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# taz.de -- Die Zahlen der Zukunft: Voll vierpunktnull
> 2000 stand für hippes Branding. 2.0 für das Internet. Nun spielt auch die
> Industrie im Sandkasten der Zahlen. Ein Versuch, hypermodern
> rüberzukommen.
Bild: Wow. So cyber
Zwei Dreijährige wetteifern im Sandkasten, wer die größere Zahl kennt.
„Zwei“, sagt der eine. „Vier“ sagt die andere, natürlich ein Mädchen,…
sind immer schon viel weiter und außerdem die besseren Schülerinnen. Jungen
– das lehrt uns diese strange neue Macho-Heulsusen-Kombi – werden ja jetzt
systematisch benachteiligt und oft auch einfach geschreddert.
Vier hat gewonnen. Das denkt sich auch die am Montag beginnende Hannover
Messe und wirbt mit „Industrie 4.0 zum Anfassen“. Dahinter steht irgendein
wirres Cyber-Blabla, vernachlässigen wir mal den Inhalt, es gibt vermutlich
eh keinen. Betrachten wir lieber die Bezeichnung „4.0“. Die ist nur ein
weiterer Versuch, mithilfe einer in Zahlen ausgedrückten
Zukunftsversprechung irgendwie hypermodern rüberzukommen, der in der
Tradition recht ähnlicher Versuche steht.
Das 3.0 hat man schlau ausgelassen, um sich noch besser vom Web 2.0, dem
Vorgänger im Geiste, abzuheben. Außerdem klingt die Vier größer und damit
wichtiger, womit wir wieder im Sandkasten wären. Die erste Zukunftszahl,
der man ein hippes Branding zuschrieb, war die 2000. Vor der
Jahrtausendwende warb praktisch jeder damit, der zeitgemäß sein wollte.
Selbst Beerdigungsinstitute oder Hundefriseure nutzten die 2000 als
Frischluftspray – Relikte des Booms sind heute nur noch „Blume 2000“ sowie
die Berliner Lesebühne „Rakete 2000“.
Doch die 2000 hatte auch etwas Bedrohliches. Denn was man sich heute nicht
mehr vorstellen kann – gab es im Jahr 2000 überhaupt schon das Internet?
Ich erinnere mich undeutlich an so ein Kabel, das man in eine Art Toaster
steckte, und dann wählte es sich piepend ein und baute ein Bild in dem
Tempo auf, in dem van Gogh zwei gemalt hätte.
## Der Kater am 1. Januar 2000
Jedenfalls muss man sich vorstellen, dass an Silvester 1999 die absurde
Angst herrschte, dass ausgerechnet diese lächerlichen Computer die Welt ins
Wanken brächten und sich irgendwelche Atomwecker an dem Zeitenwechsel
verschluckten, so dass die Erde im Nu verglühte. Wildfremde vögelten
einander in den Straßen oder aßen und tranken all ihre Vorräte auf (und es
war nicht Karneval!). Am nächsten Tag war gar nichts passiert. Der Kater
war groß.
Zukunftsversprechungen vor 2000 waren eher negativ konnotiert. Dystopien
bis hin zum Weltuntergang. Zwar mag sich mancher 1950 schon gedacht habe,
„’1984‘ klingt schon schnittig“, doch wenn er das Buch las, änderte er
meist seine Meinung. Die Mayas ließen ihren Kalender 2012 einfach enden,
was der Zahl einen wenig zukunftsfrohen Touch verlieh. Auch in der
Offenbarung des Johannes („Armageddon“) schwingt nichts von dem naiven
Optimismus mit, den die Hannover Messe an den Tag legt.
Ich sehe – ja, tote Leute natürlich auch. Aber vor allem, dass
Zukunftsversprechungen bald wieder in erdigerem Stil daherkommen werden, in
guten alten Buchstaben und nicht in pseudomodernen Zahlen. Denn das
Natürliche ist der heiße Scheiß schlechthin. Die Zukunft hat nichts mit
„Industrie“ zu tun: Das Wort ist dermaßen unsexy. Es stinkt nach verrußten
Dampfmaschinen und verschütteten Bergleuten. Da kann man Zahlen
hintanhängen, die kein kleines Kind mehr kennt, es ändert doch nichts dran.
Zahlen sind ohnehin megaout, sicher auch deshalb, weil sie meistens
schlecht sind: Griechenland, Hamburger SV und so.
Die Zukunft ist eher ein Nerd, der im Bioladen einkauft und danach vor
seinem MacBookTralala einen Runkelrüben-Smoothie schlürft, während er
abgedrehte interaktive Gimmicks in den Social Media-Prozess hinein
inventet, wie zum Beispiel ausgedruckte Brillen, mit denen man winzig
kleine Buchstaben erkennen kann, so dass man weiß, was man da überhaupt
chattet, ach nee, Chatten ist ja dermaßen 2013, egal, also was anderes. Er
ist so was von hip und sein nachhaltiges Rübenzeug ebenfalls und das neue
Zukunftsversprechen heißt nun „Bunte Landwiese“, natürlich in Fraktur. Ga…
ohne irgendwelche Zahlen, zurück in die Zukunft.
13 Apr 2015
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Internet
Industrie 4.0
Kulturgeschichte
Internet der Dinge
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