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# taz.de -- Lavendel in Frankreich: Vom Heilmittel zum Gift
> Seit Jahrhunderten wird in der Provence Lavendel angebaut. Eine neue
> EU-Bestimmung gefährdet den traditionellen Wirtschaftszweig.
Bild: Wer ist gefährlicher? Die dicke Hummel oder der Lavendel?
PARIS taz | Viel wächst nicht in 600 bis 800 Metern Höhe auf den trockenen
Hängen um den Mont Ventoux in der Provence. Doch in den Sommermonaten Juli
und August entfaltet sich, so weit das Auge reicht, eine violettfarbene und
duftende Pracht. Allein für diese Augenweide nehmen die Touristen gern die
beschwerlich kurvenreiche Fahrt von Vaison-la-Romaine in Kauf. Keiner von
ihnen verlässt nach einem Zwischenhalt das Bergdorf Sault ohne ein paar
Duftsäckchen für den Wäscheschrank oder anderen Lavendel-Mitbringseln.
Die Vorstellung, dass diese Felder demnächst verwildern oder in
Weidelandschaft verwandelt werden könnte, schockiert viele Besucher. Auf
einigen Feldern mit den langen niedrigen Reihen der buschförmigen
Lavendelpflanzen stehen bereits Schilder mit der Aufschrift: „Lavendel in
Gefahr!“
Ungläubig schütteln die Besucher den Kopf, wenn man ihnen erklärt, dass
eine neue Bestimmung der EU-Chemikalienverordnung (Reach) das
wirtschaftliche Ende eines Jahrhunderte alten Lavendelanbaus und vor allem
der traditionellen Herstellung von Lavendelöl zur Folge haben kann.
Betroffen wären auch die Souvenirläden und Restaurants, die vom
Lavendeltourismus leben.
Reach verlangt nämlich von den Produzenten eine exakte Angabe der
Zusammensetzung ihrer ätherischen Öle des Lavendels, die seit der Antike
nicht nur als Parfüm, sondern auch als Heilmittel und zum Schutz vor
Insekten eingesetzt werden. Das heißt, der mit traditionellen
handwerklichen Methoden destillierte natürliche Lavendel wird mit
industriell hergestellten synthetischen Molekülen gleichgestellt. Begründet
wird dies mit dem Hinweis, dass Lavendelöl, ungeachtet seiner Herkunft,
Allergene enthalten könne.
Deshalb soll nun bis auf winzige Spuren von 0,01 Prozent der Gesamtmenge
genau analysiert und deklariert werden, was auf die Haut kommt. Laut Alain
Aubanel vom Berufsverband der Verarbeitung von Heil- und Kosmetikpflanzen
könnten die erforderlichen Analysen ungeachtet der Größe der Unternehmen
oder Familienbetriebe pro Produkt 100.000 bis 300.000 Euro kosten.
## Ahnungslose Eierköpfe
„Wir sind doch keine Chemiker!“, protestieren die Lavendelproduzenten der
Provence, die sich mit einer Petition gegen eine Verordnung wehren, die für
sie weder sinnvoll noch realistisch sei. „Die Eierköpfe in Brüssel machen
keinen Unterschied zwischen einem natürlichen, destillierten ätherischen Öl
und einem Industrieprodukt“, empört sich Paul Chauvet vom
Produzentenverband Apal.
Noch mehr empört ihn die Vorstellung, die südfranzösischen Lavendelbauern
würden die Gesundheit der Menschen gefährden. „Wir sind keine Giftmischer�…
schimpft Chauvet. Er habe nie gehört, dass wegen Lavendel jemand gestorben
sei. Er würde über diese Idee auch lachen, wenn nicht eine ernsthafte
Gefahr für den gesamten Sektor, inklusive der Parfümherstellung in Grasse,
bestehen würde.
Nicht zu erfüllen sei diese Reach-Forderung, weil das Lavendelöl nicht nur
sehr verschiedene Bestimmungszwecke haben könne: für Parfüm, als
Lebensmittelaroma und für Kosmetik- oder Reinigungsprodukte. Auch mache die
wechselnde Vielfalt eines Naturprodukts eine konstante Zusammensetzung
unmöglich. „Eine Pflanze wie Lavendel verändert sich mit dem Boden, dem
Wetter, der Sonnen- und Wassermenge“, argumentieren die
Lavendelproduzenten, die von den Parfümherstellern unterstützt werden.
Denn diese müssen befürchten, dass auch sie von Reach mit gleichen
Begründungen zur Herausgabe ihrer strengstens gehüteten Rezepte gezwungen
werden. Bisher steht auf der Verpackung des weltberühmten Chanel No. 5
keine Zusammensetzung mit Prozent- und Promilleanteilen.
## Unterstützung der französischen Grünen
Solidarisch mit den Lavendelproduzenten und der Destillerien sind auch die
französischen Grünen. Zwar meint die EU-Abgeordnete Michèle Rivasi, es sei
zwar „das Mindeste, dass die Konsumenten über allfällige Risiken informiert
werden“. Die Schutzbestimmungen müssten aber verhältnismäßig sein. Darum
hätten die EU-Grünen in der „Lavendelschlacht“ wenigstens einen Etappensi…
erreicht, dass die Deklarationspflicht erst ab Mengen von mehr als einer
Tonne in Kraft trete.
Damit will sich Apal-Vorsitzenden Francis Vidal nicht abfinden. „Die
Reach-Normen wollen Jahrtausende alte ätherische Öle auf die gleiche Stufe
mit Produkten stellen, die erst seit wenigen Jahren existieren. Unser
Lavendelöl muss in Anwendung des Römer Vertrags von 1957 als
landwirtschaftliches Produkt betrachtet und respektiert werden.“
Zudem seien die Reach-Regeln nicht die einzige Gefahr für die
Lavendelproduzenten der Provence. Diese seien auch durch ähnlich riechende
und aussehende, aber klar minderwertige Produkte, vor allem aus Spanien
oder Bulgarien, bedroht.
7 Jan 2015
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
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