| # taz.de -- Joan Miró in Hamburg: Der unterschätzte Gedichte-Maler | |
| > Die Bilder von Joan Miró sind reflektierter – und poetischer als oft | |
| > angenommen. Das zeigt das Hamburger Bucerius Kunst Forum. | |
| Bild: Nicht nur dekorativ: die Bilder von Joan Miró im Hamburger Bucerius Kuns… | |
| HAMBURG taz | Zwei gebogene Striche am linken Rand, ein schwarzer Punkt. | |
| Rechts ein blaues Farbfeld-Gebilde und einige Tropfen derselben Farbe. Mehr | |
| nicht. Auf 1,30 mal 1,95 Meter weißer Leinwand. Oder, genau so groß, ein | |
| orangenes Bild mit zwei verschränkten, schwarzen, dickeren Kurvenlinien, | |
| einem Stern aus vier Strichen, drei einzelnen Farbspritzern und einer | |
| weiteren, etwas größeren Verdichtung davon. | |
| So malt im Alter nur der 1893 in Barcelona geborene Joan Miró. Vielleicht | |
| bekannter sind die freundlich wirkenden, wie gezeichnet gemalten Chiffren | |
| ganz reduzierter Menschen- oder Vogelfiguren, oft ergänzt mit viel Blau, | |
| Rot und Gelb. Solche gerne auch druckgrafisch verbreitete Kunst landet dann | |
| mitunter zu Unrecht in der Ecke unverbindlichen Wohlgefallens. | |
| Eine Ausstellung im Bucerius Kunst Forum am Hamburger Rathaus zeigt nun | |
| aber, wie reflektiert die Kunst von Miró immer war und wie eng seine | |
| Malerei mit der poetischen Produktion seiner Zeit verbunden war. Denn die | |
| Bildzeichen von Miró sind oft eher Schriftzeichen, Buchstaben eines noch | |
| unbekannten Alphabets. Es gibt hier seltsam langgestreckte Formate und | |
| geschwungene Schriftbänder, in denen Miró etwas eindeutig als Inschrift | |
| Erkennbares gemalt hat. Das aber muss aus fernen oder geträumten Regionen | |
| stammen, jedenfalls ist es für niemanden lesbar. | |
| Es ist der Enkel, Joan Punyet Miró, der mit einigem Pathos die Aussage | |
| seines Großvaters zitiert, für ihn gäbe es keinen Unterschied zwischen | |
| Poesie und Malerei. Vor allem aber lernte er in den 20er-Jahren des letzten | |
| Jahrhunderts in Paris Autoren wie Artaud und Aragon, Robert Desnos, Paul | |
| Éluard, Michel Leiris oder Tristan Tzara kennen. Im Dialog mit ihnen | |
| übertrug er ihre Versuche, die Nicht-Sprache des Nicht-Denkens abzubilden | |
| in der Malerei. Manchmal waren schon die Bildtitel Kurzgedichte: „Ein | |
| Tautropfen, der vom Flügel eines Vogels fällt, weckt die im Schatten eines | |
| Spinnennetzes schlummernde Rosalie“. | |
| Im Bild setzte Miró gegen die sinntransportierende Schrift | |
| verselbstständigte freie Zeichen, um mit diesen Phantasmen jenseits der | |
| Logik freie Assoziationen zu ermöglichen. Chiffren und Fragmente waren auch | |
| seine Art, auf die politische Situation seiner Zeit zu reagieren. Die | |
| Franco-Diktatur und noch einmal der Pariser Mai 1968 veranlassten ihn zu | |
| eher düsteren, von der Nicht-Farbe Schwarz dominierten Bildern, die | |
| manchmal eher an den abstrakten Expressionismus als an einen poetischen | |
| Surrealismus erinnern. | |
| Es bleibt aber meist den Betrachtern überlassen, ob sie die | |
| Unbestimmtheiten in Mirós Bildern als poetischen Freiraum oder als | |
| erschreckende, angstbesetzte Zersplitterung wahrnehmen. Doch so wichtig | |
| diese mitunter wütenden furiosen Schwarz-Malereien auch sind, sie bilden | |
| nicht das Zentrum seines Werkes. Noch im Spätwerk dominieren die positive | |
| Energien: Es entstehen geradezu kosmische Bilder mit Chiffren für Wolken, | |
| Monde und Sterne. | |
| Der als so etwas wie der Papst der Surrealisten angesehene André Breton | |
| hatte für den anderen, immer figürlich bleibenden katalanischen | |
| Surrealisten, Salvador Dalí, nur Verachtung übrig. Über Miró aber sagte er: | |
| „Er ist der Surrealistischste von uns allen.“ | |
| Am deutlichsten wird der Zusammenhang von poetischer Sprache und | |
| geschriebener Malerei in den immerhin über 260 Künstlerbüchern, die Miró | |
| oft über Jahre zusammen mit dem jeweiligen Autor realisiert hat. An dem | |
| berühmtesten und teuersten, einer extrem aufwendig mit Farbholzschnitten | |
| kommentierten Gedichtsammlung von Paul Éluard wurde über zehn Jahre | |
| gearbeitet – in den Vitrinen im zentralen Raum ist ein Exemplar in Teilen | |
| zu sehen. | |
| Mirós Malerei als Bildgedichte, als ein Zwitter von Farbe und Literatur: | |
| Bei einer hier erstmals in dieser Konsequenz vorgestellten These wäre es | |
| sicher auch schön gewesen, den Zusammenhang von Texten und Bildern noch | |
| deutlicher auch in der Ausstellung sichtbar zu machen – und nicht nur im | |
| Katalog und im Rahmenprogramm. Denn die Miró motivierenden, zumeist | |
| französischen oder katalanischen Gedichte sind hier den meisten wenig | |
| gegenwärtig. | |
| Ein Filmversuch im ersten Stock versucht eine direkte Verbindung | |
| herzustellen, indem die gezeigten Bilder auf Französisch und Deutsch | |
| lyrisch übersprochen werden; aber irgendwie kann das auch nicht überzeugen. | |
| Vielleicht muss, um zu Bildern Assoziationen zu bilden, auch nicht der | |
| zugrunde liegende Text genau angegeben werden – denn genau, im Sinne von | |
| eindeutig, sind surrealistische Gedichte sowieso nie. | |
| Es bleibt also, sich zu vergegenwärtigen, in wie hohem Maße Miró mit Poeten | |
| (und nicht mit Malerkollegen) befreundet war, wie er deren Bücher sammelte, | |
| sie täglich gelesen hat und an der Illustration eines Gedichts bis zu | |
| mehrere Jahre arbeitete. Was in der späteren Rezeption als irgendwie | |
| „poetisch“, aber vor allem dekorativ wahrgenommen wurde, war nur scheinbar | |
| naiv, war einerseits tief empfunden und andererseits als Reflexion über die | |
| Medien erarbeitet. | |
| Solche Wiederentdeckungen von schon ein wenig trivialisierten Künstlern der | |
| klassischen Moderne sind inzwischen ein Markenzeichen des Bucerius Kunst | |
| Forums. Es nutzt thematisch gut durchdachte kunsthistorische Aspekte an | |
| scheinbar ausgeforschter Kunst als eine Art Türöffner, um Bilder | |
| zusammenzuleihen, die dann neue Lesarten ermöglichen und zugleich auch | |
| publikumsorientiert durchaus das Kulinarische bedienen. | |
| Und diese bemerkenswerte Leistung gelingt häufig mit einer eher | |
| überschaubaren Anzahl von Werken – hier sind es rund 80 Exponate, vor allem | |
| Gemälde und Buchprojekte. Sie geben einen Überblick über das gesamte Werk – | |
| von den frühen noch kubistischen Landschaften bis zu den späten strahlenden | |
| Funken ferner Himmel. | |
| ## „Miró – Malerei als Poesie“: bis 25. Mai, Bucerius Kunst Forum, Hambu… | |
| 4 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
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| Hamburg | |
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