# taz.de -- Zum 70. von Daniel Cohn-Bendit: Der Kompromiss als Fortschritt | |
> Es war nicht das Schicksal, das Daniel Cohn-Bendit berühmt und wichtig | |
> machte. Es lag daran, dass er es wollte. | |
Bild: Daniel Cohn-Bendit am 23. Januar 1969 in Frankfurt auf dem Weg zu einer B… | |
Bei der Feier seines 68. Geburtstages trat Daniel Cohn-Bendit aus dem | |
Théâtre du Soleil in Paris. Er zeigte auf eine Gruppe Thirtysomethings, die | |
vor dem Gebäude in der Abendsonne standen, und rief: „Das sind meine | |
Opfer.“ Die jungen Menschen waren nicht seine Opfer, sondern seine Freunde; | |
seit der gemeinsamen Kinderladenzeit. Ihre Eltern sind es auch. Und das | |
sagten sie auch genauso. Aber im Frühjahr 2013 stand der Vorwurf des | |
sexuellen Missbrauchs von Kindern mal wieder im Raum und diesmal schaukelte | |
sich die Medienaufregung auf einen Höhepunkt. | |
Cohn-Bendit wollte in Paris souverän-ironisch sein. Aber er klang auch | |
verzweifelt. Immer wieder erklärte er, dass es sich um eine | |
„unerträgliche“, aber fiktive Provokation im Buch „Le Grand Bazar“ | |
handelte, die er nie hätte schreiben dürfen. Das gilt. Bis heute gibt es | |
niemand, der behauptet hätte, sein Opfer zu sein. Dass das seine | |
wahlkampfgetriebenen Jäger nicht interessierte, war Cohn-Bendit klar, aber | |
es traf ihn hart, dass auch Teile der Öffentlichkeit nicht mehr für ihn | |
ansprechbar waren. | |
Es hat ihn gelehrt, wie es sich anfühlt, wenn man nicht hochmoralischer | |
Ankläger des Bösen ist – die klassische linke oder grüne Rolle seit 1968 �… | |
sondern Angeklagter. „Das ist der Preis einer offenen Gesellschaft“, sagt | |
er heute. Themen, die ihn momentan umtreiben: die Bedrohung der offenen | |
Gesellschaft, Einwanderung, Klimawandel, EU. Im Moment hat er das Gefühl, | |
„dass man Europa nicht mehr erklären kann“. | |
Cohn-Bendit hat schon 1968 als Anführer der Pariser Studierendenrevolte | |
Anschlüsse gesucht, um libertäre, radikale Positionen in politisches | |
Handeln zu überführen. Veränderung dieser Positionen hat er nie als | |
opportunistische Anpassungsstrategien betrachtet, wie seine marxistischen | |
und später linksgrünen Gegner. Sondern als Anerkennung der Realität. Der | |
Kompromiss als Fortschritt. In seinen zwei Jahrzehnten im EU-Parlament | |
(1994 bis 2014) ist er zudem ein überzeugter Parlamentarier geworden. | |
Zukunft geht nicht durch moralische Hoheit, sondern nur mit demokratischer | |
Mehrheit. | |
## „Fordern, ohne zu überfordern“ | |
„Fordern, ohne zu überfordern“, nennt er das Prinzip, Mehrheiten für | |
Einwanderung, für Klimawandelbekämpfung, für die EU zu gewinnen; Menschen | |
aus der Merkel-Starre der irrealen Status-quo-Bewahrung herauszuholen, ohne | |
in die Lähmung eines Katastrophismus zu verfallen. Gleichzeitig ist ihm | |
(wie Sigmar Gabriel) klar, dass es auch 2017 nicht um die Alternative zu | |
Merkel gehen wird, sondern um den Koalitionspartner. | |
Es war nicht das Schicksal, das Cohn-Bendit berühmt und wichtig gemacht | |
hat, zu Frankreichs Weltstar von 1968, und zu Europas bekanntestem | |
Grünen-Politiker. Es lag daran, dass Cohn-Bendit wollte. Und dass er es | |
konnte. Reden. Lächeln. Leidenschaftlich sein. Sich anknipsen. Es war seine | |
kulturelle Dimension. Weshalb ihn die Situationisten schon bald als Showman | |
abtaten. Andere aber fasziniert wurden und sich der Bewegung öffneten. Die | |
Medien. Sartre. Viele andere. | |
Vielleicht kann man sagen, dass er über das politische Anliegen selten den | |
Menschen vergaß. Wenn der RAF-Terrorist Baader schrie: „Der Hass der | |
Erniedrigten wird die Herrschenden wegpusten.“ Dann brummte Cohn-Bendit: | |
„Ach, Andreas, lass die doch lieber einen saufen gehen und leben.“ So einer | |
war nicht kadertauglich, weshalb die deutschen Maoisten vom KBW ihn gleich | |
nach der Revolution aufhängen wollten. Das allein ist Grund genug, dass man | |
froh sein kann, dass diese Revolution niemals kam. | |
## Er verkörpert europäische Geschichte | |
Aber auch Konservative hassten ihn. Vor seiner Ausweisung aus Frankreich | |
riefen de-Gaulle-treue Bürger: „Cohn-Bendit nach Dachau.“ Als Sohn | |
jüdischer Flüchtlinge vor den Deutschen ist er in Frankreich gezeugt worden | |
in der Nacht, nachdem die Alliierten in der Normandie gelandet waren. Es | |
gibt keinen anderen Politiker und Aktivisten, der die deutsche, | |
französische und europäische Geschichte seit 1945 so verkörpert und auch | |
lebt wie Cohn-Bendit. | |
Bis hin zur anstehenden Überwindung der Nationalstaaten. Inklusive seiner | |
Widersprüche und Irrungen. Aber auch sie sind ein Teil der beachtlichen | |
gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung Deutschlands, die er immer | |
antreiben will. Und nicht hinterher analysieren. Das ist riskant und ging | |
in einem Fall furchtbar schief. Aber was bleibt ohne Mut und Risiko und | |
Leidenschaft? Merkel. | |
Kurzum: Wäre die Republik nicht mental und politisch zehn bis zwanzig Jahre | |
zurück, dann müsste ihr Bundespräsident Cohn-Bendit heißen. „Niemals“, … | |
er dazu. Nicht, weil man ihn nicht wählen würde, sondern weil er keine Lust | |
hat. Man wird nicht nur vom Rad der Geschichte gedreht, man kann daran | |
drehen. Das ist seine Überzeugung. Und er selbst ist der Beweis. An diesem | |
Samstag wird Daniel Cohn-Bendit 70 Jahre alt. | |
4 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Daniel Cohn-Bendit | |
Grüne | |
Daniel Cohn-Bendit | |
Satire | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Roadmovie von Cohn-Bendit: Es regiert der Ball | |
Daniel Cohn-Bendit war während der Fußball-WM mit dem VW-Bus in Brasilien | |
unterwegs. Sein Film zeigt die politische Dimension des Spiels. | |
Daniel Cohn-Bendit über Pariser Anschlag: „Charlie Hebdo darf nicht sterben�… | |
Das Satiremagazin war vom libertären '68er-Geist bestimmt, sagt Daniel | |
Cohn-Bendit, Weggefährte der ermordeten Cartoonisten Wolinski und Cabu. |