| # taz.de -- Ausstellung im Kunstverein Bremerhaven: Heimat aus Seemannsgarn | |
| > Annika Kahrs hat Seeleute ihr Zuhause malen lassen und aus dem Gekrakel | |
| > technische Zeichnungen gemacht. Das Ergebnis ist jetzt im Kunstverein | |
| > Bremerhaven zu sehen. | |
| Bild: Die Heimat bleibt stets dieselbe - wenn auch bisweilen in der Erinnerung … | |
| BREMERHAVEN taz | Vielleicht gibt es keine dynamischere Erzählung als die | |
| einer Reise. In der Zeit verändert sich das Setting. Landschaften ziehen | |
| vorbei, neue Figuren tauchen auf und verschwinden wieder. Am Ende ist | |
| selbst der Protagonist ob seiner Erfahrungen ganz verändert. Als einzige | |
| Konstante bleibt meist der Heimatort. Ob nun in der Erinnerung während der | |
| Reise oder nach der Rückkehr – die Heimat bleibt stets dieselbe. Als | |
| wahrhaftiger und authentischer Ruhepol bleibt sie meist unangetastet. | |
| Fiktives in der Erinnerung des Reisenden an seine Heimat hingegen ist | |
| seltener. Die Hamburger Künstlerin Annika Kahrs macht in ihrer Arbeit | |
| „Lines“ gerade diese Momente stark. Bis Anfang März ist sie noch im | |
| [1][Bremerhavener Kunstverein] zu sehen. Annika Kahrs, die an der Hamburger | |
| Kunsthochschule bei Andreas Slominski studierte und als Assistentin für | |
| Susanne Pfeffer am Künstlerhaus Bremen arbeitete, ist heute eine angesehene | |
| Künstlerin. Ihre Arbeiten waren international in wichtigen Häuern zu sehen. | |
| Die Hamburger Kunsthalle hat 2010 ihre Videoarbeit „Strings“ angekauft. Ein | |
| Streicherquartett ist darin zu sehen. Die Musiker spielen ein Stück von | |
| Beethoven und wechseln nach jedem Satz Stuhl und Instrument. Sie verlieren | |
| die Konzentration und verspielen sich immer mehr. | |
| Video, Sound und Performance sind die Mittel, derer Kahrs sich meist | |
| bedient. So ist die Bremerhavener Arbeit eine Ausnahme. Wie eine | |
| Schiffsbrücke wirkt eine in den Raum ragende Empore. Sie gehört zur festen | |
| Museumsarchitektur. Der Blick von oben in den sonst leeren Saal erinnert | |
| fast an einen Blick aufs Meer. Wo nichts ist, ist Platz für die | |
| Vorstellung. | |
| ## Wohnungen Weltreisender | |
| Leer wirken zunächst auch die weißen Papierbahnen, die von den hohen Wänden | |
| herunterhängen und an Fahnen oder Segel erinnern. Erst bei näherem Hinsehen | |
| erkennt man darauf Linien und Schrift. Es sind großformatige | |
| Architekturzeichnungen. Man sieht die Grundrisse von Wohnungen. Später | |
| erfährt man, sie befinden sich in Myanmar, Vietnam und auf den Philippinen. | |
| Es handelt sich um Grundrisse von Wohnungen Weltreisender, die für einen | |
| Moment in Bremerhaven gestrandet sind. | |
| Einen lokalen Bezug hat die Ausstellung von Annika Kahrs auch. Aktuell ist | |
| die 30-jährige Künstlerin Stipendiatin des Bremerhavener Kunstvereins. Teil | |
| des sechsmonatigen Stipendiums ist eine Wohnung in der Hafenstadt. Kahrs | |
| arbeitet oft und gerne ortsbezogen. | |
| Den Architekturzeichnungen hat Annika Kahrs Erzählungen und Skizzen von | |
| Seeleuten aus aller Welt zugrunde gelegt. Sie hat sich die hunderte | |
| Seemeilen entfernten Wohnungen beschreiben und aufzeichnen lassen. Die | |
| krakeligen Kugelschreiberskizzen hat die Künstlerin dann in saubere | |
| technische Pläne übertragen. | |
| Kahrs hat die Seefahrer im Bremerhavener Seemannsclub getroffen. Früher | |
| befand sich der Club in der Innenstadt. Nun aber sind die Aufenthalte der | |
| Seeleute so kurz geworden, dass es sich für sie gar nicht erst lohnt, den | |
| Hafen zu verlassen. | |
| Die Form der Architekturzeichnung erweckt den Eindruck, man habe es mit | |
| einer nüchternen und objektiven Übertragung der weit entfernten Wohnungen | |
| der Seereisenden zu tun. Als seien sie die Resultate aufwendiger und | |
| exakter Vermessungsarbeiten. In Wirklichkeit sind sie Ergebnisse vielfacher | |
| Vermittlungsschritte und als solche sicherlich voller absichtlicher und | |
| unabsichtlicher Erinnerungs und Übertragungsfehler. | |
| ## Zwei Master-Bedrooms | |
| Als solche werden sie auf den Fahnen offenbar. Die Heimat ist nicht der | |
| authentische und unveränderliche Punkt, zu dem sie gemacht wird. Während | |
| einer Reise verändert sich die Vorstellung von ihr. Das Bild der Heimat auf | |
| den weißen Fahnen hingegen ist das einer transformierten Heimat. Die | |
| Architekturzeichnungen sind letztlich Ergebnis dessen, was Seeleute einer | |
| fremden Frau am Kaffeetisch erzählten – durchzogen von Fantasie und | |
| Gedächtnisfehlleistungen. | |
| Und einigen spleenigen Hervorhebungen: So erscheinen die Wohnungen auf den | |
| Plänen fast leer. Von „Dimi’s Home“ erfährt man immerhin, dass draußen… | |
| einer Hütte ein „Dog Max“ haust und „Paolo’s Home“ über einen Gebet… | |
| verfügt, in dem eine Buddhastatue steht. Tatsächlich wirkt manche Wohnung | |
| der Containerschiffsarbeiter, als gehöre sie einem wohlhabenden Gutsherrn. | |
| „Paolo’s Home“ verfügt über einen „Master Bedroom“ – „Maungs’… | |
| über zwei. Kinder und Frauen bewohnen separate Schlafzimmer. | |
| Beim Betrachten der Pläne wird man unsicher: Wie kann es sein, dass diese | |
| „Gutsherren“ auf einem Containerschiff anheuern? Haben sie bei ihrer | |
| Darstellung übertrieben? Oder Entspricht ihr Verdienst auf dem Schiff | |
| relativem Reichtum in ihrem Heimatland? Um welches Land es sich handelt, | |
| wird indes nicht direkt ersichtlich. Jedenfalls grenzt „Arnel’s Home“ an | |
| eine riesige Tabakplantage, „Dragan’s Home“ hingegen an den Atlantik. Als | |
| Symbole werden Dreiecke und Wellen verwendet. Wie auf einer richtigen | |
| Landkarte. In eine objektivere Form lassen sich Erinnerung und Fiktion kaum | |
| überführen. | |
| ## Bis 1. März, Kunstverein Bremerhaven | |
| 17 Feb 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.kunstverein-bremerhaven.de/kunsthalle-de/rueckblick/2015-2011/an… | |
| ## AUTOREN | |
| Radek Krolczyk | |
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