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# taz.de -- Die Wahrheit: Plauschen über die Welt
> Satire im Namen der Vernunft: Eine leider notwendige Replik auf einen
> selbst ernannten Berliner Humorkritiker vor dem Herrn.
Bild: Die Satire und ihre Kritiker schmauchen schon wieder ein Friedenspfeifche…
Man kann es nicht anders formulieren: Bernd Matthies vom Berliner
Tagesspiegel ist ein steter Garant für gute Laune, für echte Kracher, er
ist die Institution in Sachen Komik. Seine Schmunzelglossen lassen schon
Säuglinge ihre Milch vor Lachen wieder ausspeien, sie sind der perfekte
Lesestoff, wenn die Wilmersdorfer Witwe sich abends zum Einschlafen noch
ein Gläschen Mampe halb und halb gönnt, und Fische, die in eine
Tagesspiegel-Ausgabe mit Matthies-Kolumne eingewickelt werden, schlagen
umgehend noch mehrmals vergnügt mit dem Schwanz um sich.
Wer anders als Bernd Matthies wäre also geeignet, endlich seine Stimme zu
erheben in der aktuellen Debatte über Satire und ihre Grenzen, um mal
klarzustellen, wie die Dinge sich verhalten. Es kann ja schließlich nicht
angehen, dass da inzwischen jeder einfach so mitplappert, womöglich sogar
Leute, die etwas anderes komisch finden als Bernd Matthies. Deswegen
richtete der Starkolumnist am Samstag sein Wort an uns. Nämlich zum Thema:
„Was Satire darf“.
Zunächst stößt der Humormonolith überschätzte Emporkömmlinge wieder zurü…
ins Glied. „Kurt Tucholsky war sicher nicht in Höchstform, als er der
Satire bescheinigte, sie dürfe alles“, schreibt er in die Annalen der
Literaturkritik. Stimmt eigentlich. Warum ist das noch nie jemandem
aufgefallen?
In Höchstform ist dafür allerdings Bernd Matthies, wenn er feststellt, an
dem Vorwurf, Charlie-Hebdo-Chefredakteur Charb habe „seine Redaktion in den
Tod getrieben“, sei „irgendwie was dran. Nämlich der Gedanke, dass die
Reaktion Charbonniers, auf jeden Protest, jede Drohung und schließlich den
Brandanschlag 2011 mit neuem, schärferem Spott zu antworten, zur Eskalation
beigetragen hat.“
Denn: „Sehr wahrscheinlich hätte es den brutalen Anschlag nicht gegeben,
wenn Charbonnier rechtzeitig beschlossen hätte, seine satirischen Attacken
mehr auf die französische Regierung, auf Marine Le Pen oder andere mächtige
Schlüsselgestalten der Politik zu fokussieren.“
## Satire-Guru Matthies
Mensch, einfach mal die Marine Le Pen oder andere Schlüsselgestalten der
Politik karikieren! Dass die Jungs von Charlie Hebdo da nicht selbst drauf
gekommen sind! Da muss sich erst wieder Satire-Guru Matthies höchstselbst
bemühen, um darauf hinzuweisen, worüber man gute Witze machen könnte.
Wie ein strenger, aber gerechter Vater wägt er sein Urteil ob dieser
Verfehlung: „Das Verbrechen ist damit nicht entschuldigt“, jedenfalls nicht
gänzlich, denn: „Aber es enthebt Satiriker nicht der Pflicht, über die
Ziele ihrer Arbeit nachzudenken. Wer dann beschließt, ein offensichtlich
vorhandenes religiöses Gefühl einmal nicht zu verletzen, der ist damit noch
lange kein Feind der Pressefreiheit. Sondern er kann durchaus ein Freund
der Vernunft sein.“
Man sieht es direkt vor sich, wie die beiden Paris-Attentäter daheim beim
Salafisten-Kaffee hocken und über die Weltlage plauschen. „Hast du schon
gehört? Charlie Hebdo fokussiert sich jetzt mehr auf Marine Le Pen“, sagt
der Ältere bedächtig, worauf sein kleiner Bruder erwidert: „Beim Barte des
Propheten! Das ist gut! Dann müssen wir die doch nicht erschießen. Das
spart uns allen eine Menge Ärger.“ Und, schwupps, wären 20 Menschenleben
gerettet gewesen.
## Muss es denn koscher sein?
Moment mal: 20? Das bei der Redaktion, das waren doch nur zwölf? Und eben
drei Attentäter? Ach ja, da gab es ja auch noch diese Polizistin und die
vier Juden in dem koscheren Supermarkt. An dieser Stelle verzichtet
Matthies auf weitere Ausführungen. Wahrscheinlich, weil man Juden in
Deutschland ja sowieso nicht kritisieren darf. Aber mal unter uns: Tragen
sie an den Vorfällen nicht auch eine Mitschuld? Haben sie sich nicht selbst
in den Tod getrieben? Ist da nicht irgendwas dran?
Muss man denn wirklich, nachdem es doch schon überall erkennbar deutliche
Missstimmung mit dem Judentum gegeben hat, immer noch weiter zur Eskalation
beitragen und in koschere Supermärkte gehen? Hätte es da nicht auch mal der
arabische Obst- und Gemüsehändler getan?
Sehr wahrscheinlich hätte es den brutalen Anschlag nicht gegeben, wenn die
Juden rechtzeitig beschlossen hätten, ihre religiösen Bedürfnisse eher auf
andere Religionen zu fokussieren. Das Verbrechen ist damit nicht
entschuldigt, aber es enthebt Juden nicht der Pflicht, über die
Auswirkungen ihres Glaubens nachzudenken. Wer dann beschließt, ein
offensichtlich vorhandenes religiöses Gefühl anderer einmal nicht zu
verletzen, der ist damit noch lange kein Feind der Religionsfreiheit.
Sondern er kann durchaus auch einfach ein Freund der Vernunft sein.
Der Gedanke lässt sich noch deutlich ausweiten: Wenn irgendwo im
„Islamischen Staat“ mal wieder Ehebrecherinnen gesteinigt werden, müsste
man dann nicht auch fragen, ob sie zur Eskalation beigetragen haben, indem
sie mit einem anderen Mann ins Bett gegangen sind oder sich gar haben
vergewaltigen lassen?
## Viel Öl im Feuer
Wenn in Saudi-Arabien ein Blogger Stück für Stück zu Tode in aller
Öffentlichkeit gepeitscht wird, muss er sich dann nicht die Frage gefallen
lassen, ob er sich nicht ebenso selbst in den Tod getrieben hat, indem er
auf jede Drohung einfach mal mit weiteren Posts reagiert hat? Und wenn in
der irakischen Stadt Ninive Schwule von Hochhäusern gestoßen werden, haben
sie etwa nicht auch selbst Öl ins Feuer gegossen?
Denn wer beschließt, ein offensichtlich vorhandenes religiöses Gefühl nicht
zu verletzen, indem er halt mal nicht an Männern herummacht, der ist damit
ja noch lange kein Feind des Selbstbestimmungsrechts. Der kann durchaus
auch einfach nur ein Freund der Vernunft sein.
Ein Freund der Vernunft – wie Bernd Matthies. Der vermutlich einzige
Humorist Deutschlands, der sogar im „Islamischen Staat“ erfolgreich
publizieren könnte. Weil er seine Verantwortung abwägt. Wenn sich doch nur
mehr dieser ewigen Provokateure ein Beispiel an ihm nehmen könnten. Die
Welt wäre ein friedlicher Ort.
20 Jan 2015
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Salafisten
Verbot
Tagesspiegel
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Satire
Kroatien
Charlie Hebdo
Schwerpunkt Pegida
Harald Martenstein
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