# taz.de -- Im Hochland von Borneo: Vom Kopfjäger zum Naturschützer | |
> Für die Bidayuh kommt der Fortschritt in Form von Planierraupen. Er macht | |
> auch vor dem immergrünen Regenwald nicht halt. | |
Bild: Dorf im Regenwald von Sarawak auf Borneo. | |
Wie ein Nachfahre der wilden Bidayuh-Krieger sieht er nicht aus, obwohl an | |
seinem Gürtel eine imposante Machete baumelt. Bakas Ketua ist ein kleiner | |
zierlicher Mann mit sanften Augen, der sich für seine 56 Jahre erstaunlich | |
behände und schnell bewegt. Seit vielen Jahren ist er Dorfvorsteher von | |
Kampung Kiding, einer kleinen 460-Seelen-Gemeinde im Hochland von Borneo, | |
der drittgrößten Insel der Welt. | |
Wir befinden uns im sagenumwobenen Sarawak, einem nördlich von Indonesien | |
gelegenen Bundesstaat, der zu Malaysia gehört. Sarawak, benannt nach dem | |
gleichnamigen Fluss, der sich durch das gebirgige Terrain windet, ist | |
berühmt für seinen Regenwald und sein Vielvölkergemisch, 27 ethnische | |
Gruppen leben in dem Bundesstaat. „Ihr müsst jetzt drei Stunden bergauf | |
laufen, aber oben in meinem Haus bekommt ihr als Erstes einen Tuak“, sagt | |
er. Für diesen Reiswein ist seine Volksgruppe, die immerhin fast zehn | |
Prozent der Einwohner von Sarawak stellt, berühmt. Bidayuh bedeutet so viel | |
wie „Bewohner des Landes“. | |
Früher waren diese Bewohner, die als Kopfjäger in weiten Teilen Borneos ihr | |
Unwesen trieben, freilich noch viel berühmter als heute, wo sie als | |
Reisbauern ein eher unauffälliges Dasein führen. Bis vor wenigen | |
Jahrhunderten töteten sie Feinde und Eindringlinge, schnitten ihnen die | |
Köpfe ab und räucherten sie, um die Haut zu lösen. Danach hängten sie die | |
„Trophäe“ in ihren Häusern auf. | |
„Unser Volk glaubte, dass der Geist der Toten dann über sie wachen und | |
ihnen und ihren Familien helfen würde“, erklärt Bakas. Der Mut eines | |
Bidayuh-Kriegers wurde nach der Anzahl seiner Schädel eingestuft. Erst der | |
selbst wenig zimperliche britische Kolonialherr James Brooke, der 1839 | |
erstmals vor der Küste Borneos in Sarawaks Hauptstadt Kuching anlegte, | |
machte mit dieser Praxis Schluss. Da sie aber auch bei vielen anderen | |
Volksgruppen in Südostasien verbreitet war, sollte das Unterfangen einige | |
Jahrzehnte in Anspruch nehmen. | |
In Bakas Dorf werden vier solcher Schädel in einem Rundhaus wie kostbare | |
Reliquien gehütet. Der Anblick ist etwas gruselig. Nur er, Bakas, hat den | |
Schlüssel zum Rundhaus am Dorfrand. „Vor ein paar Jahren wurden uns vier | |
Schädel über Nacht gestohlen“, so Bakas, „ein Beweis, dass viele Menschen | |
noch heute an ihre rituelle Kraft glauben.“ Daran kann auch die Tatsache | |
nichts ändern, dass rund die Hälfte der Bidayuh seit Ankunft der | |
evangelistischen Missionare in Sarawak ihre animistische Religion aufgaben | |
und Christen wurden. | |
## Umsiedlung mit Gewalt | |
Auch an der Überzeugung, dass der Regenwald heilig ist, konnte die neue | |
Religion nichts ändern. „Die Seele jedes Menschen steigt in den Himmel auf, | |
fällt als Regen auf den Boden und sorgt wiederum für neues Leben“, so | |
Bakas. | |
Dass die Bidayuh im Einklang mit der Natur leben, schützte sie nicht vor | |
einer brutalen Umsiedelungsaktion vor vier Jahren, als der Bengoh-Staudamm | |
errichtet wurde und vier Kampungs, also vier Dörfer geräumt wurden, 200 | |
Familien verloren ihre Heimat, 8,5 Quadratkilometer Urwald gerodet. | |
„Wir waren nicht betroffen, wir liegen weit genug oben“, so Bakas. Doch | |
unten im Tal, da wo er tagtäglich seine Vorräte holt, die er dann in einem | |
Bastkorb nach oben schleppt, ist der Fortschritt in Form von Planierraupen | |
sichtbar. Eine Straße entsteht gerade, die breiten, lehmrote Schneisen | |
ziehen sich wie eine Blutspur durch den Regenwald. Straßenbau, | |
Brandrodungen und neue Siedlungen hinterlassen ihre Spuren. | |
So findet man selbst im einst so wilden Sarawak viele endemische Tier- und | |
Pflanzenarten noch am leichtesten in den Nationalparks. 150 Exemplare des | |
Nasenaffen, den es nur auf Borneo gibt, leben in den Mangrovenwäldern des | |
eineinhalb Stunden von Kuching entfernten Nationalparks Baku. | |
Auf rund Tausend Exemplare schätzen Zoologen ihre Population in ganz | |
Sarawak. Auch die Orang-Utans, für die Borneo und Sumatra berühmt sind, | |
leben zumindest im malaysischen Teil von Borneo in speziellen | |
Aufzuchtstationen. | |
## Schmale Bambusbrücken | |
Der Aufstieg nach Kampung Kiding ist anstrengend, bei einer | |
Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent und 30 Grad Temperatur. Die Einheimischen | |
überholen uns mit Leichtigkeit und scheinbar ohne zu schwitzen. Es sind | |
auch mindestens 60 schmale Bambusbrücken, die für ganz Sarawak typisch | |
sind, zu überqueren. Die Bidayuh waren von jeher geschickte Baumeister und | |
gelten als Erfinder dieser Brücken, die alle paar Jahre morsch werden und | |
erneuert werden müssen. | |
Mehrmals halten wir an plätschernden Bächen, an denen umsichtige Bidayuh | |
Holzbänke aufgestellt haben. An jedem Rastplatz befindet sich ein | |
Bambusrohr, das als Pfeife dient. Den mitgebrachten Tabak füllt man ein, | |
raucht und lässt das Rohr für den nächsten Wanderer zurück. Die Bäuerinnen, | |
die uns entgegenkommen, schenken uns ein strahlend rotes Lächeln. Ihre | |
Lippen, Zähne und Zunge sind vom Betelnuss-Kauen so gefärbt. „Das soll | |
gegen Ermüdung helfen“, erklärt Bakas. | |
Auch seine Frau ist ein Fan von Betelnüssen, wie sich bei der Ankunft | |
herausstellt. Zur Begrüßung gibt es gekochte Tapioka. „Auf die mussten wir | |
Bidayuh während der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg ausweichen“, | |
erläutert Bakas. | |
## Reis nur für Japaner | |
Die Besatzer, die sechs Monate nach Pearl Harbor in Kuching einfielen, | |
konfiszierten ihrerseits den Reis. Heute serviert Bakas Frau den Reis in | |
einer Kannenpflanze. Dazu gibt es ein Gericht aus Bambussprossen, | |
Farnspitzen, Schrimppaste, Chili und Knoblauch. | |
Überall riecht es nach Durian, der in ganz Südostasien verbreitete | |
Tropenfrucht. „Sie schmeckt wie der Himmel und stinkt wie die Hölle“, so | |
Bakas. Am nächsten Tag wird er auf unserer Wanderung zum Tanju-Wasserfall | |
mindestens zwanzig Durians und auch ein paar mindestens genauso süß | |
schmeckende Jackfruits ernten. „Frühstücksbuffet im Dschungel“, nennt er | |
diesen Programmpunkt, den er all seinen Gästen anbietet. | |
Vor mehr als 400 Jahren kamen seine Vorfahren aus dem indonesischen Teil | |
von Borneo hierher. Einst kämpften sie gegen die britischen Kolonialherren, | |
doch jetzt gilt ihr Kampf den Planierraupen, die immer weiter in ihre | |
Gebiete vordringen. Bakas ist dennoch zuversichtlich, dass sein Paradies | |
bestehen bleiben wird. „Das muss es auch“, sagt er, denn ich könnte | |
nirgendwo anders leben.“ | |
26 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Ute Müller | |
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