# taz.de -- Syrien-Tagebuch Folge 5: Ob die Syrer Seife kennen? | |
> In den wilden Flüchtlingssiedlungen in der libanesischen Bekaa-Ebene nahe | |
> der Grenze zu Syrien arbeiten manchmal auch wilde NGOs. | |
Bild: In einem wilden Flüchtlingslager in der libanesischen Bekaa-Ebene. | |
Yazan al-Saadi, 30, ist freier syrischer Autor und investigativer | |
Journalist. Er lebt seit zwei Jahren in Beirut. | |
An einem sonnigen Sonntagnachmittag saß ich in der windigen Bekaa-Ebene in | |
einer syrischen Flüchtlingssiedlung und fror. Zwei Freunde und ich waren | |
gekommen, um mit Bewohnern dieser informellen Zeltstädte zu sprechen. Wir | |
saßen mit acht Syrern zusammen im „Zuhause“ des Lageraufsehers, dem | |
Shawish. | |
Ein Shawish ist der Koordinator dieser Lager. Meist wird er von einer | |
internationalen NGO eingesetzt, damit sie einen Ansprechpartner hat, der | |
Hilfsgüter annimmt und verteilt. Nur in Ausnahmen wird der Aufseher von den | |
Flüchtlingen gewählt; nicht wenige werden machttrunken angesichts ihrer | |
privilegierten Position. | |
„Unser“ Shawish ist eine Rarität. Er löste seinen Vorgänger aufgrund sei… | |
guten sozialen Verwurzelung im Flüchtlingslager ab. Streng genommen war das | |
auch nicht demokratisch, trotzdem repräsentiert er die Bewohner mehr als | |
jeder, den ich in den letzten Jahren getroffen habe. Wir saßen also im | |
Kreis und tranken endlos viel Tee und Kaffee und rauchten Kette. Eine | |
Geschichte nach der anderen wurde erzählt, Witze wurden eingestreut, und | |
unser Gelächter hüllte die tragischen Geschichten und unser betroffenes | |
Schweigen in eine Art Humor-Wolke. Auf einmal wandte sich der Shawish | |
direkt an mich: „Ich muss dir eine Geschichte von diesen bekloppten NGOs | |
erzählen, die herkommen, um uns zu ’retten‘.“ – „Ich hab schon viele | |
schreckliche Geschichten gehört“, antwortete ich. „Du hast keine Ahnung“, | |
lächelt er. | |
„Die Frau kam vor ein oder zwei Jahren und wollte uns beibringen, wie man | |
sich wäscht.“ – „Sich wäscht?“– „Im Ernst. Sie wollte uns beibrin… | |
man mit einem Stück Seife umgeht. Ihr nehmt ein Stück Seife, etwas Wasser | |
und reibt mit den Händen solange aneinander bis sich Schaum bildet.“ – | |
„Hilfe! Wie hast du reagiert?“ – „Ich hab ihr gesagt, dass wir keine Ti… | |
sind. Das mit der Seife wüssten wir schon.“ Er kicherte. „Der Brunnen, den | |
diese NGO für uns gegraben hat, hat leider das frische Wasser mit dem | |
Abwasser der provisorischen Toiletten vermischt, die eine andere NGO | |
installiert hatte.“ Er machte eine kleine Pause, dann murmelte er: „Am | |
liebsten hätte ich ihr die Seife ins Gesicht geworfen. Wir. Sind. Keine. | |
Tiere.“ | |
Übersetzung aus dem Englischen: Ines Kappert | |
24 Mar 2015 | |
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