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# taz.de -- Berlin-Konzert von Father John Misty: Die neuen, bösen Lieder
> Father John Misty ist das Soloprojekt von Josh Tillman, der früher bei
> den Fleet Foxes trommelte. In Berlin gab er überzeugend die Rampensau.
Bild: Lässt gern tief blicken: Josh Tillman alias Father John Misty.
Ein Egozentriker mit solch einer Aura, wie sie Josh Tillman an den Tag
legt, ist eindeutig nicht als Schlagzeuger für den Hintergrund gemacht.
Selbst wenn die Band, bei der Tillman zuvor trommelte, Fleet Foxes heißt.
Der Kerl mit Hipsterbart ist einfach eine Rampensau. Daran lässt er beim
Konzert seines Soloprojekts Father John Misty am Samstag im Berliner
Heimathafen Neukölln keinen Takt lang Zweifel aufkommen.
Gleich zum Opener „I love you, Honey Bear“, dem Titeltrack der zweiten
Platte, die im Februar erschien, geht er auf der Bühne in die Vollen:
Während die Violine dem ersten Refrain ordentlich Pathos gibt, kniet
Tillman schon ganz vorne auf der Bühne, schwingt sich wieder auf, hämmert
gegen die Wand, schultert den Mikroständer, wirbelt ihn umher und springt
seinem Schlagzeuger auf die Bass Drum.
Schwarze Hosen trägt er, schwarzes Sakko, soweit brav, aber das T-Shirt mit
richtig tiefem Deep-V-Ausschnitt. Die Haare lässig zurückgeölt. Ein
Hüftschwung, bei dem sich Eltern Sorgen um ihre Töchter und Söhne machen
sollten: Das Publikum ist hip und gefühlt etwas jünger als Tillman selbst.
## Mascara, Blut und Sperma
Eigentlich verwunderlich, denn der Typ macht klassischen Adult-Pop, opulent
arrangiert, aber mit bitterbösen Texten: Satanische Weihnachten und ein
Hochzeitskleid, in dem jemand ermordet wurde, gehören zum Standardinventar
der Songs. Der Opener „I love you Honey Bear“ setzt ein Zeichen für den
Abend: Pompös hymnisch geht es in den Melodien zu, aber die Lyrics kreisen
um Sex auf Rorschachtests, mit Mascara, Blut und Sperma.
„Der ist hervorragend!“ und „Alter, ist der gut“, raunen die Hipster-Ki…
nebenan. Und das wohlgemerkt, nachdem die Erwartungen schon immens in die
Höhe geschraubt waren, in einer ausverkauften Konzert-Location, die man gar
nicht erst betreten konnte, ohne zehnmal angefleht zu werden, ob man nicht
doch noch eine Karte übrig hätte.
Bei allem Hau-drauf-Gehabe hat Josh Tillman einen feinsinnigen Humor. In
„The Night Josh Tillman came to our Apartment“ sing er in der dritten
Person von sich selbst. Es gibt eine Stelle im Song, in der die Geliebte
sagt, sie atme „literally“, wortwörtlich, Musik, und er „verdammt noch m…
schreien möchte“ wegen dieses völlig deplatzierten „wortwörtlich“. Til…
malt beim Auftritt übergroße Anführungszeichen in die Luft.
## Noch mehr posen
Dazwischen Jokes über süße Typen, die ihm ein Bier ausgeben könnten, und
darüber, dass der Whiskeykonsum im Lauf des nächsten Songs garantiert um
150 Prozent steigen werde. Dann die Frage, ob er noch mehr posen solle. Das
Publikum will es so und Tillman toppt sich selbst.
Dann dringt aber doch Missmut durch, als der Father das Ende der Show
prophezeit: „Und glaubt ja nicht, wir kommen gleich wieder, um drei oder
vier Songs zu spielen, die wir zufällig vergessen haben.“ Davor werde aber
noch mal vier Minuten das gesamte Pyrotechnik-Budget verpulvert, im Song
„Holy Shit“.
Der Typ ist halt ein Scherzkeks, und so kommen die Band und er nach
Applaustoberei noch mal auf die Bühne, spielen „Bored in the USA“, ein
Abgesang auf den amerikanischen Traum. Im November hat Tillman mit dem Song
das perplexe Publikum von David Letterman überfordert. Da lief über den
Song, wie auch auf der Platte, eine Tonspur Lacher, wie man sie aus Sitcoms
kennt. Die lässt Tillman in Neukölln weg, legt in die Leerstellen aber
selbstironisch Kommentare: „Yeah, let’s party“, „Serious Song!“, „I…
Metaphor!“
Als es in dem konsumkritischen Song um „useless education“ geht, schnappt
er sich Handys aus der ersten Reihe und knippst selbstverliebte Selfies.
Die Roadies hatten beim Konzert ihre liebe Mühe, Tillmans Mikro immer
wieder auf die richtige Höhe einzustellen und die Dreher aus dem Kabel
rauszudrehen. So sehr bretterte Tillman damit anderthalb Stunden über die
Bühne.
8 Mar 2015
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
## TAGS
Berlin
Heimathafen Neukölln
Konzert
Heimathafen Neukölln
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