# taz.de -- Müll trennen? Find ich doof!: Den Sack in die Tonne | |
> In manchen Bezirken von Hamburg wird der Müll nicht getrennt. Sie sind | |
> darum zu beneiden, findet unser Autor - er wohnt in Bremen. | |
Bild: So sieht das irgendwie sehr vorbildlich aus. Aber tut das alles not? | |
BREMEN taz | Neulich war es mal wieder so weit. Weil wir in meiner WG nicht | |
nur in gelben Sack, Restmüll, Papier, Pfandflaschen, Altglas, Batterien und | |
Korken trennen, sondern für den Biomüll auch sich selbst zersetzende Tüten | |
kaufen, hatten wir den Salat – oder vielmehr: den Ex-Salat. Denn der | |
kompostierbare Hightech-Beutel zerfällt nicht nur an der frischen Luft, | |
sondern im Zweifel auch unter der Spüle. Tomatenreste, verfaulte Gurken und | |
andere ehemalige Köstlichkeiten hatten sich in ihrem Aggregatzustand von | |
„fest“ zu „flüssig“ weiterentwickelt und schwammen mit der halben | |
Kompost-Tüte im Biomüll-Eimer. Eine süßlich-faulige Wolke stieg mir | |
entgegen. Kein normaler Mensch würde etwas in der Küche lagern, das sich | |
bewegt, aussieht und riecht wie Erbrochenes. Beim Müll ist das anders. Erst | |
muss getrennt, dann alles separat gelagert und dann an unterschiedlichen | |
Tagen rausgestellt werden. Ich hasse es. | |
Verschimmelte Käsereste zum Beispiel: Kommen die zum Kompost und die | |
Packung in den gelben Sack? Ernsthaft? Der alte Metallbügel muss in den | |
Restmüll? Ein kaputter Putzeimer auch, aber die Ketchup-Flasche aus dem | |
gleichen Material gehört in den gelben Sack? Wohin, apropos, mit dem Sack, | |
wenn er voll ist? | |
Ich steig da nicht durch und hab’ dazu gar keine Lust. Vor allem: Mein | |
Freund in Hamburg-Altona trennt keinen Müll. Er hat eine lila Tüte, da | |
kommt alles rein. Ein Segen ist das, Menschenfreundlichkeit allerdings | |
nicht der Grund: Die Gründerzeitbebauung lasse in manchen Gegenden keinen | |
Raum für so viele Tonnen, heißt’s von der Hamburger Stadtreinigung. Bei | |
13.000 Haushalten sei das so und man arbeite eifrig an Alternativen. | |
Immerhin ist in Hamburg der gelbe Sack eine Wertstoff-Tonne und alles nicht | |
so Müll-faschistisch wie in Bremen, wo jeder per Wertmarken-Ration seine | |
jährlichen Rollen gelber Säcke zugeteilt bekommt. | |
„Man muss ja nicht trennen“, sagt mein Kollege. Nein, aber man bezahlt | |
dafür: Ein bis zwei Prozent des Produktpreises blecht der Verbraucher nur | |
fürs Duale System. Auch sind in Bremen 34 Leerungen der Restmülltonne in | |
den Müllgebühren enthalten, schmeißt man dort alles rein, so werden mehr | |
Abholungen nötig, die man extra zahlen muss. Müll nicht zu trennen muss man | |
sich leisten können. Wie die restliche Rettung der Welt ist die Lösung des | |
Abfallproblems längst individualisiert – was das Gegenteil davon ist, als | |
es zur Privatsache zu erklären. | |
## "Das macht man so" | |
Warum sollte man trennen? „Das macht man so“, sagt eine Freundin, und mein | |
Mitbewohner erklärt: „Es gibt einfach Regeln und recyceln ist gut für die | |
Umwelt.“ Außerdem triebe ich ihn in den Wahnsinn, wenn ich meine Batterien | |
in den Kompost drücke. Ein Freund bei einer sehr bekannten, sehr großen | |
Umweltschutzorganisation mahnt: „Recyceln kann den Ressourcen-Verbrauch | |
reduzieren, der vor allem in westlichen Industrieländern enorm viel zu hoch | |
ist.“ Warum ich das in der Küche ausbaden muss? „Mit der Abfalltrennung | |
aufzuhören, würde signalisieren, sich keine Gedanken mehr über Müll machen | |
zu müssen“, sagt er. Und? „Das ist falsch“. Aha. | |
Bleibt noch meine Mutter, die mir erklärt, dass wegen des Altpapiers | |
weniger Bäume gefällt, Hausmüll verbrannt und damit Fernwärme produziert | |
wird und das alles sinnvoll sei. „Gelben Sack mache ich auch“, sagt sie, | |
aber da sei sie skeptisch: Sie habe gelesen, dass die Dinger nach Asien | |
verschifft werden. | |
Solche Berichte gab’s tatsächlich. Den letzten Skandal deckte „Panorama“ | |
auf (allerdings vor 14 Jahren): Ein Reporter hatte vor der | |
Müllverbrennungsanlage in Hamburg gelbe Säcke entdeckt, die zur Verbrennung | |
angekarrt wurden. Obwohl ich ihm Snowden-mäßigen Informantenschutz | |
zusichere, will der Sprecher des Bremer Energieversorgers SWB, der nahe der | |
Uni ein hocheffizientes Müllheizkraftwerk betreibt, das nicht bestätigen: | |
„Wir verbrennen keine gelben Säcke“, sagt er. Wirklich nicht? „Nein“. | |
## "Eine Bankrotterklärung der Technik" | |
Aber es muss doch Wissenschaftler geben, irgendwen, der meine Aversion | |
untermauert! Man landet dann bei Leuten wie Gunnar Sohn, der, nachdem er | |
einst Sprecher beim Dualen System war, zu so etwas wie einem Kronzeugen | |
meines Anliegens wurde und zum Beispiel sagt, dass „der Energieeinsatz zum | |
Recyceln zu hoch“ sei, und „ökologisch völliger Schwachsinn“. Allerdings | |
schreibt Sohn unter anderem bei einer neurechten Internetgazette, und da | |
ist mir sogar Mülltrennung lieber. | |
Dann stoße ich auf Klaus Wiemer, 22 Jahre lang Professor für | |
Abfallwirtschaft und Recycling an der Uni Kassel. Recycling sei prinzipiell | |
sinnvoll, aber: „Mülltrennung per Hand ist eine Bankrotterklärung der | |
Technik“, sagt er. Maschinen könnten das heute viel genauer als die Bürger | |
und das ganze System sei fragwürdig. Er kann das im Detail erklären: Ein | |
Deutscher esse pro Jahr etwa 100 Joghurts, ein Becher wiege 4 Gramm, macht | |
400 Gramm Joghurtbecher-Müll pro Jahr. „Deren Kunststoff hat einen Heizwert | |
wie Benzin, wir sprechen also über 0,4 Liter Benzin im Jahr“, so Wiemer. | |
„Peanuts“, sagt er. Vor dem Hintergrund einer getrennten Abfuhr der | |
verschiedenen Tonnen sei das alles „vollkommen sinnlos“. Man müsse das | |
Problem ganzheitlicher anpacken. „Aber die Deutschen lieben Mülltrennung, | |
es ist ihre eine gute Tat pro Tag.“ Müllverbrennungsanlagen hätten einen | |
besseren Wirkungsgrad als Braunkohlekraftwerke. „Schmeiß den gelben Sack in | |
die Tonne“, sagt Wiemer. Er ist mein Mann. | |
Den ganzen Müll-Schwerpunkt lesen Sie in der Nord-Ausgabe der taz.am | |
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6 Feb 2015 | |
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## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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