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# taz.de -- Rechnergestützte Exponate: Die Macht der Pixel in der Kunst
> Zwei Kunstvereine in der Region Hannover widmen sich anlässlich der
> Hightech-Messe Cebit dem Digitalen in der Kunst.
Bild: Yngve Holen hat Fleischstück-Replikate computergesteuert aus Marmor gefr…
HANNOVER taz | Die heutige Gesellschaft lässt sich holzschnittartig in zwei
Sektionen teilen: in die digital immigrants – das sind die etwas älteren,
noch analog konditionierten Semester – und die digital natives: die nach
1980 Geborenen, die ganz selbstverständlich mit den Möglichkeiten des
Internet und rechnergestützten Lebenswirklichkeiten aufwuchsen. Letztere
sind derzeit in Hannover vermehrt anzutreffen, denn es ist wieder mal
Cebit, die leicht ramponierte Leitmesse fürs Digitale.
## Digitaler Einkauf und digitale Kunst in Hannover
Während dort der Gründer des chinesischen Onlinemarktplatzes Alibaba, Jack
Ma, zeigen konnte, wie einfach das digitale Leben sein kann, indem er
während seines Vortrags mit seinem Handy so etwas Erz-Analoges wie eine
historische Briefmarke per Gesichtsscan erstand, haben die Kunstvereine von
Hannover und dem Vorort Langenhagen die Messe zum Anlass genommen, zwei
Ausstellungen zum Digitalen in der Kunst zu machen.
Denn natürlich bedienen sich die Künstler der Generation digital natives
sehr frei aus dem digitalen Fundus. Wie etwa die gebürtige Hannoveranerin
Delia Jürgens, Jahrgang 1986, die derzeit ihre erste institutionelle
Einzelausstellung im Kunstverein Langenhagen [1][zeigt]. Jürgens hat unter
anderem an der Braunschweiger Kunsthochschule studiert und dort vor einem
Jahr bei der US-amerikanischen Malerin Frances Scholz ihr Diplom
absolviert.
Wer in Erwartung flimmernder Monitore oder bunter Animationen nach
Langenhagen kommt, wird aber enttäuscht. Zudem lässt das von Jürgens
Dargebotene so vollkommen die Aura der Kunst vermissen: Man erblickt,
wenngleich komplex arrangiert, zumeist triviale Materialien, und alle nicht
gerade von der schönsten Sorte. Die weltweit verfügbare Bilderflut im Netz
hat Delia Jürgens dazu animiert, sich mit Oberflächen und Objekten, die uns
tagtäglich umgeben, sowie ihren mimetischen wie semantischen Qualitäten zu
beschäftigen.
## Laminat als Abziehbild der Wirklichkeit
Da ist beispielweise der Fußbodenbelag Laminat. Er ist ja nichts anderes
als das optische Surrogat, massenweise reproduziert, von ehemals
handwerklich verarbeitetem Parkett aus echtem Holz. Dieses wenige
Millimeter starke Abziehbild lässt Jürgens nun konsequent auch an einer
Wand hochwachsen – was vermutlich auch schon viele Hobbyheimwerker, ganz
unreflektiert, in ihren Häuslichkeiten praktiziert haben. Denn das dünne,
in handliche Paneele portionierte Material provoziert ja geradezu diesen
Einsatz an unerwartetem Ort. Wo ältere Zeitgenossen noch die pappige Haptik
und das papierene Knistern beim Betreten eines solchen Bodens erschauern
lässt, scheint eine dekorative Zweckerfüllung mittlerweile sämtliche
Hüllflächen des Innenraums erobert zu haben. Boden ist gleich Wand ist
gleich Decke: eine Orientierung, auch im abstrakten Sinne, scheint
zunehmend schwieriger.
Jürgens hat noch eine dunkelgraue Edel-Version des Laminats parat, schmückt
sie mit farblich passenden Keramiksteinchen. Ein Lichtband zieht sich über
den Boden im langen Ausstellungsraum, glibberige Kunststoffkissen mit
Deko-Perlen aus Glycerin-Wasser liegen aus, ein synthetischer Pelz oder ein
kleiner, orientalisch anmutender Teppich kommen hinzu. Dessen
traditioneller Dekor ist mit modischem Lurex – ja, was nun eigentlich:
karikiert, überhöht, verfremdet? Auch hier hat wohl kaum ein ästhetisches
Konzept zum industriellen Billigprodukt geführt, Bildreminiszenz,
Emotionswert und Materialisierung sind deckungsgleich.
Jürgens’ Parcours wird so zur kognitiven Entdeckungsreise durch die moderne
Stofflichkeit, die sich in der digital generierten Oberfläche erschöpft.
Den Dingen zugrunde gelegt hat Jürgens eine hochvergrößert ausgedruckte,
nur noch verschwommen erkennbare Luftaufnahme einer Wüstenformation. Dort
soll ein heißer Wind die Wahrnehmung stören, während hier unsere, auch
unmittelbar physische Reaktion auf all die Absonderlichkeiten hoffentlich
hilft, sie zu schärfen.
## Marmorfleischstücke aus der CNC-Fräse
Dieser Einzelposition stellt der Kunstverein Hannover eine Überblicksschau
mit 13 Teilnehmern zum Auftritt des Digitalen in der Kunst [2][gegenüber].
Der historische Bogen spannt sich von den klassischen
Schwarz-Weiß-Fotografien Lee Friedländers aus den 1980er Jahren, in denen
er sichtlich erschöpfte Personen an den allerersten Computerarbeitsplätzen
in Boston festhielt, bis zum ganz aktuellen Einsatz einer CNC-Fräse im
skulpturalen Prozess.
Der Deutsch-Norweger Yngve Holen, Jahrgang 1982, verwendet sie, um große
Fleischstücke aus der Metzgerei mittels eines dreidimensionalen Scans
anschließend in Italien aus mehrfarbigem Marmor computergesteuert fräsen zu
lassen. Virtuelles Datenmodell, globale Produktion, perfekte
Objektqualität, dargeboten auf mobilen Bühnenelementen, repräsentieren mit
Pathos und Ironie gleichermaßen einen zeitgemäß pointierten, multiplen
Sinngebungs- und Wertschöpfungsvorgang von der Idee bis zum künstlerischen
Artefakt im musealen Kontext.
## Anleitung zum Verschwinden
Hito Steyerl, 1966 geboren, hingegen kümmert sich um den menschlichen
Körper als Objekt permanenter digitaler Erfassung und Überwachung. Wie kann
ein Mensch unsichtbar werden, fragt sie im Video, einem
Monty-Python-Remake, und gibt slapstickhaft Anweisungen, so zum Schrumpfen,
Sich-selbst-Auslöschen oder Wegwischen.
Wenn aber alle traditionelle Technik wie etwa die Camouflage bei der hoch
aufgelösten Bildgewinnung per Satellit versagt, bleibt nur noch die
Möglichkeit, kleiner als das einzelne Pixel zu werden. Die Größe soll
derzeit bei 25 Zentimetern wahrer Länge liegen, sodass Steyerl
würfelförmige Hüte in genau dieser Dimension propagiert, um die
Kalibrierung zu unterlaufen.
Hito Steyerl wird ab Mai auch im deutschen Pavillon auf der Biennale in
Venedig vertreten sein. Dort geht es aus aktuellem Anlass ebenfalls um
digitale Techniken und ihre Bilder, wie sie unseren Blick auf die Welt
bestimmen – aber auch Proteste, Revolutionen, die Politik auf der Straße
befördern können.
16 Mar 2015
## LINKS
[1] http://www.kunstverein-langenhagen.de/
[2] http://www.kunstverein-hannover.de/
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Fleisch
Kunst
Cebit
Hannover
Ausstellung
Hannover
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