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# taz.de -- Die Wahrheit: Warten auf Ruhm
> Passionsgeschichten: Mehr Leid geht nicht – wie Jürgen Todenhöfer, der
> friedensbewegte IS-Publizist, einmal in Oslo kaltgestellt wurde.
Mein Gott, war das eine Scheiße! Erst mit diesem Pseudo-Expresszug vom
Flughafen nach Oslo rein, dann wie ein Depp durch die Straßen dieser
Drecksstadt gelatscht, bei strömendem Regen, und dann waren die
gehirnamputierten Fischköpfe in diesem Saustall von Kneipe nicht fähig, für
ihn noch mal ihre vergammelte Küche anzuheizen. Für ihn, Jürgen Todenhöfer,
den Friedensengel aus Offenburg! Den Vermittler zwischen den Völkern, den
Botschafter der frommen Denkungsart, den fucking Silberrücken mit dem
Herzen aus Gold! Einem zukünftigen Friedensnobelpreisträger! Jeden Moment
konnten die Herren von der Akademie hereinkommen und ihn vorab
beglückwünschen! Und dann sollte er mit knurrendem Magen sein Dings, sein
Bieröl in sich reinlaufen lassen?
## Hier und heute reinfeiern
Heiß turnte Magensäure durch sein Gedärm. Jürgen Todenhöfer krümmte sich
unter dem raschen Schmerz, zog dann hastig einen Schluck braunes Bier in
sich hinein, in der Hoffnung, dem Bauch auf diese Weise Linderung zu
schaffen. Skeptisch warf ihm der Wirt hinter seinem Tresen einen Blick zu,
um sich dann wieder dem Fußballbildschirm zuzuwenden. Offenkundig sah man
in dieser lächerlichen Larifarination kein deutsches Fernsehen! Sonst wäre
hier doch sofort ein Teller mit Rentierbraten gestanden. Für ihn, Jürgen
Todenhöfer, den deutschen Talkshowveteran! Der hier und heute reinfeiern
würde in den hochverdienten Friedensnobelpreis. Als erster Deutscher seit
Hitler, seit Gandhi. Ah, wie sie sich ärgern würden daheim!
Sein regennasser Mantel begann in der Stubenwärme allmählich nach totem
Hund zu riechen. Zischend hatte die Magensäure das Bier absorbiert und war
schon wieder schwer damit beschäftigt, an seinen Innereien zu nagen. Die
Zeit kroch träge voran. Um sich ein bisschen Bewegung zu verschaffen,
verdrückte sich Jürgen Todenhöfer auf die Toilette, zog sein Redemanuskript
aus der Tasche, ließ die Hosen herunter und begann leise, schon mal an
seiner Intonation zu feilen: „Liebe Freunde, 1984 bin ich nach Swasiland
gereist, 1985 nach Oman, 1986 nach Aerobien. Ich habe mit den Machthabern
gesprochen, obwohl das von der damaligen und derzeitigen Bundesregierung
und den sogenannten United States of America nicht erwünscht war. Heute
spricht keiner mehr von diesen Krisenherden. Als ich gestern erfahren habe,
dass ich Friedensweltmeister werden sollte, flog ich erst einmal nach
Nairobi, sprach mit den Kindern dort, um sie um Rat zu fragen. Wir haben
viel zusammen geweint, doch dann beschlossen die Kinder, dass ich den Preis
schweren Herzens annehmen sollte. Auch, um damit Obama zu kritisieren.“
Der Regen hatte die Schrift aufgeweicht, die krakeligen Buchstaben waren
halb zerlaufen. Zerstreut griff Jürgen Todenhöfer nach seiner Lesebrille,
fand sie jedoch nicht an gewohnter Stelle, da das Jacket noch im Gastraum
hing. Er, Todenhöfer, verlor das Gleichgewicht, rutschte seitlings ab,
während der Pissestrahl in alle Richtungen ging. Mit Schmackes knallte sein
Pazifistenschädel gegen den Fliesenboden. Scheiße, scheiße, scheiße! Alles
besudelt! Ächzend sammelte Jürgen Todenhöfer seine Körperteile wieder ein
und erhob sich so würdevoll, wie es die Situation eben zuließ. Er trocknete
sich mit dem Redemanuskript ab, um es dann ins Klo zu geben. Egal! Reden
waren für Friedensanfänger! Dann würde er eben improvisieren, wie damals
beim Schah von Iranien oder Kubanistan oder weiß der Geier.
Mit absolut beschissener Laune ging ein wenigstens äußerlich halbwegs
gesäuberter Todenhöfer zurück an den Tisch. Der Wirt hatte von dem kleinen
Toilettenunfall nichts mitbekommen und starrte immer noch stur weg auf den
Bildschirm. Konnte man komplett vergessen, den Schwachkopf. Bald war Jürgen
Todenhöfer Friedensnobelpreisträger, und dann würden es die anderen sein,
die total angepisst sein würden, die ganzen Friedensfreunde in Deutschland
nämlich. Mit Schaudern dachte er an seine Erzrivalen, Konstantin Wecker und
Margot Käßmann. Zuletzt hatte er sie auf einem Foto gesehen, wie sie feist
grinsend und schon prädelirt in einem TV-Studio herumsaßen, als hätten sie
eben Martin Luther King verspeist. Ha, die würden sich wundern!
## Mit halber Tränenkraft
Die Käßmann vor allem! Die olle Friedenspfeife. Hatte doch tatsächlich
gedacht, sie könne ihm den Schneid abkaufen. Ihm, dem Todenhöfer! Da hatte
sie doch tatsächlich gewagt, auf Twitter mitzuteilen, dass, Zitat, ihre
ganze Trauer den Leuten gelte, die wo bei dem Flugzeugdings abgestürzt
seien, Zitatende. Was ja nachweislich falsch war! Weil sie nämlich
gleichzeitig, wie in ihrem Facebook-Post vom Vortag bewiesen, „in
unendlicher Trauer“ bei den Bootsflüchtlingen von sonst wo war, sie also
gar nicht mit „ganzer Trauer“ mittrauern konnte, sondern allerhöchstens mit
halber Tränenkraft. Das ging doch schon rein mathematisch nicht auf! Er,
Jürgen Todenhöfer, hatte seine Tränenbilanz hingegen voll unter Kontrolle:
Montag hatte er wegen der Kinder Palästinas geweint, die immer noch unter
den Juden leiden müssen, am Mittwoch für die Schiiten in Mossul geheult, am
Freitag dann „stille Trauer“ für die syrischen Flüchtlinge rausgewichst. …
Sachen Trauer machte ihm keiner was vor, schon gar nicht so eine
evangelische Schnapsdrossel.
Jürgen Todenhöfer schaukelte wieder vor und zurück, versuchte den
Toilettengestank durch erhöhten Bierkonsum auszugleichen. Allmählich wurde
er unruhig. Shit war natürlich, dass er das Preisgeld spenden musste.
Nobelpreisgeld im Puff verspielt, das war keine Todenhöfer-Schlagzeile, das
war nicht drin im Markenkern. Nein, selbstverständlich würde er das Geld
sofort an einen gemeinnützigen Verein spenden. Zum Beispiel an eine
Stiftung. Da gab’s zum Beispiel die Nathalie-Todenhöfer-Stiftung, die
Stiftung Sternenstaub, die Petra-Todenhöfer-Stiftung, die
Totti-Todenhöfer-Stiftung oder die Hubert-Burda-Todesstiftung. Alle voll
gemeinnützig! Mit deren Geld wurden bekannte Menschensrechtsaktivisten
durch die Gegend geflogen. Also genauer gesagt er, Jürgen Todenhöfer. Liebe
heiße Norwegerinnen, wenn ich dieses Geld nutzen kann, um noch häufiger
nach Tasmanien und Pfefferland zu fliegen, um dort den Menschen Krieg und
Frieden zu erklären, dann nehme ich widerwillig und sehr demütig diesen
Preis an. So was in der Art.
## Ein richtiger Scoop
Draußen zogen die letzten Nachtschwärmer ihre Kreise, und auch das Bier
kreiste nun gehörig im Obertodenstübchen. Ausschlag gegeben hatte wohl das
IS-Foto aus Irak oder Syrien oder scheißdrauf, wo er, Todenhöfer,
todesmutig mit den Bartwindeln da unten gesprochen hatte. Ein richtiger
Scoop war das! Und die IS-Leute auch voll nett und professionell.
Reinfliegen, knipsknips, rausfliegen, zackzack zurück mit Air Qatar oder
was. Das konnte nur einer wie er, das konnte nur Todi Toadman! Der nämlich
auch bei Assad ein- und ausging und überhaupt bei allen Diktatoren, die mal
wieder die Kanzlerin vor den Kopf stoßen wollten. Denen kam so ein
Halbirrer im Maßanzug doch immer recht.
Noch einmal prallten frisches Bier und blubbernde Magensäure hart
aufeinander. Jäh schrie Todenhöfer auf. Die Sorge um die ausbleibenden
Akademiemitglieder hatte sein Magengeschwür besonders empfindlich gemacht.
Wo blieben sie denn, die Herren Preisverleiher? Und warum bekam er ihn
eigentlich genau jetzt, den Preis, jetzt, am Ende seines Lebens? Er war
doch schon immer überall hingereist, um Frieden zu schaffen, zwischen Hutu
und Tutu, zwischen Maori und Miami. Waren es die Trümmerkinder in
Kleinasien oder Mykene, die beim Nobelkomitee vorgesprochen hatten? War es
seine mutige Kritik an dem ähnlich unverfroren salbadernden Zausel Gauck?
War es sein nimmermüder Kampf gegen die zersetzenden Kräfte des
international operierenden Weltjudentums? Na ja, das würde in der Laudatio
sicher alles noch mal erklärt werden.
## Sich selbst überlistet
Nun begann auch noch die alte Kriegswunde zu schmerzen. Ah, das bekackte
Knie! Der Russe hatte ihm noch ins Knie geschossen, damals, in Afghanistan
oder Kenia oder Takatukaland. Das Knie, ah! Entschlossen mahnte er es zum
Frieden, haute noch ein paar Mal mit der Handkante drauf, auf dass der alte
Knorpel endlich Ruhe gebe. Zum Kotzen war das, zum Kotzen! Er war
klitschnass, hungrig und stinkend, sein Darm löste sich auf, und sein
Nervenkostüm war vor Bier und Nobelerwartung zum Zerreißen gespannt. Nervös
nestelte Toadman an seinem Schlips, rückte den Smoking zurecht. Der Wirt
hatte sich an den Nebentisch gesetzt und begonnen, das Rentierfleisch für
morgen einzulegen. Alles ging sichtlich auf den Feierabend zu.
Jürgen Todenhöfer platzte der Geduldsfaden. Irgendwo musste doch ein Fehler
passiert sein! Er griff in die Hosentasche, holte sein Handy hervor, ließ
die vor Schmerzen zitternde Hand übers Display gleiten. Ja, hier war sie
ja, die Einladungsmail: „Liebe Freunde vom Nobelpreiskomitee, heute habe
ich die deutsche Bundesregierung davon in Kenntnis gesetzt, dass ich,
Jürgen Todenhöfer, mich selbst für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen
habe, aufgrund meiner vielen Reisen und Facebook-Posts zu dem Thema.
Deswegen wäre es sehr schön, wenn Sie mir das Nobelteil demnächst verleihen
könnten. Am besten treffen wir uns gleich in Norway, um die Sache
rundzumachen. Ich gehe immer gern in die Schänke ’Zum Goldenen Rentier‘. Um
acht? Peace and stuff! Euer Jürgo.“
Konnte das denn möglich sein? Statt dass ihn das Nobelpreiskomitee … hatte
er – sich selbst eingeladen?! Hatte Absender und Adressat vertauscht? Hatte
er in all seinem Schleimen und Hängen und Würgen – sich selbst überlistet?
Das Magengeschwür explodierte in einer feurigen Fontäne. Jürgen Todenhöfer
schrie auf, fiel das Bänklein hinab, rollte sich auf dem Wirtshausboden
zusammen. Schwer stapften die Schritte des Wirts heran. Oder war er es gar
nicht? In einer Wolke aus Licht und Schmerz sah er die Gestalt von Mutter
Teresa auf sich zu schlurfen, sich gütig lächelnd zu ihm hinabbeugen – und
dann keckernd sein Handy mopsen! Lachend verschwand das Teufelsweib mit dem
Gerät in der Nacht. Da weinte Jürgen Todenhöfer, und große Salzperlen
rollten seine Wangen hinab.
2 Apr 2015
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
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Christian Wulff
Fifty Shades of Grey
Untergang
Akif Pirinçci
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