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# taz.de -- Kolumne Anderes Temperament: Es fiept, summt, wummert
> Die Geräusche aus meinem Inneren werden so verstärkt, als würde die
> weltbeste Musikanlage meine Klangwelt abmischen: So schön kann eine
> Mittelohrentzündung sein.
Bild: The Sound of the Ohr!
Während eines Flugs mit beginnender Erkältung hat sich meine eustachische
Röhre eingebildet, sie könne den heftigen Über- und Unterdruck dadurch
ausgleichen, dass sie aufs Größtmögliche anschwillt. Leider hat sie nicht
mitbekommen, dass das Flugzeug längst wieder gelandet war und sie sich also
nicht mehr so aufpumpen hätte müssen. Stattdessen spielt sie sich seitdem
als ausladend höflicher Gastgeber für alle Viren und Bakterien auf, die die
Stadt derzeit fluten.
Zur Folge hat ihr Verhalten, dass sämtlichen Geräuschen von außen der Weg
nach innen versperrt wird. Dafür aber werden die Geräusche aus meinem
Inneren so verstärkt, als würde die weltbeste PA-Anlage aus dem Berghain
höchstselbst die innere Klangwelt abmischen: Es fiept, summt, wummert,
manchmal knackst, gluckert und ploppt es auch, und wenn ich mich
konzentriere, glaube ich ernsthaft zu hören, wie Alban Berg, John Cale und
John Coltrane gerade gemeinsam in meinen Bogengängen und Paukenhöhlen
Skateboard fahren.
Ich bin also seit etwa zweieinhalb Wochen mittelohrentzündungsbedingt halb
taub. In diesen zweieinhalb Wochen hörte man ja von so manchen Dingen in
Berlin, die sich eigentlich nicht gehören: Wasserhähne wurden abmontiert,
Masernviren eroberten den Helmholtzplatz, der FC Barcelona besiegte Alba
Berlin, ein Keylogger wurde ein- und ausgestöpselt, der BER feierte 1.000
Tage Nichteröffnung, und Mr. Spock starb, der zwar nichts mit Berlin zu
tun, aber auch was an den Ohren hatte.
## Eine letzte Hoffnung
Der Facharzt am Kotti klärte mich darüber auf, dass es keinerlei Hilfe für
mich gäbe. Jedenfalls vorläufig nicht. Bis zum operativen Eingriff, dem
Durchstechen des Trommelfells, betände noch eine letzte Hoffnung, die
eustachische Röhre von ihrem aktuellen Größenwahn abzubringen: die manuelle
Unterdrucktherapie. Mund schließen, Nase zuhalten und kräftig pusten.
Dass ich wegen solcher Therapieratschläge nicht dreieinhalb Stunden im
Wartezimmer Focus, Spiegel und Für Sie vom vorletzten Monat gelesen haben
wollte, sah der schlaue Facharzt natürlich sofort an meinem
Gesichtsausdruck. „Wir lassen selbstverständlich noch mal alles nachmessen,
und wenn was anderes rauskommt, sehen wir uns wieder.“
## Eine Art Gettoblaster
Ich wurde nach nebenan geschickt, wo eine Art Gettoblaster auf einem Tisch
stand. Wahrscheinlich nur, um unzufriedene Patienten wie mich zu
beeindrucken, hatte er sich prophylaktisch diese tolle Maschine
angeschafft, „Tympanometer“ stand drauf. Sie sah aus wie ein
warpangetriebener Tricorder aus der ersten Generation der „Enterprise“. Ein
Schlauch baumelte heraus, der mir in die Ohren gesteckt wurde und dort
glissandoartige Tonfolgen eintrichterte.
Währenddessen druckte die Maschine irgendwelche Wellen auf einen
Kassenzettel, der nach und nach aus dem Gerät gerattert kam und den die
Sprechstundenhilfe dann abzog: „Ist, wie der Arzt gesagt hat: Links hören
sie Unterdruck, rechts nüscht.“ – „Und was genau bedeuten diese Zahlen, …
was heißt Compliance?“ – „Keene Ahnung. Ist ’ne amerikanische Maschine…
aber genauso rausgekommen, wie der Arzt gesagt hat.“
## Noch eine Abhöraffäre?
Ich hab gegoogelt: Nichts ist gut. Tympanometer gibt es wirklich. Aber die
sehen heute völlig anders aus. Hatte der Kotti-Arzt das Ding nur da stehen,
um gute Bewertungen bei Yelp zu kriegen? Oder war ich erneut Opfer einer
Abhöraffäre geworden? War dieses Tympanometer nur ein geschickt kaschierter
Keylogger? Steckte im Kittel des Facharztes der ehemalige Kollege, der sich
jetzt einen Bart hatte wachsen lassen wie einst Radovan Karadzic?
Meine endstufenverstärkten inneren Geräusche feiern immer noch
Free-Jazz-Orgien. Und immer wieder wache ich schweißgebadet aus
Fieberträumen auf. Hatte der Keyloggerist auch was an den Ohren und musste
deswegen zu anderen Mitteln greifen? Aber dann kühle ich wieder ab und
weiß: Alles nur Fieberwahn, da fällt einem halt alles Mögliche ein, auch,
dass aus den abmontierten BND-Wasserhähnen lauter Abhörprotokolle fallen,
wenn man die sich ans Ohr hält.
6 Mar 2015
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
taz.gazete
Berlin
Krankheit
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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