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# taz.de -- Lyrik-Renaissance: Fadenheftung mit politischem Appeal
> Der kleine Independentverlag J. Frank betreibt seit zehn Jahren in einem
> Ladenlokal in Prenzlauer Berg die Repoetisierung der Welt.
Bild: Graphic-Novel aus der "Edition Panopticon"
Es gibt Namen, die auf charmante Art fehlgewählt sind. Das Verlagshaus J.
Frank Berlin etwa klingt nach abgetretenem Parkett und hohen Altbaudecken,
unter denen sich eine Handvoll Bibliophile der Herstellung schöngeistiger
Werke widmen. Beim Anblick des realen Verlagsdomizils in einem Ladenlokal
in Prenzlauer Berg sind solche staubigen Assoziationen sofort wie
weggeblasen. Das Interieur ist sparsam in Schwarzweiß möbliert und könnte
auch eine Agentur sein. Wenn da nicht dieses Hängeregal voller typografisch
auffällig gestalteter Bücher wäre, die „Invasion Rückwärts“ heißen od…
„Bastardecho“.
Lyrik und Kurzprosa sind die Schwerpunkte des kleinen Independentverlags J.
Frank Berlin, der dieses Jahr zehnjähriges Bestehen feiert. „Der
Verlagsname war nicht die beste Idee“, räumt Johannes CS Frank ein. Der
Namenspate entpuppt sich als schwarz gekleideter Mittdreißiger mit
Dreitagebart, der beständig an seinem Smartphone spielt. Auch seine
Mitstreiter Andrea Schmidt (40) und Dominik Ziller (35) tragen Schwarz und
fragen, ob sie das Rauchen für die Dauer des Interviews unterbrechen
sollten. Die Luft in dem kleinen Ladenlokal schmeckt trotzdem nach Nikotin.
## Eine Schnapsidee
Die Namenswahl, erzählt Frank, sei aus einer Schnapslaune heraus entstanden
– wie übrigens der gesamte Verlag. 2004 lernten sich Frank und Ziller bei
einer Hochzeit kennen. Der Student der Jüdischen Studien und der
Kommunikationsdesigner suchten nach einer neuen Lebensaufgabe – warum nicht
was ganz Neues wie eine Zeitschrift für Literatur und Illustration?
Autoren suchte man am Schwarzen Brett der Uni, fand mit „Belletristik.
Zeitschrift für Literatur und Illustration“ einen Namen und startete mit
einer Auflage von 3.000 Stück. „Ganz schön optimistisch“, kichert Frank.
Verkauft habe man schließlich 500 Exemplare. „Wir hatten ja auch keine
Ahnung davon, wie man sowas aufzieht“, kommentiert Andrea Schmidt, die sich
als freie Gestalterin schon lange über schlecht gestaltete Literatur
geärgert hatte und recht bald zu der neuen Zeitschrift stieß.
## Fehlschläge und Erfolge
Die drei erzählen von den chaotischen Anfängen. Wie man versucht habe, die
Zeitschrift im Bahnhofsbuchhandel zu etablieren: ein Fehlschlag. Wie man
langsam ein Gefühl fürs Literaturbusiness bekam – und fürs Büchermachen.
Aus der Zeitschrift erwuchs ein Verlag mit eher erratischen Neuentdeckungen
junger Talente durch Hochschulen oder Szene-Events – also ein profiliertes
Nischenprogramm. Jetzt sind die drei Buch-Autodidakten Verleger mit festem
Autorenstamm, einer regelmäßigen Präsenz auf den Buchmessen und einer
kleinen, aber treuen Fangemeinde.
Die Zeitschrift haben sie vor einem Jahr eingestellt. „Obwohl sie nicht
schlecht lief“, betont Dominik Ziller, der erst vier Jahre nach dem
Verlagsstart seinen Job in einer Würzburger Agentur schmiss und nach Berlin
zog. Aber nach zwölf Ausgaben sei man über das bloße Entdecken von Autoren
längst hinaus. „Das können andere, hochschulnah angebundene Zeitschriften
wie Bella Triste oder Edit auch besser“, sagt Andrea Schmidt. „Wir wollen
lieber langfristig mit unseren Autoren arbeiten“.
Die Beziehung zu den rund 50 Autorinnen und Autoren beschreiben die drei
Verlagsmacher als „Komplizenschaft“. Zu vielen bestünden lange
Verbindungen. Lea Schneider, die für ihr Verlagsdebüt „Invasion Rückwärts…
2014 den Dresdner Lyrikpreis erhielt, wurde ursprünglich als Mitglied des
Lyrikkollektivs „G13“ für die Zeitschrift entdeckt, ebenso wie der Berliner
Poet Max Czollek. Andere Autoren, wie der mexikanische Dichter Julián
Herbert, fanden auf Empfehlung des Übersetzers und
„Latinale“-Festival-Veranstalters Eingang ins Verlagsprogramm.
## Farblicher Minimalismus
Mit der Reihe „Edition Polyphon“ will sich J. Frank für Texte „dem globa…
Gedicht“ widmen. Die Reihe sticht durch ihre neonbunten Covermotive auf
schwarzem Grund optisch heraus. Ansonsten bestimmen ein klares Layout und
farblicher Minimalismus das Erscheinungsbild der Bücher. Schwarz-bunt für
die Feier der Übersetzungskunst, braun für die Wiederentdeckung
historischer Texte wie „Die Erbärmlichkeit des Krieges“ des englischen
Kriegspoeten Wilfred Owen. Und weiß, mit unkonventionell umgebrochenen
großen Lettern, für zeitgenössische Texte und Illustration.
Die konsequente Gestaltung und die hochwertige Grafik sind gleichzeitig
ästhetische Grundsatzentscheidung und Corporate Identity des Kleinverlags.
„Unverwechselbarkeit ist wichtig für ein so kleines Unternehmen wie
unseres“, sagt Frank. Bei der Frankfurter Buchmesse etwa freuten sich viele
Leser und Vertreter schon auf die „schwarze Kiste“, in denen die drei
Lyrik-Enthusiasten auf dem Branchentreffen präsent sind. Nur alle zwei
Jahre, mehr gibt der Verlagsetat nicht her.
Dafür aber sei der Eindruck bleibend, sagt J. Frank, der nun doch noch
einmal auf die Sache mit dem Namen zurückkommen will: Was damals
naheliegend und praktisch schien – ein übergroßes Ego weist er entschieden
zurück – entpuppt sich zunehmend als Hemmschuh: „Der Name ist nicht
eingängig und weist auch in die falsche Richtung.“
Zum Zehnjährigen überlegt man deshalb, sich umzubenennen. Nur das Logo will
man behalten: eine stilisierte Schreibmaschine in einem Kreis.
Handwerkliche Tradition und gestalterische Moderne gewissermaßen.
Drei- bis vierstellig sind die Auflagen der liebevoll gestalteten Bücher,
die in einer kleinen Druckerei bei Leipzig hergestellt werden. Details sind
den dreien, die sich als „Literatur-und Gestaltungsverrückte“ bezeichnen,
äußerst wichtig: der offene Rücken mit sichtbarer Fadenheftung, der es
erlaubt, ein Buch plan zu öffnen und dadurch großformatige Illustrationen
perfekt zur Geltung bringt. Und die rohe Optik der 48 Seiten dünnen
Essay-Reihe, in der Autoren zwischen grauen Pappdeckeln über Begriffe wie
„Tradition“, Geschlecht“ oder „Schönheit“ reflektieren.
## Hippe, frische Gestaltung
Die Strategie, neue Leser über eine hippe, frische Gestaltung zu erreichen,
geht offenbar auf: Gerade die Essays verkauften sich „wie geschnitten
Brot“, erzählt Dominik Ziller sichtlich zufrieden. Man komme mit dem
Nachdruck kaum hinterher. Für das Verlagstrio der Beweis, dass
zeitgenössische Lyrik durchaus etwas zu sagen hat. „Für uns ist Lyrik nicht
nur ein Modus der Weltwahrnehmung. Sondern eine Art, die Phänomene der Welt
zu untersuchen – durchaus mit Erkenntnisgewinn“, erklärt Frank die
anpolitisierte Perspektive auf zeitgenössische Texte.
Trotz schwarzer Pullis und Zigarette zwischen den blassen Fingern: Vom
Klischee weltabgewandter Schöngeisterei will man sich bei J. Frank so weit
wie möglich distanzieren. Konkret heißt das: Aufkündigung der
Zusammenarbeit mit dem Onlinehändler Amazon „aus ethischen Gründen und aus
Liebe zum traditionellen Buchhandel“, aber auch Zusammenarbeit mit
Onlineportalen wie fixpoetry.com oder auch Lesungen in einer Fußballbar.
Die Zielgruppe des Verlags, erklärt Andrea Schmidt, sei zwischen 20 und 50
Jahre alt, tendenziell etwas mehr Frauen als Männer. Viele kämen aus dem
Gestaltungsbereich: „Die nähern sich zunächst über die Poetik dem Text. Und
finden dann allmählich Gefallen an der lyrischen Ausdrucksform.“
Überhaupt nehme das Interesse an Lyrik zu: „Es wächst eine neue Generation
von Jugendlichen mit Interesse an Lyrik heran“, sagt Schmidt. Das erlebe
man am Enthusiasmus von Schulklassen auf der Leipziger Buchmesse oder bei
Lehrern, die sich für Fortbildung interessierten. Und sogar an aktuellen
Werbekampagnen großer Konzerne: Die Gedichte, mit denen ein
Turnschuhhersteller auf Plakaten wirbt, der Gedichtwettbewerb, zu dem ein
beliebter Computerhersteller kürzlich aufrief. All das dient den drei
Gedichteverlegern als Hinweis darauf, dass die eigene Nische unaufhaltsam
an Beliebtheit gewinnt.
Mit Slogans wie „Poetisiert Euch!“ – einer Erfindung des Hausautors Crauss
in Anspielung auf den populären Essay von Stéphane Hessel – trägt das
Verlagshaus J. Frank dazu bei, Gedichte wieder relevant zu machen. Haltung
und „eine gewisse Dringlichkeit“, die bis zum Aktivismus gehen kann: Nichts
weniger als das verlangen die Verleger von ihren Autoren. Der Umgang mit
Geschichte, Gender-Politik oder die Rolle der Religiosität in der Moderne –
das seien Themen nach ihrem Geschmack.
Als Kundenbindungsinstrument funktioniert die Aufforderung „Poetisiert
Euch!“ aber auch gut, wie eine kleine Kollektion im Bücherregal des
Verlagshauses zeigt: Der Sticker, der Büchern beiliegt oder in
Buchhandlungen verteilt wird, ziert zum Beispiel eine Postkarte mit dem
Papst. Auf der Rückseite, handschriftlich: „Schöne Grüße aus Argentinien!…
Poesie des Alltags eben.
18 Feb 2015
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Literaturbetrieb
Buchpreis
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