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# taz.de -- CTS Eventim in der Kritik: Missbrauch der Marktmacht
> Musikfans und Vorverkaufsstellen leiden unter Europas größten
> Tickethändler. Das Bundeskartellamt hat ein Verfahren gegen Eventim
> eingeleitet.
Bild: Auch hier ging nichts ohne Eventim: Konzert von One Direction im Juli 201…
BERLIN taz | Der Mann hat einen märchenhaften Aufstieg hinter sich.
Klaus-Peter Schulenberg ist der mächtigste Mann des europäischen
Ticketmarkts. Der Bremer ist Geschäftsführer des Konzerns CTS Eventim, der
in Deutschland für schätzungsweise 80 bis 90 Prozent der Ticketverkäufe
verantwortlich ist. Schulenbergs Vermögen wurde 2014 auf gut 800 Millionen
Euro beziffert.
„Ach das. Uninteressant“, sagte er letztes Jahr gegenüber dem Hamburger
Abendblatt, das dem für gewöhnlich eher medienscheuen Manager zu dessen
privatem Umzug von Bremen nach Hamburg eine kleine Huldigung schrieb.
Schulenberg durfte sich dort als ehrbarer Kaufmann alter Schule darstellen.
Ob er das tatsächlich ist, wird sich herausstellen. Nun wurde bekannt, dass
das Bundeskartellamt seit November 2014 gegen Schulenbergs Unternehmen
ermittelt. Es geht um Missbrauch der Marktmacht.
Denn Eventim ist nicht nur für die Kunden des Ticketgiganten ein Albtraum,
sondern auch für jemanden wie Mathias Sachs. „Wir sind abhängig von
Eventim. Eigentlich sollte man sagen können, wir seien ein Teil von
Eventim, aber dem ist leider nicht so“, sagt er. Sachs arbeitet in Berlin
bei einer Vorverkaufsstelle und hat im April 2012 den Interessenverband der
Konzert- & Theaterkassen OST (IVKT OST) e. V. ins Leben gerufen – wegen
Eventim. Als das Unternehmen das Gebührenmodell zuungunsten der
Verkaufsstellen ändern wollte, schrieb er eine verärgerte Rundmail an
Kollegen. „Das Feedback war grandios“, erzählt er.
Feinde hat Eventim in der Tat genug. Im Juni 2014 gab es Empörung unter den
Popfans, als bei einem in Berlin angekündigten Prince-Konzert zunächst
exorbitante Preise (um 300 Euro pro Ticket) gefordert wurden, bis nach und
nach verbilligte Tickets in den Handel kamen – und die Show dann ganz
abgesagt wurde.
## In Berlin geht nichts ohne Eventim
Nicht nur die Vorverkaufsstellen bekämpfen den Ticketgiganten, auch die
Kunden, denen zunächst exklusive Tickets versprochen und Gebühren
aufgedrückt werden, sind sauer. „Sie sind einfach so groß, dass sie sich
vieles leisten können“, sagt Sachs über Eventim. Zum Beispiel
Vorverkaufsstellen austrocknen: Diese kooperieren mit Eventim, weil das
Bremer Unternehmen der mit Abstand größte Anbieter ist. Nach
Online-Pre-Sales durch Eventim bekommen sie häufig nur noch die
unattraktiveren Karten für den Direktverkauf – oder gar keine. Ohne Eventim
geht es für die meisten Ticketschalter aber auch nicht: „In Berlin könnte
ich auf Eventim nicht verzichten, da käme ich an einige Karten gar nicht
mehr ran“, sagt Sachs.
Für viele Superstars wie etwa Metallica, Beyoncé oder die Rolling Stones
ist Eventim bei Einzelveranstaltungen der einzige Anbieter. Wo besonders
viel Geld zu machen ist, etwa auch bei Sportveranstaltungen, kann es den
Verkauf so steuern, dass er größtenteils online stattfindet und so alle
Gewinne bei Eventim bleiben. Auch für die Veranstalter gebe es derzeit kaum
Alternativen, meint Sachs: „Wenn du als kleiner Veranstalter wachsen
willst, hast du garantiert bessere Chancen, wenn du mit ihnen kooperierst.“
Der Schlüssel zum Erfolg des Unternehmens seien die perfekten
Buchungssysteme und das Vorverkaufsstellennetz.
Der Konzert- und Veranstaltungsmarkt ist der Boommarkt der Branche: Während
sich der Tonträgermarkt nach Jahren des Niedergangs nur langsam erholt, gab
es im Livebereich einen Umsatzzuwachs von 15 Prozent innerhalb nur eines
Jahres. 3,822 Milliarden Euro wurden hier 2013 in Deutschland umgesetzt.
## Vertikales Wachstum
Eventim hat sich dabei das Prinzip der vertikalen Integration zu eigen
gemacht. In den Wirtschaftswissenschaften bezeichnet man damit den Vorgang,
dass ein Unternehmen Firmen übernimmt, die in der Produktionsstufe vor-
oder nachgelagert sind. Im „Idealfall“ sind also alle Handelsstufen eines
Produkts in der Hand eines Unternehmens.
Beim Prince-Konzert in Berlin sah das so aus: Das Konzert fand im Tempodrom
statt. Besitzer ist die KPS-Gruppe. Deren Geschäftsführer: Klaus-Peter
Schulenberg. Als Veranstalter zeichnete verantwortlich: Dirk Becker
Entertainment, ein Tochterunternehmen von Eventim, dessen Geschäftsführer
bekanntlich Schulenberg ist. Und wer für den Ticketverkauf verantwortlich
war – klar.
Ideale Bedingungen, um mit den Möglichkeiten des Marktes zu jonglieren:
„Ich könnte mir vorstellen, dass das ein Testballon war“, sagt Jörg
Dagenbach, der Ende Mai versuchte, ein Ticket zu bekommen, und selber bis
Ende der 90er Jahre Konzertveranstalter war. Nur so sei doch erklärbar,
dass zunächst nur Karten für 297 bis 332 Euro angeboten, dann aber nach und
nach günstigere Kategorien nachgeschoben worden seien.
Eventim möchte sich sich übrigens weder zu diesem noch zu anderen
Sachverhalten gegenüber der taz äußern.
„Mittlerweile können sie den Ticketmarkt mehr oder weniger komplett
kontrollieren“, meint Mathias Sachs vom IVKT OST zur Praxis von Eventim.
„Sie haben die volle Kontrolle und alle Möglichkeiten bis hin zum
Endkunden, was Preise, Gebühren und so weiter betrifft.“
## Seit 2012 im Visier des Kartellamts
Das Bundeskartellamt hat die Instrumente – etwa Missbrauchsaufsicht und
Fusionskontrolle –, um gegen solche Fälle vorzugehen. Wo die Grenze für
Zukäufe von Unternehmen liegt, prüft die Behörde. 2012 entschied das
Bundeskartellamt in einem solchen Fall zugunsten von Eventim: Damals durfte
die Kölner Lanxess Arena von CTS Eventim übernommen werden.
Das Bundeskartellamt ist generell erst bei Unternehmen ab 500 Millionen
Euro Umsatz dafür zuständig, Fusionen und Übernahmen zu prüfen. Diese
Schwelle hat Eventim erst 2012 überschritten, sodass es in einem dem
Kartellamt zuvor vorliegenden Fall noch darunter blieb (die Übernahme des
Konkurrenten See Tickets 2011).
Nun hat die Behörde aber im November 2014 ein neues Verfahren gegen Eventim
eingeleitet, wie zunächst [1][die Welt am Sonntag berichtete]. Gegenüber
der Zeitung sagte ein Sprecher des Kartellamts:„Im Rahmen des Verfahrens
wird die kartellrechtliche Zulässigkeit verschiedener Geschäftspraktiken
von CTS geprüft.“ Die Behörde hat diese Informationen mittlerweile
bestätigt. Sie ermittelt nach eigenen Angaben, ob Eventim seine Marktmacht
missbraucht. Das Amt stehe in Kontakt mit dem Unternehmen und habe von
diesem bereits Unterlagen erhalten, heißt es. Im nächsten Schritt werde die
Behörde „weitere Marktteilnehmer“ kontaktieren und Informationen erbeten.
Die Welt am Sonntag, die sich auf Branchenkreise beruft, behauptet zudem,
dass das Kartellamt untersuche, ob Schulenberg mit seinen Spielstätten
Veranstalter unter Druck gesetzt habe, ihre Tickets bei Eventim zu
verkaufen. Es sei von „Exklusivverträgen“ die Rede. Der
Vorstandsvorsitzende Schulenberg hat sich zu den Vorwürfen bislang nicht
geäußert.
## Die Branche gerät in Bewegung
So oder so wird sich künftig auf dem Ticketmarkt einiges verändern. Live
Nation, der weltweit größte Anbieter, will in Europa Fuß fassen – und
übernahm deshalb das in Berlin ansässige Unternehmen Ticketmaster. Die neue
Konkurrenz gibt sich dabei ähnlich rabiat: „Wir sind im vergangenen Jahr
aggressiv in den meisten osteuropäischen Märkten vorgegangen und haben
entweder versucht oder waren erfolgreich darin, Fuß zu fassen“, erklärte
Live-Nation-Chef Joe Berchtold bereits 2013. „Das macht es definitiv
einfacher, nach Deutschland zu expandieren. Es ist einer der größten
Konzert- und Ticketmärkte Europas – und wir verfolgen in jedem großen
europäischen Markt eine aggressive Strategie.“
Auch der Einstieg SAPs in den Ticketmarkt dürfte für Verschiebungen sorgen.
SAP hat die Online-Ticketing-Lösung von ticket-web gekauft und kooperiert
bereits mit SAP-eigenen Arenen und mit dem DFB.
Und noch etwas tut sich auf dem Markt: Die sogenannten White-Label-Lösungen
sind in der Erprobungsphase. Die White-Label-Firmen, meist Start-ups,
verkaufen den Veranstaltern direkt Onlineservices – statt also einen
(Ticket-)Shop auf der Website einrichten zu müssen, kauft sich der
Konzertveranstalter den Ticketservice ein – und die
Suchmaschinenoptimierung für das Event zum Teil gleich mit. Diese
White-Label-Lösungen versuchen auszunutzen, dass der Kunde sich die Tickets
inzwischen zu Hause ausdrucken kann – das Ticket ohne Ticketingunternehmen
könnte also eine Lösung für die Zukunft sein.
## Überraschender Trend im Online-Verkauf
Der Trend aber geht derzeit überraschenderweise nicht zum online gekauften
Ticket: 2013 nahm nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung
der Verkauf am Ticketschalter dem Onlinekauf wieder 2 Prozent ab. Insgesamt
wurden 40 Prozent der Tickets übers Netz und 60 Prozent über
Vorverkaufsstellen, Abendkassen oder telefonische Bestellung verkauft.
Prognosen über die Zukunft des Markts wagt aufgrund dieser Veränderungen
kaum jemand. Exkonzertveranstalter Dagenbach vermutet, dass es auf einen
großen Anbieter hinauslaufen wird oder so bleibt wie bisher.
Freuen würde das wohl vor allem einen aus Bremen stammenden Kaufmann, der
bislang immer recht unbehelligt seinen Geschäften nachgehen konnte.
22 Feb 2015
## LINKS
[1] http://www.welt.de/wirtschaft/article137695419/Kartellamt-ermittelt-gegen-K…
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Konzert
Bundeskartellamt
Tickets
Halle
Tickets
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