# taz.de -- Theater beim Gipsy-Festival: "Wir spielen keine Sinti" | |
> Im Stück „Im Herzen von Hamburg“ setzt sich die freie Gruppe „Theater … | |
> Strom“ gemeinsam mit Wilhelmsburger Schülern mit dem Verhältnis der Stadt | |
> zu ihrer Sinti-Bevölkerung auseinander. | |
Bild: Christiane Richers und Gesche Groth mit Kindern von der Elbinsel-Schule. | |
HAMBURG taz | Es wird voll werden am Freitag auf der Bühne im Bürgerhaus in | |
Wilhelmsburg. Gut 50 Darsteller treffen im Stück „Im Herzen von Hamburg“ | |
aufeinander: Schüler aus drei Wilhelmsburger Schulen, dazu zwei Musiker und | |
das Ensemble der freien Theatergruppe „Theater am Strom“. „Es ist ein | |
Theater-Film-Musik-Projekt“, erklärt Regisseurin Christiane Richers: | |
Choreografische Sets werden mit kurzen Spielszenen verknüpft und von | |
Filmeinspielungen begleitet. | |
Das Stück ist das Ergebnis einer längeren Auseinandersetzung mit den | |
Hamburger Sinti. Gemeinsam mit dem Musiker Kako Weiss hat Richers bereits | |
das Stück „Spiel Zigeunistan“ entwickelt. Nun nimmt sie das Verhältnis der | |
Stadt zu ihrer Sinti-Bevölkerung in den Blick. Beziehungsweise ihr | |
Nicht-Verhältnis. Denn die Geschichte der Hamburger Sinti „ist eine | |
Nicht-Geschichte“, erklärt Richers. In Hamburger Schulbüchern findet sich | |
nichts über sie; bis heute gibt es kein Buch, dass sich mit ihnen | |
beschäftigt. Das kulturelle Gedächtnis der Stadt kennt keine Sinti. Auch | |
Richers hat nicht viel gewusst. „Ich musste mir alles aneignen“, sagt sie. | |
„Deshalb bin ich innerlich sehr engagiert.“ | |
Auch im Zentrum dieses Stückes steht die Hamburger Sinti-Familie Weiss. | |
Seit rund 600 Jahren lebt sie in Deutschland, seit 150 Jahren ist sie in | |
Hamburg zu Hause. Viel umhergezogen ist sie in dieser Zeit nicht, von | |
Harburg hat sie es gerade mal bis nach Wilhelmsburg geschafft. „Wir sind | |
langsamer als eine Schnecke“, pflegt man in der Familie Weiss zu sagen. „So | |
viel zum Mythos vom fahrenden Volk“, sagt Richers. | |
Wichtig ist Richers, dass deutlich wird, dass das Stück sich mit „unserem | |
Blick als Nicht-Sinti auf Sinti“ auseinandersetzt. „Wir spielen keine | |
Sinti!“, betont sie. Auch die Elemente, die die Schüler der Wilhelmsburger | |
Schulen entwickelt haben, kreisen deshalb um Vorurteile und tief sitzende | |
Klischees. | |
Zugleich nimmt das Stück die Metapher vom Herzen der Stadt ganz wörtlich: | |
Gefragt hat Richers etwa die Sängerin Melody Weiss, wo sie im Herzen von | |
Hamburg gern einmal singen würde. „Und sie hat sich den großen Saal der | |
Laeiszhalle gewünscht“, sagt Richers. Nun wird sie via Filmeinspielung eben | |
dort ein Liebeslied vortragen. | |
Heinz Weiss betreibt im Wilhelmsburger Sprach- und Bewegungszentrum einen | |
kleinen „Kultursportverein“, der Jugendlichen mit Thaibox-Training | |
Selbstbewusstsein und eine Kultur des toleranten Miteinanders vermittelt. | |
Er hat sich gewünscht, mit seinen Jungs einmal im HSV-Stadion trainieren zu | |
können – nicht in irgendeinem Nebenraum, sondern prominent unten auf dem | |
Rasen. Sein Wunsch wurde erfüllt. Jazzsaxofonist Kako Weiss schließlich | |
konnte ein Stück, das er für seine Mutter Rita Fina Weiss geschrieben hat, | |
im Hamburger Michel aufführen. | |
Rita Fina Weiss’ Biografie ist eine von vier Lebensgeschichten, die das | |
Stück vorstellt. Für die Frauen der Familie Weiss hat sie eine Nähwerkstatt | |
etabliert. Vor acht Jahren ist sie viel zu früh an Krebs gestorben, gerade | |
mal 46 Jahre alt ist sie geworden. | |
Auch Gertrud Wehl spielt eine wichtige Rolle: In den 1950er-Jahren kam sie | |
nach Hamburg, stellte sich bei den Behörden vor und verkündete, sie wolle | |
„Zigeuner missionieren“. Nach vielen Widerständen gelingt ihr das | |
tatsächlich: Für viele Sinti war es ein Wunder, dass 1962 während der | |
verheerenden Hamburger Sturmflut ihr Platz an den Elbbrücken nicht | |
überflutet wurde. Die meisten von ihnen konvertierten daraufhin vom | |
Katholizismus zur Freikirche der Gertrud Wehl. „Wir haben uns an dieser | |
Frau sehr abgearbeitet“, erzählt Richers. „Es gab während der Erarbeitung | |
des Stückes die Formulierung: ’Eine Frau kommt auf den Platz‘ – und im | |
Grunde machen wir das ja auch.“ | |
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Dann wird es düster: Vorgstellt wird die Biografie des einstigen | |
HSV-Stürmers Tull Harder, der nach dem Ende seiner Fußballerkarriere als | |
SS-Untersturmführer Aufseher in verschiedenen KZs war. Er könnte dort auf | |
einen anderen Profisportler getroffen sein: den Sinto und Boxer Johann | |
'Rukeli' Trollmann, der die KZ-Haft nicht überleben sollte. "Auch wenn | |
bisher nicht belegt ist, dass Harder und Trollmann sich dort persönlich | |
begegnet sind, hier kreuzen sich zwei deutsche Biografien", sagt Richers. | |
Es folgt die Person Eva Justin, die ab 1936 für die Rassenhygienische | |
Forschungsstelle in Berlin pseudowissenschaftliche Messungen und | |
Untersuchungen an Sinti und auch an Roma vornahm. „Sie war in fast allen | |
Sinti-Siedlungen unterwegs“, erzählt Richers: „Dort hat sie Namenslisten | |
erstellt, die später von der Polizei und dann von anderen NS-Schergen für | |
die Verfolgung und Deportationen der Sinti genutzt wurden“, sagt Richers. | |
Nach dem Krieg wird Justin die Wiedergutmachungsanträge der überlebenden | |
Sinti bearbeiten. | |
Für Richers ist Justin eine zentrale Figur, weil sie das Team des „Theater | |
am Strom“ mit dem Misstrauen konfrontiert habe, das bis heute nachwirke und | |
mit dem auch die Theatermacher konfrontiert worden sein: „Habt ihr echtes | |
Interesse an uns? Oder nehmt ihr nur wieder unsere Geschichten und dann | |
seid ihr weg und wir sind doch wieder nur die Blöden?“ Aber Richers | |
verspricht, mit ihrem Theaterprojekt an der Geschichte der Hamburger Sinti, | |
aber auch an ihrer Gegenwart „dranzubleiben“. | |
## ■ Fr, 17. 4., 11 Uhr, und Sa, 18. 4., 18 Uhr, Bürgerhaus Wilhelmsburg. | |
Außerdem: Fr, 12. 6., 17 Uhr, Bildungszentrum Tor zur Welt | |
11 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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