# taz.de -- Pamphlet gegen den Kunstmarkt: Kauf jetzt! | |
> Geld und Kunst fressen einander auf, warnen Georg Seeßlen und Markus Metz | |
> in ihrem aktuellen Essay, der jetzt auch in Norddeutschland vorgestellt | |
> wird. | |
Bild: Wertsteigerungsveranstaltung: Auktion, hier mit Edvard Munchs "Der Schrei… | |
HAMBURG taz | „ArtRank“ heißt die [1][Internetseite] des argentinischen | |
Kunsthändlers Carlos A. Rivera, die im vergangenen Jahr in der Kunstwelt | |
für eine kleine Moralpanik sorgte. Darauf bietet der 27-Jährige Zugang zu | |
einer Liste mit ganz konkreten Empfehlungen, wie mit Werken | |
zeitgenössischer Künstler umzugehen sei: „buy now“, „sell now“ oder | |
„liquidate“ sind da zu lesen. | |
Um formale und inhaltliche Aspekte geht es dabei nicht, auch nicht um | |
Geschmack. Grundlage der Liste ist vielmehr ein Algorithmus, der | |
aufstrebende KünstlerInnen identifizieren soll, indem er Daten nicht nur | |
über Ausstellungen und Preise bei Auktionen, sondern auch über Sichtbarkeit | |
in sozialen Medien, Insiderinformationen über Produktionskapazitäten oder | |
Sammlerinteresse zusammenführt. Das Ziel: Kaufempfehlungen ganz wie im | |
Investmentbanking. Eine sagenhafte Anlagerendite von 4.200 Prozent | |
verspricht Rivera über einen Zeitraum von 16 Monaten. Nirgendwo lässt sich | |
Geld heute gewinnbringender anlegen, zwischenparken, verstecken als in der | |
Kunst. | |
Deshalb richtet sich „ArtRank“ auch nicht an traditionelle Sammler, die das | |
Schöne, Wahre oder Befreiende der Kunst besitzen wollen, sondern an | |
Investoren. Der typische ArtRank-Kunde ist der Kunst-Flipper – auch so ein | |
Begriff aus der Finanzwelt: Flipper kaufen Aktien zum Börsengang eines | |
Unternehmens, um sie so schnell wie möglich mit Gewinn wieder loszuwerden. | |
Kunst-Flipper wie der ehemalige Hollywoodproduzent Stefan Simchowitz machen | |
aus Kunstwerken Spekulationsobjekte. Leute wie er sind längst die Player, | |
an denen heutzutage niemand mehr vorbeikommt. Aus dem Kunstmarkt ist in den | |
letzten zehn Jahren eine immer schneller agierende globale Kunstbörse | |
geworden. | |
## Ausufernder Essay | |
Deren Topografie zu kartieren, zu analysieren und zu kommentieren, haben | |
sich die Kulturkritiker und Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen im | |
vergangenen Jahr mit einem ausufernden Essay vorgenommen: „Geld frisst | |
Kunst – Kunst frisst Geld“ heißt er. Ausgangspunkt ist die Befürchtung, | |
dass die immer inniger werdende Beziehung von Kunst und Geld, von Finanz- | |
und Kunstmarkt nicht nur das traditionelle Geflecht von Künstlern, | |
Galeristen, Museen und Öffentlichkeit zerstört. | |
Vielmehr stehe – vor dem Hintergrund von Neoliberalismus und Postdemokratie | |
– der Kern der Kunst selbst zur Debatte. Längst sei die Beziehung zwischen | |
Kunst und Geld nicht mehr eine unter vielen, sondern „einer der Motoren von | |
Demokratie und Kapitalismus“, schreiben die Autoren. Wer verstehen wolle, | |
wohin das führe, müsse die fundamentale Ökonomisierung der Kunst verstehen. | |
## Fundamentale Kapitalismuskritik | |
Wer dieses üppige „Pamphlet“ richtig einordnen will, muss wissen, welcher | |
Furor das Denker-Duo antreibt. Denn „Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld�… | |
will keine akribische Studie zum Kunstmarkt sein, sondern fundamentale | |
Kapitalismuskritik und ein Plädoyer für ein Kunstverständnis, das einmal | |
ein linkes Projekt war: ein allen offen stehender, oppositioneller Diskurs- | |
und Bildraum, den man nicht geschenkt bekommt, den man sich erobern muss. | |
Die Kunst im totalen Kapitalismus dagegen: auch eine dieser | |
„Blödmaschinen“, deren Analyse 2011 am Beginn der so fruchtbaren | |
Zusammenarbeit der Autoren Metz und Seeßlen stand. Das sind merkwürdige | |
Einrichtungen, eine Kombination aus Dummheit, Faulheit und Benommenheit, | |
die den „postpersönlichen“ Menschen der Gegenwart die mühselige Arbeit | |
abnehmen, aus dem Gegebenen um sie herum selbst die richtigen Schlüsse zu | |
ziehen. Der Kampf gegen die Blödmaschinen: der alte Kampf um die | |
Emanzipation des Menschen, finden die Autoren. | |
Deshalb holen sie in „Kunst frisst Geld“ auch zum Rundum- und großen | |
Befreiungsschlag aus, fördern allerhand klug Beobachtetes zutage und | |
bebildern die tief greifende Krise der Kunstwelt mit erstaunlichen | |
Geschichten rund um den Kunstmarkt. | |
## Steile Thesen | |
Vor allem aber formulieren die beiden gern steile Thesen. Nicht anders als | |
der Nazismus oder der Stalinismus greife der totale Kapitalismus nach der | |
Kunst, grollt es da. Kunstbesitz sei zum „Schwanzvergleich der Oligarchen“ | |
verkommen, heißt es woanders. Viel Munition für eine schön zugespitzte | |
Diskussion jedenfalls. | |
Anderes klingt nach Allgemeinplatz: dass die postdemokratische Kunst mit | |
„Monumentalisierung, Karnevalisierung, Sensualisierung, Extremisierung oder | |
Technisierung“ arbeite und eine Kultur herausbilde, die „nach | |
Marktgesetzen“ funktioniere und „profitorientiertes Denken“ voraussetze. … | |
etwas hat man schon woanders gelesen. | |
Schwach bleibt auch der Appell zum utopischen Aufbruch, mit dem die Kunst | |
aus der Geiselhaft der Superreichen befreit werden soll. 42 Fragmente | |
widerständiger Gesten haben Metz und Seeßlen im abschließenden Manifest | |
„Occupy Art!“ zusammengesammelt. Am Ende klingt vor allem Skepsis durch: | |
„Diese Kunst kann uns verloren gehen. Oder von uns gerettet werden.“ | |
## ■ Markus Metz/Georg Seeßlen: „Kapitalismus als Spektakel. Oder | |
Blödmaschinen und Econotainment“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 88 S., 5,99 | |
Euro. | |
## ■ Markus Metz/Georg Seeßlen: „Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld. … | |
Pamphlet“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 469 S., 20,60 Euro. | |
## ■ Lesungen mit Georg Seeßlen: Mi, 11. 3., 19 Uhr, Oststadtbibliothek, | |
Lister Meile 4; Do, 12. 3., 19 Uhr, Galerie Drees, Weidendamm 15 | |
6 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://artrank.com/ | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## TAGS | |
Essay | |
Kapitalismuskritik | |
Kunstmarkt | |
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