# taz.de -- Landesparteitag der Berliner Grünen: "Das Visionäre ist nicht Mü… | |
> Beim Parteitag am Samstag steht das seit 2011 amtierende Spitzenduo | |
> Bettina Jarasch und Daniel Wesener vor der Wiederwahl. Inhaltlich geht es | |
> vor allem um Mieten und Wohnen. | |
Bild: Bettina Jarasch und Daniel Wesener | |
taz: Frau Jarasch, Herr Wesener, Sie beide stehen am Samstag erneut als | |
Landeschefs zur Wahl, Gegenkandidaten gibt es bisher nicht – die Mitglieder | |
scheinen Sie zu mögen. Was bei den Grünen nicht selbstverständlich ist: | |
Frühere Vorsitzende fühlten sich als Fußabtreter der Partei. | |
Bettina Jarasch: Also, mein Eindruck ist: Wir haben Vertrauen zueinander. | |
Ob die Mitglieder uns mögen, darüber möchte ich gar nicht spekulieren. | |
Daniel Wesener: Ich spekulier da schon – die mögen uns! Ich habe zumindest | |
nie das Gefühl gehabt, Fußabtreter zu sein. | |
Wenn dem so ist, dann drängt sich doch die Frage auf, warum Sie beide nicht | |
auch die Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr | |
sein sollten. | |
Jarasch: Diesen Samstag steht erst mal nur die Landesvorstandswahl an. Was | |
die Abgeordnetenhauswahl angeht: Dafür werden wir als neuer Landesvorstand | |
unserer Partei einen Vorschlag machen. | |
Aber stünden Sie denn grundsätzlich für die Spitzenkandidatur zur | |
Verfügung, wenn man Sie denn fragen würde? | |
Wesener: Wenn man sich entschließt, 2015 für den Parteivorsitz zu | |
kandidieren, will man automatisch Verantwortung für das Wahlprogramm und | |
den Wahlkampf übernehmen. | |
Wohnungspolitik ist das große Thema dieses Parteitags – wird das auch das | |
große Grünen-Thema bei der Wahl 2016? | |
Wesener: Diese Stadt ist dynamisch, darum würde ich mich gar nicht | |
festlegen wollen, welche Themen nächstens eine zentrale Rolle spielen. Aber | |
ich wage mal die Prognose, dass die Mieten-, Wohnungs- und | |
Stadtentwicklungspolitik die Berliner auch 2016 noch beschäftigen. | |
Das Problem ist bloß, dass alle Parteien mehr Wohnungen versprechen und | |
sich nur auf dem Weg dahin unterscheiden. Das ist kein echtes | |
Alleinstellungsthema für einen Wahlkampf. | |
Jarasch: Natürlich ist allen Parteien klar, dass die Bevölkerung wächst und | |
dass wir dieses Wachstum gestalten müssen. Aber es macht dann in der Praxis | |
schon einen Unterschied, ob man diesen Anspruch wirklich hat oder das | |
Gestalten den Investoren überlässt. Oder ob man glaubt, dass | |
Bürgerbeteiligung bessere Ergebnisse bringt und nicht nur lästig ist. Und | |
da ist mein Eindruck, dass die rot-schwarze Koalition aus dem | |
Volksentscheid zum Tempelhofer Feld nichts gelernt hat und immer noch | |
meint, Bürgerbeteiligung koste nur Zeit. | |
Sie spielen auf das 700-Wohnungen-Projekt am Mauerpark an, das der Senat | |
vom Bezirk Mitte an sich gezogen hat? | |
Zum Beispiel! | |
Über zehn Jahre läuft die Diskussion dort schon – liegt da | |
Stadtentwicklungssenator Geisel wirklich so falsch, wenn er sagt: „Jetzt | |
sind alle Argumente ausgetauscht, jetzt muss – mit all den Nachbesserungen | |
aus der ja vorhandenen Bürgerbeteiligung – auch mal gebaut werden | |
angesichts von jährlich 45.000 Berlinern mehr“? | |
Wesener: Was völlig richtig ist, ist, dass es beim Mauerpark und anderswo | |
einen Zielkonflikt zwischen unterschiedlichen – und ich betone: legitimen – | |
Interessen gibt. Es gibt ein Gemeinwohlinteresse … | |
… im Leitantrag zum Parteitag sprechen Sie vom „Primat des Gemeinwohls“ | |
Wesener: … und es gibt AnwohnerInneninteressen. Das Problem am Mauerpark | |
ist, dass der Senat einen schlechten Vertrag mit dem Investor abgeschlossen | |
hat und jetzt einen Bebauungsplan an sich zieht, der auch aus unserer Sicht | |
kritikwürdig ist. | |
Warum? | |
Wesener: Weil die Bebauung viel zu dicht ist, weil wieder ein relativ | |
großer Teil im oberen Preissegment mit teuren Eigentumswohnungen | |
angesiedelt ist. | |
Na ja, von 700 Wohnungen wären nur 194 Eigentumswohnungen. Über 120 | |
hingegen sollen günstige Mieten haben, zudem soll es 219 Studentenwohnungen | |
geben. Was wäre denn für Sie eine richtige Verteilung? | |
Wesener: Wir sagen, dass bei öffentlichen Bauvorhaben mindestens die Hälfte | |
der Wohnungen preisgünstig und auch für Leute mit kleinem Einkommen | |
bezahlbar sein soll. Aber auch bei privaten Baumaßnahmen kann die | |
öffentliche Hand Einfluss nehmen, etwa über städtebauliche Verträge – das | |
machen München und Hamburg vor. Hier ist unser Ziel, dass mindestens ein | |
Drittel des Wohnraums zu kostengünstigen Mieten entsteht. | |
Senator Geisel hat zu hören bekommen, er hebele bezirkliche direkte | |
Demokratie aus, weil ein geplantes Bürgerbegehren gegen die Bebauung am | |
Mauerpark nun ins Leere läuft. | |
Wesener: Zu Recht – es ist klar, dass so eine Art der Stadtentwicklung von | |
oben keine Akzeptanz finden kann in Berlin. | |
Von Jan Stöß, SPD-Landeschef und linker Sozialdemokrat, gibt es aus Zeiten | |
des Tempelhofer-Feld-Volksbegehrens den Satz: „Bürgerbeteiligung heißt | |
nicht Anwohnerdiktatur“. Was halten Sie davon? | |
Jarasch: Bürgerbeteiligung bedeutet tatsächlich immer, Grenzen | |
klarzumachen, und es ist Aufgabe der Politik, nicht irgendeiner | |
Bürgerinitiative hinterherzulaufen, die durchaus ein Partikularinteresse | |
vertreten darf, sondern das Gemeinwohl im Blick zu haben. Aber die Frage | |
ist, ob die Sicherung dieses Gemeinwohls fortan bedeutet, dass der Senat | |
nun immer Dinge an sich zieht, wann immer sich irgendwo Protest formiert. | |
In dem Leitantrag ist mindestens ein halbes Dutzend Mal von bezahlbarem | |
Wohnraum die Rede – aber auf diesen 8 langen Seiten steht nicht einmal, wie | |
viel Euro pro Quadratmeter das für Sie konkret heißt. | |
Wesener: Was es so schwierig macht, ist, dass wir über unterschiedliche | |
Gruppen reden müssen, über die Bezieher von Transferhilfe ebenso wie über | |
Leute mit kleinem und mittlerem Einkommen. Grundsätzlich sagen wir: Es ist | |
möglich und auch notwendig, im sozialen Wohnungsbau Mieten von 5,50 Euro | |
pro Quadratmeter hinzubekommen. | |
Weil Sie hier so im Clinch mit der SPD liegen: Ist es für Sie eigentlich | |
gesetzt, dass Regierungschef Michael Müller nach der Wahl 2016 nicht mehr | |
mit der CDU regieren will und auf Rot-Grün oder eine schwierige | |
Dreierkoalition mit Grünen und Linkspartei setzt? | |
Jarasch: Der Stadt würde es guttun, wenn es einen Wechsel gäbe, weil diese | |
Koalition nicht den politischen Willen hat, sich richtig anzustrengen. Aber | |
die Versuchung, es sich bequem miteinander einzurichten und weiterzumachen | |
wie bisher, die gibt es durchaus bei SPD und CDU. Insofern würde ich sagen: | |
Ausgemacht ist da noch gar nichts – aber mit Wowereit ist wenigstens jemand | |
abgetreten, der ganz offensichtlich nicht mit den Grünen wollte. | |
Müller ist nun fast genau 100 Tage im Amt und hatte zum Start einen anderen | |
Politikstil als Wowereit versprochen. Merken Sie davon etwas? | |
Jarasch: Ich attestiere ihm schon, dass er ein anständiger Arbeiter ist, | |
der Dinge ordentlich machen möchte. Das ist erst mal gut, denn Schlendrian | |
gab es genug. Was Michael Müller fehlt, ist irgendein Zukunftsbild von der | |
Stadt, das einen begeistern könnte. Das Visionäre ist eben nicht sein Ding. | |
Und Olympia als rot-schwarze Ersatzvision ist jetzt weg. | |
19 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Abgeordnetenhauswahlen 2016 | |
Landesparteitag | |
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