochenende | |
oder [1][hier] | |
4 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] /ePaper/!p4350/ | |
## AUTOREN | |
Florian Marten | |
## TAGS | |
Handelskammer | |
Hamburg | |
Demokratie | |
"Arisierung" | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Handelskammer im Nationalsozialismus: Verbrechen hanseatisch verschleiert | |
Der Band „Hamburgs Handelskammer im Dritten Reich“ stilisiert Hamburgs im | |
Nationalsozialismus stark korrumpierte Kaufleute zu Helden. |